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Rekonstruktion einer Theatertradition

Mit "Der Klang der Offenbarung des Göttlichen" begibt sich die Berliner Volksbühne auf eine Zeitreise in die Theatergeschichte. Das Stück basiert auf dem Roman "Weltlicht" des isländischen Nobelpreisträgers Halldór Laxness und setzt in seiner Inszenierung vor allem auf die Kraft der Bilder.

Von Alexander Kohlmann | 20.02.2014
    An einer rauen, zerklüfteten Küstenlandschaft brechen sich majestätisch die Wellen. In immer neuen Bergen und Tälern laufen sie auf die Insel zu. Ein Sturm zieht auf. Blitze donnern über der Szenerie. Die Wellenberge werden höher.
    Mit "Der Klang der Offenbarung des Göttlichen" begibt sich die Berliner Volksbühne auf eine Zeitreise in die Theatergeschichte. Um 1889 erfand der britisch-deutsche Maler, Bildhauer, Musiker und Theaterkünstler Sir Hubert von Herkomer die sogenannten "Pictorial Music Plays". Mit ihnen verwandelte er die Bühne, die bis dahin als ein Ort der Sprache galt, in einen Ort der Bilder.
    Mit seinem Anspruch einer Okkupation der Theaterbühne durch die Malerei ging er einen Schritt weiter als fast alle anderen Theaterkünstler seiner Zeit. Während noch bei Max Reinhardt die bildende Kunst zwar ein wichtiges Stilmittel darstellte, das aber letztlich im Dienst der Textinterpretation stand, wurde bei Herkomer die Bühne zur Leinwand. Und der Regisseur zum Kompositeur immer neuer Bild- und Klangwelten.
    "Es gibt gerade genug Handlung, um die wechselnden Bildeffekte zu begründen. Und genug Musik, um den Zuschauer auf die Bilder einzustimmen", postulierte Herkomer. Oder anders gesagt: Die Geschichten waren nur noch Anlässe und Inspiration für audiovisuelle Installationen, bei denen folgerichtig Schauspieler als Transporteure einer dramatischen Handlung überflüssig waren. Wie auch an diesem Abend an der Berliner Volksbühne.
    Als Ausgangspunkt für die Bildwelten wird zwar der Roman "Weltlicht“ des isländischen Nobelpreisträgers Halldór Laxness angegeben. Aber von der Geschichte des armen Poeten auf der Suche nach künstlerischer Erfüllung ist auf der Bühne nichts übrig geblieben als monumentale Bühnenbilder. Gezeigt werden vier scherenschnittartige Naturdioramen aus dem Land aus Feuer und Eis. Die Küste, der Wald, die einsame Hütte und die Eishöhle. Dazwischen geht weihevoll der rote Vorhang auf und zu. Manchmal schneit es und das Licht verändert sich. Dazu spielt das Deutsche Filmorchester Babelsberg die eigens komponierte Musik von Kjartan Sveinsson.
    Kraft der Klänge und meditative Landschaftsbilder
    Ein irgendwie gearteter narrativer Sinnzusammenhang zwischen den einzelnen Bildinstallationen ist nicht zu erkennen. Der isländische Performance-Künstler Ragnar Kjartansson, der sowohl die Regie als auch die Bühnengestaltung übernommen hat, setzt ganz auf die Kraft der Klänge und der meditativen Landschaftsbilder, die in ihrer banalen Schlichtheit an ein Weihnachtsmärchen erinnern. Jegliche Überraschung und sinnliche Herausforderung, die ein Erzählen in Bildern durchaus beinhalten könnte, bleibt aus.
    Bilder und Musik sind zwar schön anzusehen und zu hören, das Zusammenspiel aber ist völlig spannungsfrei. Und bleibt damit deutlich hinter jenen Theaterexperimenten zurück, auf die sich die Volksbühne auf ihrer Homepage beruft. Denn um 1900, also zur Zeit Hubert von Herkomers, waren bewegte Bilder für das Publikum keine gepflegte Berieselung, sondern eine unerhörte Neuheit.
    Über 100 Jahre später sitzt in der Volksbühne ein Publikum, das in einer Welt der bewegten Bilder aufgewachsen ist. Und sich täglich in allen möglichen Medien mit den unterschiedlichsten Formen audiovisuellen Erzählens auseinandersetzt. Um den Geist von Halldór Laxness Roman in eine Bildsprache zu übertragen, stünde Ragnar Kjartansson eine ganze Klaviatur von Mitteln zur Verfügung, die die Zuschauer herausfordern, überraschen und berühren könnten.
    Mit seinen Landschaftsbildern und einer zwar schönen, aber völlig spannungslosen Musik, bleibt der Abend dagegen auf dem Niveau eines Ölgemäldes mit einem röhrenden Hirschen. Denn an diesem Abend wird zwar eine Theatertradition von vor 100 Jahren rekonstruiert, aber vergessen, dass die Unerfahrenheit und Unschuld eines Publikums, das bewegte Bilder noch nicht kannte, nicht rekonstruierbar ist.