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Relativ frei

Seit 1990 gibt es private Zeitungen in Algerien, heute sind es zwölf französische und zehn arabische Tageszeitungen, zwei französische und ein arabisches Wochenblatt. Während des Bürgerkriegs der 90er Jahre, der in Algerien 200.000 Tote forderte, waren die Journalisten eine besondere Zielscheibe. Fast 70 wurden ermordet. Heute hat sich die Lage in Algerien beruhigt, kein Journalist muss um sein Leben bangen.

Von Martina Zimmermann |
    Als am 11. Februar 1996 vor dem Pressehaus eine Autobombe explodierte, waren die Redaktionsräume in Trümmern; drei Journalisten wurden getötet. Heute fürchten die Journalisten nicht mehr um ihr Leben. Sie trinken in aller Ruhe ihren Kaffee im Café Nedjma gegenüber des Pressehauses. Doch die Pressefreiheit ist in Gefahr, erklärt Omar Belhouchet, Direktor von El Watan, der auf französisch erscheinenden Tageszeitung mit einer Auflage von 135.000 Exemplaren.

    " Die Arbeit des Journalisten wird nicht respektiert. Es wird vielmehr verhindert, dass er recherchiert, sieht, was im Land läuft, eine komplette Analyse davon abgibt, mit einer guten Portion Wahrheit. "

    Während des Wahlkampfs von Präsident Bouteflika hatten viele unabhängige Zeitungen Bouteflika heftig angegriffen, allen voran "Le Matin", dessen Direktor Mohamed Benchicou im Wahljahr ein Pamphlet veröffentlichte gegen "Bouteflika, ein algerischer Betrug", so der Titel seines Buches, das in Algerien verboten und in Frankreich veröffentlicht wurde. Doch Bouteflika bekam bei der Wahl 84 Prozent der Stimmen, die Wahlbeteiligung war viel höher als erwartet. Mit dieser neuen Legitimität ausgestattet, rechnete der Präsident erst mal mit seinen Gegnern ab: Der Direktor der Tageszeitung "Matin" wurde am 14. Juni 2004 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die Tageszeitung musste seither ihr Erscheinen einstellen.

    " Wir gehören zu den Ländern der Welt, in denen man einen Journalisten ins Gefängnis bringen kann für das, was er geschrieben hat. Es gibt nicht viele solche Länder, Nordkorea, Kuba, Libyen, Syrien und Algerien. "

    Bereits 2001 ist das Strafgesetz geändert worden. Es sieht für "Beleidigung oder Diffamierung" des Präsidenten, des Parlaments oder der Armee Gefängnisstrafen zwischen drei und zwölf Monaten vor, und Geldstrafen zwischen umgerechnet 600 und 3000 Euro. Die Mindeststrafe entspricht zwei Monatsgehältern.

    " In Europa sind die Richter unabhängig. Bei uns hingegen ergreift der Richter Partei für die Institution, sobald es eine Klage der Regierung, eines Ministeriums, eines Departements, eines Rathauses oder eines öffentlichen Unternehmens gibt. Es ist undenkbar, dass ein Richter die Klage einer Institution abweist. Das ist das Problem. "

    El Watan hat eine eigene Druckerei, wie die arabische Zeitung El Khabar, die mit 350.000 Exemplaren Auflage die größte in Algerien ist. Alle anderen sind auf staatliche Druckereien angewiesen. Auch die Werbeanzeigen werden für die meisten Publikationen von einer staatlichen Agentur zentral verwaltet. Außerdem braucht es eine offizielle Genehmigung, um eine Zeitung zu gründen. Die sog. "unabhängige Presse" bleibt mehrheitlich von der Regierung abhängig.

    Dennoch ist die algerische öffentliche Meinung eine der freiesten in der gesamten arabischen Welt, gibt auch Omar Belhouchet zu bedenken:

    " Diese Freiheit wurde erkämpft, Journalisten haben sie mit ihrem Leben bezahlt, und es ist eine Pflicht für uns, die wir am Leben blieben, diese Meinungsfreiheit zu bewahren. "