Donnerstag, 28. März 2024

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Reiten und Corona
"Man kann nicht einfach sagen: Wir machen jetzt Pause."

Wegen Corona sind alle Sportanlagen in Deutschland bis auf weiteres geschlossen. Bis auf eine Ausnahme: In Reitställen und Reitvereinen dürfen die Pferde versorgt und bewegt werden. Allein aus Tierschutzgründen ist das zwingend notwendig. Doch wie funktioniert das in Zeiten von Corona?

Von Andrea Schültke | 22.03.2020
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"Pferdehaltung ist Füttern, Saubermachen, boxen misten. Der Tierarzt muss her, der Hufschmied muss durch" Auch in Zeiten von Corona brauchen Pferde Pflege. (Deutschlandradio / Andrea Schültke)
"Durch Diese Tür gehe ich mehrmals die Woche ein und aus, denn hier reite ich. Jetzt heißt es: Stall geschlossen." Wie geht Pferdeversorgung in Coronazeiten. Das erfahre ich jetzt von Marc Limberg. Er ist der ehrenamtliche 1. Vorsitzende des Kölner Reitvereins RSV. Bevor ich weitere Schritte auf der Anlage mache, muss ich mich eintragen: "Wir haben jetzt hier unseren Notfallordner. Das Buch teilt sich auf in drei Spalten. Einmal die Anwesenheitsliste der Pferdebewegung in die jeder Reiter und jedes Mitglied eingetragen wird von wann bis wann er welches Pferd versorgt hat und wozu er hier war."
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Notfallordner des RSV Rodenkirchen (Deutschlandradio / Andrea Schültke)
"Im Fall dass jemand infiziert wäre, wüsste man…"Genau, dazu dient es, dass man nahtlos rückverfolgen kann, wer sich auf der Anlage aufgehalten hat um daraus Schlüsse zu ziehen." Die Infos hat Marc Limberg von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung bekommen, dem Dachverband für Pferdesport in Deutschland. Der gibt auf seiner Website und in den sozialen Netzwerken laufend aktualisierte Informationen und Videobotschaften.
Mindestens eine Stunde Bewegung am Tag
Im Kölner Süden schauen die Schulpferde Caprona, Medina und Taifun aus ihren Boxen. Sie und ihre 23 Stallgenossen wollen auch in Coronazeiten versorgt werden: "Die Tiere müssen mindestens eine Stunde am Tag bewegt werden, lieber noch länger. Und Pferdehaltung ist Füttern, Saubermachen, boxen misten. Der Tierarzt muss her, der Hufschmied muss durch. Man kann eben nicht wie in anderen Sportvereinen einfach sagen, wir machen jetzt mal kurz Pause."
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Außenplatz des RSV Rodenkirchen (Deutschlandradio / Andrea Schültke)
"Im Hintergrund hören wir den Trecker, da fährt die Betriebsleiterin macht den Außenplatz schön." "Das ist eine unserer größten Errungenschaften, die uns gerade sehr zugute kommen, weil wir eben die Hygienevorschrift haben, dass nur 4 Reiter in die Halle dürfen. Der Außenplatz ist nochmal 20 Meter länger und somit haben wir den Platz etwas entzerrt, also wir können tagsüber nochmal mehr Pferde in den Beritt nehmen, als wenn wir nur die kleine Halle hätten."
Passierscheine bei Ausgangssperren
Marc Limberg macht die Notfall-Organisation ehrenamtlich. In den ersten Tagen seit der Schließung ist die Versorgung der Tiere gut gelaufen, sagt er. Am Wochenende hat sich die Situation erneut verändert. Erste Ausgangssperren in einzelnen Bundesländern. Soenke Lauterbach, Generalsekretär des Dachverbandes FN stellt per Videobotschaft klar: Pferde dürfen weiter versorgt werden.
"Dazu gehören Passierscheine, die wir zusammengestellt haben, in der Hoffnung, dass die Polizei Euch damit weiter fahren lässt. Für uns alle gilt jetzt: wir müssen jetzt Ruhe bewahren, wir müssen uns um unsere Pferde um unsere Familien kümmern und wir müssen alle gesund bleiben."
Viel Mist am Bein
Beim Kölner Reitverein RSV ist ein fester Pool von Vereinsmitgliedern für Unterstützung bei einer möglichen Ausgangssperre vorgesehen. Die sollen dann entsprechende Bescheinigungen bekommen. Der Vereins-Vorsitzende Marc Limberg hat gerade im wahrsten Sinne des Wortes viel Mist am Bein. Denn der große dampfende Haufen mit Pferdeäpfeln und Stroh wird von einem niederländischen Entsorgungsbetrieb geleert. "Wenn jetzt die Grenzen zu den Niederlanden zugemacht werden, wo bleibt denn dann der Mist?"
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Marc Limberg, 1. Vorsitzender RSV Rodenkirchen (Deutschlandradio / Andrea Schültke)
"Da würde ich mir wahrscheinlich dann vielleicht auch nochmal die Unterstützung der Stadt wünschen, denn unser Grundstück hier ist Erbpacht seitens der Stadt Köln im Wasserschutzgebiet. Und da hätte ich einfach auch ein massives Umweltproblem, wenn der Mist nicht mehr abgeholt wird. Das darf man natürlich auch nicht vergessen."
Existenznot wenn Mitglieder kündigen
Diese Sorge scheint aber fast noch klein im Vergleich zu einer anderen: Der RSV hat um die 150 Mitglieder und kein prall gefülltes Konto – im Gegenteil. Und jetzt kommt hinzu: Kinder und Teenager dürfen während der Notfallregelung nicht auf die Anlage und nicht reiten. "Wenn jetzt mal die Eltern sagen: ich habe Kurzarbeit, ich krieg selber nix, ich muss jetzt den Beitrag fristlos kündigen?" "Da mag ich jetzt selber noch gar nicht drüber nachdenken. Das schlimmste Szenario ist für mich der wirtschaftliche Konkurs des Betriebes, zum Amtsgericht zu gehen, eine Insolvenz anzumelden. Und dann geht es meistens so, dass dann verfügt wird, wie beim Insolvenzgericht auch, dass Pferde abgeholt werden. Ich mag mir nicht ausmalen, wo die dann hinkommen."
Beim RSV wären von einer Schließung drei Arbeitsplätze betroffen. Auch die anderen der 7400 Reitvereine in Deutschland und der Vereine und rund 3700 dem Dachverband angeschlossenen Pferdebetriebe dürften ähnliche Existenzsorgen umtreiben. Und nicht nur die. Eine Untersuchung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung hat ergeben: Mehr als 10.000 Firmen, Handwerksbetriebe und Dienstleistungsunternehmen in Deutschland haben direkt oder indirekt das Pferd als Haupt-Geschäftsgegenstand. Der Umsatz der deutschen Pferdewirtschaft liegt bei geschätzten 6,7 Milliarden Euro.
Positiv denken
Die Stute Be Happy steht in ihrer Box, schaut heraus, und kaut dabei genüsslich einen Apfel, den Marc Limberg ihr gegeben hat. Sie sieht zufrieden aus. Und auch Marc Limberg versucht, das Positive an der aktuellen Situation zu sehen: "Dass wir einen tierischen Rückhalt im Verein seitens der Mitglieder haben, die alle sagen Wir machen, wir tun. Und das ist schon sehr schön zu sehen. Und es ist auch sehr schön zu sehen, wie wir untereinander im Vorstand funktionieren. Jeder hat seine Kompetenzen. Jeder gibt alles, und das ist schon ein tolles Gefühl. Wir haben gar keine andere Wahl, wir rocken das jetzt, und irgendwann sitzen wir hoffentlich hier im Sommer und haben den Grill an, und die Pferde stehen auf der Koppel. Und dann ist alles wieder in Ordnung."