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Rekonstruktion ausgestorbener Welten
Das Blaue vom Ei

Welche Farbe hatten Dinosaurier-Eier? Wie sah die Haut eines Urzeit-Vogels aus? Um das zu bestimmen, nutzen Paläontologen Verfahren aus Chemie, Medizin und Materialwissenschaft. Die Ergebnisse sind erstaunlich – und überzeugen dennoch nicht alle.

Von Joachim Budde | 10.06.2019
Ein versteinertes Dinosaurierei mit teilweise erhaltener Schale. Es gehört zur Sammlung des Berliner Naturkundemuseums, stammt aus der Oberkreide-Zeit und wurde in der mongolischen Wüste Gobi gefunden.
Der letzte Dinosaurier lebte vor 66 Millionen Jahren. Die Farbpigmente, die Forscher in der Schale von Dinosaurier-Eiern entdeckten, haben diese Zeit überdauert. (picture-alliance / Hubert Link)
Goldfuß, August (1831): Beiträge zur Kenntnis verschiedener Reptilien der Vorwelt. Nova Acta Physico-Medica Academiae Caesareae Leopoldino-Carolinae Naturae Curiosorum. "Ich war in einem hohen Grade erfreut, als ich im verflossenen Herbste eine Platte des lithographischen Steins erhielt", heißt es in dem Werk. Das Goldfuß-Museum an der Universität Bonn. Kai Jäger zeigt mir ein Saurierfossil.
"Und von dem Stück existiert eine Hauptplatte und eine Gegenplatte, wie wir hier sehen, die ist hier in so einem alten Kästchen noch aus dem 19. Jahrhundert, und als Goldfuß das 1831 untersuchte, hat er das Stück auch präpariert."
Eine knapp DIN-A-3 große crèmefarbene Steinplatte muss der Urzeitforscher damals bekommen haben. In Goldfuß‘ Buch heißt es weiter:
"Bei deren glücklichen Spaltung wurden die meisten Theile eines Gerippes sichtbar. Der Naturforscher, welcher gewohnt ist die mannigfaltigen Gestalten jeder Thierklasse nur innerhalb bestimmter Gränzen modificirt zu sehen, fand sich durch die wunderbare Bildung eines vorweltlichen Thieres überrascht."
Beginn der Paläontologie
Die rötlichen Knochen vom Oberkörper eines Tieres gehören zu Scaphognatus crassirostris, dem "Dickschnabel". Ein Flugsaurier. Kai Jäger erklärt:
"Vor kurzem waren die ersten Dinosaurier wissenschaftlich beschrieben worden, und auch die ersten frühen Säugetiere aus dem Erdmittelalter, und das war ganz der Beginn der Paläontologie."
"Immer erscheint das Bild dieses Thieres, welches die fessellose Phantasie eines chinesichen Künstlers hervorbrachte. Die Umrisse des Kopfes, die geräumige Brust, die aufrechte, sitzende Stellung, und die langen Flügel verkünden allerdings einen Vogel; wo aber findet sich ein solcher in der lebenden Natur mit spitzigen Zähnen und Krallen an den Flügeln?", fragt der Forscher Goldfuß in seinen Schriften.
"Goldfuß war noch sehr von der Romantik geprägt", kommentiert Kai Jäger. Weiter heißt es:
"Betrachtet man die untere Bruchfläche beider Platten, so sieht man auf derselben mehrere wellenförmige Linien, welche das Aufeinanderliegen dichterer und lockerer Kalkmasse anzeigen, und welche vielleicht durch die eingehüllte Flughaut des linken Armes veranlasst wurden. Auf diesen Flughäuten fallen aber die Abdrücke von Büscheln und Flocken gekrümmter und hin- und hergebogener Haare sogleich in die Augen."
Versteinerte Haut? Haare? Wie sollte das möglich sein? Goldfuß’ Fachkollegen glaubten, seine Phantasie sei mit ihm durchgegangen. Ein Fantast. Oder doch ein verkanntes Genie?
"Bei Goldfuß war nämlich das Problem: Er war ein bisschen seiner Zeit voraus. Die nachfolgende Generation an Wissenschaftlern war dann sehr kritisch geprägt und waren sehr auf harte Fakten ausgelegt. Und die guckten sich das an und sahen entweder diese Strukturen gar nicht oder sagten: Naja. Das ist wahrscheinlich etwas, was vom Gestein ausgeht, weil die sich zu dem Zeitpunkt auch noch nicht vorstellen konnten, dass Weichteile überhaupt erhalten bleiben konnten."
Ungeahnte Forschungsmöglichkeiten
"Es wurde zu der Zeit, in der Goldfuß lebte, angezweifelt", berichtet Hans Sues. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. "Das ist relativ paradox. Nach so vielen Millionen Jahren. Für gewöhnlich zersetzen sich alle Weichgewebe relativ schnell. Wir reden da über hunderttausende, wenige Millionen Jahre", räumt Jasmina Wiemann ein.
Wer jetzt glaubt, all das habe sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts völlig geändert, täuscht sich. Zwar stehen Paläontologen seit ein paar Jahren ganz neue Techniken zur Verfügung. "Und dann gibt’s auf einmal ungeahnte Forschungsmöglichkeiten", so Hans Sues.
Doch je spektakulärer die Erkenntnisse, umso weniger sind die Kollegen geneigt, sie anzuerkennen. Wie sicher können wir sein, dass das Leben in der Urzeit tatsächlich so war, dass die Analysen und Interpretationen stimmen?
Zu August Goldfuß’ Zeiten in den 1830er Jahren war die Paläontologie, die Wissenschaft von den Lebewesen in den Tiefen der Erdgeschichte, wenig mehr als eine Hilfswissenschaft der Geologie.
"Im 19. Jahrhundert waren Fossilien überwiegend – gerade in Deutschland – dazu da, Gesteine zu datieren. Zum Beispiel im Rheinischen Schiefergebirge, man hat die ganzen Schichten da nach wirbellosen Fossilien klassifiziert und die Altersbestimmung gemacht."
Neue Funde bestärkten Paläobiologen
Professor Hans Sues ist Abteilungsleiter für Paläobiologie am National Museum of Natural History der Smithsonian Institution in Washington D.C. Erst Anfang des 20. Jahrhundert – lange nach Goldfuß – begannen die Paläobiologen Otto Jaekel und Othenio Abel, darin nicht mehr bloß merkwürdig geformte Steine, sondern tatsächlich die Überreste von Lebewesen zu sehen. Neue Funde bestärkten sie.
"Da war zunächst einmal die Entdeckung der berühmten Burgess Shale Fauna in British Columbia in Kanada, auf einigen Tieren kann man den Verdauungstrakt sehen, bei anderen Tieren kann man Details des Nervensystems sehen in Verbindung mit den Augen; das war also eine großartige Entdeckung, und dann einige Jahrzehnte später hatte man die berühmten Funde von Messel und aus dem Geiseltal, die sind etwa 47 bis 48 Millionen Jahre alt, und gerade in Messel hat man also unglaubliche Weichteilerhaltung; und man hat sich immer gewundert: "Wie geht so etwas?"
Ein versteinerter Urzeitvogel
Ein fossiler Achäopteryx im Museum-Solnhofen (imago / imagebroker / Siepmann )
Der wichtigste Grund liegt in Besonderheiten der Fundstelle. In Solnhofen etwa ist der Kalk besonders fein, sodass Details besonders gut hervortreten.
"In Geiseltal sind teilweise sogar Zellstrukturen erhalten, was da passiert ist: Wir hatten Braunkohle, und in den Bereich der Braunkohle sind aus dem Süden aus dem Muschelkalk, aus dem Trias, aus dem Kalkstein, da sind kalkreiche Wässer reingeflossen, und die haben dann praktisch die Humussäuren neutralisiert, und dadurch hat man diese fantastische Weichteilerhaltung. Im Geiseltal hat man zum Beispiel Fadenwürmer, man hat sogar Zellen mit Zellkern entdeckt, das waren ganz hervorragende Beispiele."
Allerdings stellte sich bei genauerer Untersuchung heraus, dass nicht der Fadenwurm selbst überdauert hatte, sondern lediglich eine gespenstische Hülle.
"Es stellt sich nachher heraus, dass es sich um versteinerte Bakterien gehandelt hat, die Bakterien haben sich angesiedelt und haben im Laufe der Zeit durch ihre eigene Stoffwechselaktivität Minerale angezogen und sind dann selbst mineralisiert worden, sie sind praktisch wie eine Patina über diese Weichteile lithifiziert worden – Bakterien-Geister."
Neue Techniken
Die Form der Weichteile blieb überliefert. Die Strukturen selbst waren zerfallen. In seinem Büro fährt Kai Jäger seinen Rechner hoch. Er zeigt mir eine Methode, die "Reflectance Transformation Imaging" heißt.
"Die wird in der Archäologie sehr häufig verwendet. Weil es in der Archäologie natürlich ganz viele Sachen gibt, alte Manuskripte, alte Bilder, Hieroglyphen, die sehr flach sind, wo man minimale Reliefunterschiede herauskitzeln muss."
Die Methode ist wie gemacht, um Goldfuß’ Haarstrukturen zu zeigen.
"Wir sind hingegangen und haben ganz viele Fotos von diesem Stück gemacht. Die Kamera war fest im Stativ eingeklemmt und das Objekt hat sich nicht bewegt. Aber der Blitz wurde immer bewegt. Das heißt wir haben 30, 40 Bilder gemacht mit verschiedenen Belichtungspositionen."
Kai Jäger lädt den Scaphognathus in das Programm.
"Wir können auch noch hingehen und uns störende Elemente, zum Beispiel die Farbe, herausrechnen lassen, und die Reflektionseigenschaften der Oberfläche verändern. Und jetzt kann man viel besser feine Strukturen sehen, die vorher mit bloßem Auge ganz schwer zu sehen waren."
Jetzt sieht das wie Schiefer aus eher. "Genau, jetzt habe ich mal die gesamte Farbe rausgenommen, jetzt ist das schwarz, aber was wir jetzt hier sehen, ist die Oberfläche mit einem etwas stärkeren Schattenwurf."
August Goldfuß schrieb dazu bereits: "Das Tier war demnach nicht wie die Reptilien mit Schuppen und Schilder, sondern mit einem Pelz von weichen, fast Zoll langen Haaren, vielleicht an manchen Stellen sogar mit Federn bekleidet."
"Wenn wir jetzt mal hier im Rückenbereich ein bisschen reinzoomen, dann sehen wir, dass die Haare schon knapp im Zentimeterbereich gewesen sein dürften und so flaumartig aufgebaut waren. Ich sag jetzt auch schon selber Haare, es sind keine Haare, es gibt dafür auf Deutsch keinen Begriff. Im Englischen nennen wir sie Pycnofibres", zeigt Kai Jäger.
Das sind Fasern mit derselben Funktion wie Fell. Das zeigt erstens: August Goldfuß konnte besser gucken als seine Nachfolger. Und zweitens:
"Dadurch können wir auch etwas über die Lebensweise dieser Tiere aussagen, denn wenn ein Tier Fell braucht, dann spricht das dafür, dass es die eigene Körpertemperatur halten wollte, und das ist etwas, was man heutzutage bei Säugetieren kennt, bei Vögeln kennt, aber für die meisten heute lebenden Reptilien ist das nicht der Fall."
August Goldfuß rehabilitieren
Der Flugsaurier dürfte also viel aktiver gewesen sein als heutige Eidechsen.
"Die konnten nicht träge in der Sonne liegen und sich aufwärmen lassen, die mussten aktiv sein, und das, was bei einem Vogel die Daunen sind, das Federkleid, was für die Isolation zuständig ist, hat bei den Flugsauriern diese haarige Struktur übernommen."
Wollte es sich kriechend fortbewegen, so hatte es dieselben Schwierigkeiten wie die Fledermäuse, und einer hüpfenden Fortbewegung stand die Länge und Schwere des Kopfes und Halses, so wie die verhältnismäßige Schwäche der hinteren Extremitäten entgegen.
"Was Goldfuß damals gemacht hat, war wirklich herausragend. Der Mann konnte gut präparieren, hat das alles mit Kerzenschein wahrscheinlich gemacht. Er hat dann überlegt, was er da sieht, hat Interpretationen in Bezug auf die Lebensweise gegeben, Interpretationen die wir heute auch als korrekt bezeichnen, und das alles ist für damalige Verhältnisse eine herausragende wissenschaftliche Leistung."
Modell eines Tyrannosaurus Rex
Modell eines Tyrannosaurus Rex (picture-alliance/ dpa / Stephan Goerlich)
Kai Jäger und seine Kollegen haben August Goldfuß rehabilitiert. "Oder zumindest: Wir haben jetzt Goldfuß wieder ein bisschen in das Licht der Wissenschaft gerückt, um ihm seinen Platz zu geben, den er eigentlich als Vorreiter der frühen Paläontologie mit verdient."
"Goldfuß hat sehr viele interessante Entdeckungen gemacht. Gerade bei uns, also bei Leuten, die naturkundliche Forschung machen wie unser Museum, da sind die älteren Arbeiten oft extrem wertvoll, teilweise geben die uns Gedankenanstöße, die die neue Literatur gar nicht hatte", meint auch Hans Sues.
Jasmina Weimann findet: "Diese Weichteilgewebe, die Goldfuß beschrieben hat, das sind nur Abdrücke. Und was wir in unseren Fossilien sehen, das sind richtige Weichteile, die original erhalten sind; also wir reden wirklich von Zellresten. Dinge, die eigentlich innerhalb weniger Wochen verrotten würden. Das ist schon ein großer Unterschied."
"Und wir müssen diese Reste früher Lebewesen mit modernen Lebewesen vergleichen, wenn wir etwas aussagen wollen über die Ernährung der Tiere, ihre Ökologie allgemein, sowohl ihre Artenbildung als auch ihr Aussterben, und das war der Beginn der sogenannten Paläo-Biologie", erklärt Hans Sues. Jasmina Weimann ergänzt:
"Das Forschungsgebiet der Erhaltung boomt seit den späten 1980er-Jahren. Da kamen dann die ersten großen Entdeckungen, in denen Wissenschaftler die Erhaltung von Zellresten beschrieben haben, die Erhaltung von Blutgefäßen aus Dinosaurierknochen beschrieben haben, und seitdem sind diverse Laboratorien weltweit daran beteiligt und versuchen herauszufinden, wie diese Weichteilgewebe erhalten sein können. Diese neuen Methoden sind dann definitiv ein Quantensprung. Wie gesagt: Wir haben jetzt teilweise Daten, wo wir erst uns Fragen ausdenken müssen, für die diese Daten dann die Antworten bieten."
Biologin: "Dieser Dinosaurier riecht wie ein Kadaver"
Die Paläontologie interessierte Mary Schweitzer gar nicht so sehr, als sie mit ihrem Biologiestudium fertig war. Ende der 1970er-Jahre war das. Sie wollte erst auch gar keine Doktorarbeit schreiben. "Aber Dinosaurier haben mich schon immer fasziniert. Also habe ich ein Seminar bei Jack Horner belegt." Jack Horner ist der, der Steven Spielberg bei den Jurassic-Park-Filmen beraten hat.
"Als ich dann bei ihm den Tyrannosaurus Rex MOR 555 präparierte, fielen mir zwei Sachen auf, die ich aus Furcht erstmal niemandem erzählte. Erstens: Die innere Knochenstruktur dieses Dinosauriers war unverändert. Man konnte keinen Unterschied feststellen zwischen dem Saurier und einem Pferd. Es war makellos, wunderschön. Ohne jede Mineralisierung. Wenn man bedenkt, dass wir dachten, dass sie zu Stein werden, dann war das unmöglich."
Die ursprüngliche Theorie geht davon aus, dass sich die organischen, die biologischen Bausteine des Körpers unter hohem Druck und vielfältigen chemischen Prozessen entweder zersetzen oder mineralisieren, dass sie versteinern. Die zweite Auffälligkeit war noch seltsamer:
"Der Knochen hatte einen Geruch. Aber wenn er Stein war, sollte er nicht riechen. Gerüche entstehen durch flüchtige organische Stoffe. Ich wartete sechs Monate, ehe ich es Jack erzählte: ‚Weißt Du, dieser Dinosaurier riecht wie ein Kadaver.‘ Und er sagte: "‘Ja, Knochen aus Hell Creek riechen. Das weiß jeder.‘"
Die Schauspieler Laura Dern, Joseph Mazzelli und Sam Neil helfen einem kranken Dinosaurier. (Aufnahme von 1993). Im Film "Jurassic Park" experimentieren Wissenschaftler mit dem Erbgut von Dinosauriern, das sie in konservierten, blutsaugenden Insekten aus der Vorzeit entdecken. Es gelingt ihnen, selbst Dinosaurier heranzuzüchten, die später ihre Schöpfer terrorisieren. 
Die Schauspieler Laura Dern, Joseph Mazzelli und Sam Neil helfen einem kranken Dinosaurier. (Aufnahme von 1993). In "Jurassic Park" (UIP)
Hell Creek ist eine Fossilienlagerstätte in Mary Schweitzers Heimatstaat Montana im Nordwesten der USA.
"Ich dachte: Wenn jeder das weiß, warum kümmert sich dann niemand darum? Ich denke, das ist das Problem: Paläontologen, die aus der Geologie kommen, schleppen Ballast mit sich herum. Darum fällt ihnen so etwas gar nicht auf. Solche Fragen bleiben ungefragt."
66 Millionen Jahre altes Blut entdeckt
Mary Schweitzer schrieb erste Studien dazu und beschäftigte sich für ihre Promotion intensiv mit den Knochen. Sie schaute sich die Proben unter dem Rasterelektronenmikroskop und mit anderen Methoden an.
"Ich sah kleine runde, rote Strukturen in den Gefäßkanälen. Niemand hatte sie bemerkt, zumindest hatte niemand Kommentare dazu abgegeben. Aber sie waren ausschließlich in den Blutgefäßen und sie hatten wie Vögel Zellkerne – so wie Saurierblutkörper sie haben sollten."
Sie untersuchte auch, aus welchen chemischen Elementen die einzelnen Strukturen bestanden.
"Ich konnte zeigen, dass die Knochen überhaupt kein Eisen enthielten, die kleinen runden Strukturen aber voller Eisen waren. Ich habe mir nichts dabei gedacht, weil ich nicht damit rechnete, dass sie überdauert haben könnten. Es war purer Zufall, dass wir das Weichteilgewebe fanden. Wissenschaftlicher Fortschritt läuft oft so. Ich würde mich wirklich gerne mehr dafür loben, aber es war Zufall."
Mary Schweitzer hatte mehr als 66 Millionen Jahre altes Blut entdeckt. Eine Sensation. Aber es passierte: Nichts. "Meine Doktorarbeit wurde höflich ignoriert. Alle meine Artikel wurden höflich ignoriert."
Trächtiger T-Rex entdeckt
Mary Schweitzer übernahm die Professur an der North Carolina State University. Dort treffe ich sie. Es ist früh am Morgen. Ihr grüner Honda ist das einzige Auto auf dem Parkplatz. In ihrem kleinen quadratischen Büro summt neben dem Schreibtisch ein Luftbefeuchter. Daneben eine Tageslichtleuchte. Der Raum hat keine Fenster. Direkt als Mary Schweitzer Mitte der 1990er ihr Labor an der Universität in Raleigh eingerichtet hatte, wiederholte sie ihre Versuche und verwandte dafür Fragmente aus dem Inneren von Saurierknochen, die Jack Horner gerade erst ausgegraben hatte.
"Ich öffnete den Karton und sagte: ‚Meine Güte, es ist ein Weibchen, und sie ist trächtig!‘" Ich muss ein fragendes Gesicht gemacht haben. "Meine Technikerin hatte genau denselben Gesichtsausdruck. Nach dem Motto: ‚Jetzt ist sie übergeschnappt.‘ Aber Dinosaurier konnten wie Vögel medulläre Knochen bilden, ein wirklich einmaliges Knochengewebe. Das Östrogen während der Ovulation löst dessen Bildung aus. Die medullären Knochen werden dann wieder vollständig resorbiert, sobald das letzte Ei gelegt ist."
Eine Kalziumreserve im Inneren der Röhrenknochen. Der Dinosaurierkörper muss sie schnell auf- und schnell wieder abbauen. Darum enthält medullärer Knochen viele Blutgefäße.
"Ich konnte mich aber nicht einfach hinstellen und sagen: ‚Schaut mal, ein trächtiger T-Rex‘. Ich brauchte Daten. Eine Art, medulläre Knochen zu untersuchen, ist: Man ätzt sie ein bisschen."
Bei frischen Knochen verschwindet dabei das Kalzium, und die Proteine des Bindegewebes, des Kollagens bleiben zurück. Bei versteinerten Dino-Knochen war nicht zu erwarten, dass es Bindegewebe gab. Die Säure sollte den Knochen lediglich ein bisschen säubern, um seine Struktur besser erkennen zu können.
"Aber die Reaktion verlief schneller als erwartet. Als meine Technikerin das Fragment aus der Säure zog, war es wie Gummi. Ich habe einen Riesenschreck gekriegt. Ich hatte das nicht erwartet. Die Lehrmeinung lautete: ‚Nichts Organisches überdauert in Dinosaurierknochen. Sie sind zu alt. Diese Dinge halten nicht so lange.‘ Das wurde aber nie überprüft."
Mary Schweitzer hatte also Bindegewebe freigelegt. Das war definitiv spektakulärer als der Nachweis für ein trächtiges Dino-Weibchen.
Farbpigmente in Dinosaurier-Eiern
"Die nächste Frage war: Ist das konservierte Bindegewebe eine Besonderheit dieser medullären Knochen? Was passiert mit dem organischen Anteil bei Rückenwirbeln? Da fanden wir Blutgefäße. Und Knochenzellen. Auch das war eigentlich unmöglich."
Doch was hätten diese Strukturen sonst sein sollen? Mary Schweitzer und ihre Mitarbeiterinnen gingen die Möglichkeiten durch.
"Wir haben Pflanzenhaare ausgeschlossen, Wurzelhaare, Pilze, einen Biofilm, Bakterien. Und wir haben gezeigt, dass es wie moderne Blutgefäße und wie moderne Knochenzellen reagiert."
Das Muttertier hat gut zwei Dutzend Eier fein säuberlich gestapelt, ehe es das Nest verlassen hat. Der Oviraptor – ein Raubsaurier auf zwei Beinen – ist nie zurückgekehrt. Seit rund 75 Millionen Jahren nicht. Die langgezogenen, etwa 15 Zentimeter langen Eier haben im Norden von China überdauert und im Laufe der Zeit die Farbe der Erde angenommen, die sie umgibt: Rostrot, die Risse in den Schalen haben die Farbe von Grünspan.
"Das sind kleine Raptoren, die relativ nah verwandt sind mit unseren modernen Vögeln. Unsere modernen Vögel sind die einzigen überlebenden Dinosaurier. Oviraptoren sind Dinosaurier-Vorfahren unserer Vögel." Jasmina Wiemann forscht an der Yale University in Newhaven im US-Bundesstaat Connecticut.
Wenn man die Knochen von einem Oviraptor mit denen moderner Vögel vergleicht, sind die Ähnlichkeiten groß. Er muss große Brust- und Schultermuskeln gehabt haben, das lässt sich aus den Ansätzen für die Sehnen am Skelett herauslesen. Auf dem Schädel trug er einen großen Scheitelkamm ähnlich dem eines Kasuars. Vielleicht war er genauso bunt wie bei diesem modernen Vogel, der mit Strauß und Emu verwandt ist.
Der erste Oviraptor wurde Anfang des 20. Jahrhunderts auf einem Gelege gefunden, darum vermutete Henry Fairfield Osborn, der ihn erstmals beschrieb, der Saurier sei ein Nesträuber gewesen – Versteinerung in flagranti sozusagen. Daher der Name: "Eierdieb".
Anders als die meisten Reptilien, die ihre Beute ergriffen und einfach herunterschluckten, waren Oviraptoren in der Lage, mit dem Unterkiefer gegen den Oberkiefer zu arbeiten und auf diese Weise Nahrung zu zerkleinern. Vielleicht knackte er damit Muscheln und andere Schalentiere. Jasmina Wiemann untersuchte andere Überreste als die Knochen:
"Wir haben uns verschiedenste Dinosaurier-Eierschalen angeschaut und haben die chemisch analysiert, um herauszufinden ob die ursprünglich Pigmente enthalten."
Sie verwendete Methoden aus der Chemie, erklärt sie: "Unsere Methodik nennt sich Raman-Spektroskopie. Das ist eine besondere Form der Laser-Mikroskopie." Und aus den Materialwissenschaften. "Dafür haben wir dann verschiedene bildgebende Verfahren benutzt auch wieder mit Laserspektroskopie, und da sehen wir dann tatsächlich auf unseren Eierschalen, wo die verschiedenen Sprenkel sitzen, welche Form die haben."
Jasmina Wiemann und ihre Kollegen wussten: Sämtliche Farben und Muster auf den Schalen moderner Vögel bestehen aus gerade einmal zwei Farbmolekülen – einem für Rot und einem für Blau. "Das sind chemisch sehr, sehr stabile Moleküle. Das heißt: Die sollten eigentlich in Fossilien überleben können und nicht komplett zersetzt werden."
Anhand frischer roter und blauer Eierschalen hat sie einem Computer beigebracht, nach welchen chemischen Strukturen er Ausschau halten muss, und ihn dann auf fossile Eierschalen angesetzt.
"Wir haben tatsächlich Pigmente in anderen Dinosaurier-Eierschalen gefunden. Wenn wir dann unsere Raptor-Dinosaurier erreichen, dann haben wir alle möglichen Eierfarben und alle möglichen Muster auf unseren Eierschalen. Da sehen wir dann zum Beispiel blaue Eier, grüne Eier, wir haben braune Eier, wir haben weiße Eier mit verschiedenen Farbsprenkeln drauf, meist schwarz oder dunkelbraun."
Das heißt: Spätestens vor knapp einhundert-70 Millionen Jahren begannen die Vorfahren unserer heutigen Vögel, farbige Eier zu legen. "Wir haben herausgefunden, dass Oviraptoren blaue Eier hatten mit braunen Sprenkeln drauf."
Rückschlüsse auf die Lebensweise der Tiere ziehen
Diese Information ist weitaus interessanter, als sie auf den ersten Blick erscheint. Denn sie erlaubt Rückschlüsse auf die Lebensweise der Oviraptoren. Sie liefert mithin etwas, was die Form der Eier und ihre Lage im Nest nicht verraten kann.
"In modernen Vögeln hängen verschiedene Eierfarben direkt mit Verhaltensweisen zusammen. Blaue Farben hängen zusammen mit väterlicher Brutpflege. Das heißt im Grunde können wir erschließen, dass in Oviraptoren nicht die Mütter die Eier bebrütet haben, wie wir es uns für lange Zeit vorgestellt haben, es waren tatsächlich de Väter."
Also kein Eierdieb, sondern ein Dino, der brütet. Auch die braunen Sprenkel verraten Neues über die Oviraptoren:
"Es scheint als ob da evolutionsbiologisch die Notwendigkeit war, dass Eltern ihre eigenen Eier identifizieren können auf Basis der Musterung der Eier, und ja das lehrt uns mehr über die gesamte Nestökologie."- "Heißt das, es gab so etwas wie Kuckucks-Raptoren?", frage ich.
"Ja. Das ist im Grunde wie wir uns das so vorstellen könnten. Wenn wir uns dann im Grunde ein Vogelnest vorstellen und der Wirtsvogel von Kuckucks parasitiert wird, dann sehen wir, dass die Eierfarben des Wirtsvogels sich ganz schnell entwickeln und ganz schnell verändern. Und relativ oft sehen wir, dass verschiedene Ei-Muster aufkommen, die es dann dem Wirtsvogel erlaubt, die eigenen Eier zu identifizieren. Der Kuckuck muss mithalten. Das nennt man evolutionäres Wettrüsten."
Genau solche Erkenntnisse seien der Sinn der Paläontologie, sagt Jasmina Wiemann:
"Wir benutzen Fossilien, die uns über Lebensprozesse in der Vergangenheit erzählen, um mehr über die Zukunft zu lernen. Also im Grunde können wir Information extrahieren, die uns erzählt, wie diese Tiere gewachsen sind, wie diese Tiere gelebt haben, wovon die sich ernährt haben, das ist generell, was wir auf molekularer Ebene da lernen können. Aber das ist alles noch Forschung in den Kindheitsschuhen."
2015 konnten Mary Schweitzer, die Professorin von der North Carolina State University, und ihre Kollegen ein besonders gut erhaltenes Exemplar eines Ichthyosauriers aus dem Urweltmuseum Hauff in Holzmaden bei Stuttgart untersuchen. Ein Delphinsaurier, wenn man so will. Wie diese modernen Säugetiere war auch der Ichthyosaurier vom Land ins Meer zurückgekehrt. Er atmete mit Lungen, hatte seine Haut auf der Oberseite dunkel gefärbt, um sich gegen Feinde aus der Luft zu schützen, und seine Unterseite hell gegen Räuber aus der Tiefe.
Als die Forscher die Haut dieses Tiers demineralisierten und untersuchten, fanden sie etwas, das ihnen tiefere Einblicke in seine Lebensweise erlaubte:
"Wir haben mit vielfältigen Methoden Blubber nachgewiesen. Unter Wasser verliert der Körper schnell Wärme. Für Kaltblüter ist das kein Problem. Für Warmblüter hingegen schon, denn sie müssen Stoffwechselenergie einsetzen, um ihre Körpertemperatur hoch zu halten. Die Ichthyosaurier sind weit unten auf der Linie der Landlebewesen, und dennoch haben sie eine erhöhte Stoffwechselrate nach allem was wir testen konnten inklusive der Anwesenheit von Blubber."
Blubber ist die mehrere Zentimeter dicke Fettschicht, mit der sich gegen das Auskühlen im Meer heute Wale und Robben schützen.
"Sie ist noch immer elastisch! Das Wichtige an dem Blubber-Test war: Die Fette sind aus Cholesterin entstanden. Das heißt: Dahinter stecken keine Bakterien, denn Bakterien und Mehrzeller verwenden unterschiedliche Fette in ihren Geweben."
Forscherin: "Frauen stellen andere Fragen als Männer"
Mary Schweitzer hat ihre Proben auf jede Weise getestet, die ihr eingefallen ist.
"Wir haben, denke ich, um die 20 verschiedene Methoden darauf verwandt. Und drei Sachen gelernt – erstens: Es haben Original-Moleküle überdauert. Zweitens: Wir können an diese Moleküle evolutionär relevante Fragen richten. Drittes: Wir können diese Moleküle benutzen, um die Evolution der Körperfunktionen zu testen."
Und damit Fragen beantworten, wie Tiere des Erdmittelalters auf Veränderungen ihrer Umwelt reagiert haben.
"Wir möchten weg vom 'Sie haben überlebt' hin zu 'Wie haben sie überlebt?' Da gibt es so viel zu lernen. Dinosaurier zum Beispiel haben als Linie Perioden globaler Erwärmung und globaler Abkühlung, Eishaus und Hitze überlebt, sie haben dauernd Klimawandel überstanden, viel CO2, wenig CO2, viel Sauerstoff. Und sie reagierten darauf auf molekularer Ebene. Da warten 150 Millionen Jahre an Daten darauf, dass wir sie sammeln. Wenn wir uns neue Methoden überlegen und die richtigen Fragen stellen, ist das, denke ich, relevant für unsere Welt heute."
Doch die Reaktionen der Fachkollegen waren auch diesmal gelinde gesagt zurückhaltend. "Je mehr wir unsere Ergebnisse bestätigten und robust machten, desto mehr Kritik bekamen wir", wundert sich Schweitzer. Warum, möchte ich wissen.
"Ich kann es nicht erklären. Denn viele Studien sind nicht annähernd so gründlich wie wir versucht haben zu sein. Ich habe keine Ahnung. Vielleicht weil ich alt bin und aus Montana stamme. Uns fehlt die noble Herkunft. Und ich glaube, Frauen stellen andere Fragen als Männer, das könnte auch eine Rolle spielen. Ich verstehe den Widerstand und die Kritik nicht."
"Goldfuß wäre absolut begeistert gewesen"
"Es gibt viele Leute, die bezweifeln, dass das tatsächlich das Originalmaterial ist und nicht ein bakterieller Biofilm. Das ist zwar auch noch interessant, aber nicht so sensationell wie tatsächliche Blutgefäßerhaltung" erklärt Hans Sues. "Was ist Ihrer Meinung nach nötig um das zu beweisen, dass es wirklich so ist", frage ich ihn.
"Ja man muss feststellen, ob das biochemische Signal auf einen Biofilm hinweist oder ob es tatsächlich das Gewebe ist. Und sie hat versucht, das mit verschiedenen Vögeln verglichen, Emu, Strauß und so weiter. Und sie meinte also, dass das stimmt, aber es gibt halt verschiedene Geo-Mikrobiologen, die das in Zweifel gezogen haben. Ich bin da kein Experte, ich halte ich mich raus. Ich verfolge die Literatur mit großem Interesse. Ich bin ein Knochen-Mensch."
Aber die Rekonstruktion versunkener Welten kommt dennoch voran.
"Wir haben hochsensitive bildgebende Verfahren, und wenn wir uns das jetzt mit Goldfuß‘ Zeichnungen vergleichen, dann könnte ich mir vorstellen, Goldfuß wäre absolut begeistert gewesen, hätte er sich seine Flugsauriermembran mit bildgebenden Methoden anschauen können aus der Chemie", vermutet Jasmina Wiemann. "Wir haben so viele neue Entdeckungen und so viele neue Möglichkeiten. Da ändert sich viel im Forschungsgebiet. Da ist es unheimlich aufregend."