Religiöse Minderheiten in Katar
Toleriert und gut bewacht

Die erste Fußball-WM in der arabischen Welt in Katar fand in einem Land statt, das unter dem Gesetz der Scharia steht. Doch nicht alle sind Muslime. Auch für die christliche Minderheit gibt es Kirchen - allerdings abseits des Zentrums und gut abgeschirmt.

Von Matthias Friebe |
Gottesdienst in der katholischen Kirche in Katar
Die katholische Kirche in Katar (Friebe/dlf)
Solche Momente hat es in dieser Form bei einer Fußball-WM wohl nie gegeben. Polizisten, Volunteers, Fans, sie alle sitzen und knien gemeinsam auf einer Wiese vor dem Thumama-Stadion. Gleich wird die Partie von Gastgeber Katar gegen Senegal angepfiffen, jetzt beten sie vor dem Sonnenuntergang an diesem Freitag. Der Islam spielt bei diesem Fußball-Turnier eine wahrnehmbare Rolle. Es ist selbstverständlich, dass sicher immer wieder Menschen für einen kurzen Moment aus dem Trubel zurückziehen und beten.
Es lebt aber auch eine christliche Minderheit in Katar, und die ist gar nicht mal so klein: 200.000 bis 300.000 Menschen dürften es sein, vor der Pandemie vielleicht sogar noch mehr. Auch sie haben eine Heimat in Doha.
Rund 15 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums liegt die Church City, das religiöse Zentrum der Christen. Anglikaner, Orthodoxe, Kopten, sie alle haben hier seit 2005 ihren Platz, seit der Vater des heutigen Emirs die Wiederansiedlung der Christen gestattete. In der Mitte steht die größte Kirche für die zahlenmäßig stärkste Minderheit: die katholische Kirche „Our Lady of the Rosary“. 2.700 Sitzplätze hat das Gebäude. Hier wird an diesem Freitagnachmittag schon Sonntagsmesse gefeiert.

Freitag als Ersatz-Sonntag

Es gibt dafür eine Sondergenehmigung aus dem Vatikan, erklärt Father Rally Gonzaga. Man passt sich an den wichtigsten Tag der Muslime an, den Freitag. Sonntags gäbe es zwar auch Gottesdienste. Weil dann aber in Katar normaler Arbeitstag ist, ist der Freitag auch für die Katholiken der wichtigere Tag. Und so brennt bereits jetzt die nächste Kerze am Adventskranz, obwohl noch längst nicht Sonntag ist. 15 Gottesdienste finden an diesem Tag statt, in verschiedenen Sprachen: für die Menschen von den Philippinnen, die tamilische Gemeinde und natürlich auf Englisch. Gonzaga leitet die Pfarrei, seit er vor 10 Jahren aus seiner philippinischen Heimat nach Doha gekommen ist.
Father Rally Gonzaga, katholischer Pfarrer Doha
Father Rally Gonzaga, katholischer Pfarrer Doha (Friebe/Dlf)
Ob er verrückt sei, wurde Gonzaga damals gefragt. Warum er in ein islamisches Land gehen wolle. Der Pater aus dem Kapuzinerorden sagt heute, alle diese Stereotype, die ihm damals begegnet sind, seien falsch. Das Leben in der Gemeinde, die Arbeit mit vielen Nationen sei sehr erfüllend. Und tatsächlich stellt sich beim Besuch des religiösen Zentrums schnell ein sehr lebendiges, internationales Gefühl ein. Zunächst einmal müssen alle durch eine Sicherheitskontrolle.
Und man sehe es den Menschen ja nicht an, welche Konfession sie haben, sagt Reverend Michael Derry, der die anglikanische Gemeinde leitet. Das vermittle ein wirklich schönes, buntes und multikulturelles Bild von Kirche, wenn alle Christen gleich welcher Konfession sich dort zunächst einmal mischten, so der Südafrikaner, der selbst seit anderthalb Jahren in Katar ist.
Reverend Michael Derry, anglikanischer Pfarrer Doha
Reverend Michael Derry, anglikanischer Pfarrer Doha (Friebe/Dlf)
Das anglikanische Zentrum  ist an diesem Freitag erfüllt von einer ungeheuren Dynamik, aus jedem der mehr als zwei Dutzend Räume erklingt Musik, Menschen kommen und gehen, Kinder toben auf den Fluren.  Menschen aus über 50 Ländern kommen hier zusammen und feiern Gottesdienste.

Platz für 8.000 Autos

Zu ihnen gehört auch Buckie Ojo. Mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen besucht die Nigerianerin seit sechs Jahren die anglikanischen Gottesdienste. Es gebe ihr Heimat- und Gemeinschaftsgefühl und sie habe schon viele Freunde dadurch gewonnen. Die meisten kommen mit dem Auto in das nicht wirklich zentral gelegene religiöse Zentrum. Weil es wegen der WM zahlreiche Sperrungen und Verkehrsbehinderungen gibt, verzichtet die anglikanische Gemeinde für die Dauer des Turniers auf ihre Sonntags-Gottesdienste.
Katholische Kirche Our Lady of the Rosary in Doha
Die katholische Kirche Our Lady of the Rosary in Doha (Friebe/dlf)
An diesem Freitag stehen aber viele Autos auf dem gigantischen Parkplatz, der Raum für 8.000 Autos bietet. Eine so große Fläche, erklärt Reverend Derry, dass im Sommer bei großer Hitze Shuttlebusse eingesetzt werden, um die Gläubigen von ihren Autos zum Eingang des Kirchenzentrums zu bringen. Während der WM kommen immer wieder Fans hier raus. Viele würden sich fragen, ob es wirklich Christen und Kirchen in der Stadt gebe, erzählt der Anglikaner.
Sein katholisches Pendant, Father Rally, berichtet genau dasselbe. Aktuell kämen zwar nicht so viele Menschen, wie vor der Pandemie. Die Gottesdienste alleine von den philippinischen Katholiken haben damals jeden Freitag 5.000 Menschen besucht, und am Donnerstagabend noch einmal so viele.

Jüdischer Glauben "lieber im Privaten"

5.000 Menschen  - das sind mehr, als an Heiligabend zur Christmette in den Kölner Dom kommen. Ganz so viele sind es bei den Anglikanern nicht, dort hat man aber wenige Tage vor der Fußball-WM den vielleicht bestbesuchten Gottesdienst jemals in der Kirche gefeiert. Reverend Derry erzählt, man habe einige der Botschafter eingeladen und einen Gottesdienst gefeiert, um das Fußball-Turnier zu segnen.
Es ist ein großes Gelände, auf dem die Kirchen ihr Zuhause gefunden haben. Dennoch wird es langsam eng. Seit Jahren versuche man, so Father Rally, einen zweiten Platz im Land zu bekommen. Bisher haben die Behörden darauf aber keine Antwort gegeben.
Religionsfreiheit ist in der katarischen Verfassung verankert. Dass es damit aber nicht immer soweit her ist, bekommt die jüdische Minderheit immer wieder zu spüren. Koscheres Essen sollte es während der WM geben, kurz vorher wurde diese Zusage aber zurückgenommen. Ein Vertreter der jüdischen Gemeinden in der Golfregion wollte dem Deutschlandfunk kein Interview geben, schriftlich teilte man mit, man bevorzuge lieber privat zu bleiben mit dem Glauben.

Christen werden toleriert

Soweit müssen die Christen nicht gehen, aber spüren sie etwas von der Religionsfreiheit? Toleriert sei man, lacht Father Rally. Man dürfe alles tun, aber bitte innerhalb der Mauern des Zentrums. Die hohe Mauer umgibt den Komplex, sie wurde vor einigen Jahren errichtet, um die Christen zu schützen, sagen die Katarer. Sie bewachen das Gelände rund um die Uhr. Muslime, die beispielsweise zu einer Hochzeit eingeladen sind, können die Kontrollen nur mit einer Sondergenehmigung der Gemeinde passieren.
Weder Rally Gonzaga noch sein anglikanischer Kollege, Michael Derry, fühlen sich aber unsicher in Katar oder größeren Problemen ausgesetzt. Man sei hier zu Gast und lebe von der Gastfreundschaft, sagt Derry, der sich jetzt mit seiner Gemeinde auf Weihnachten vorbereitet. Weil der 1. Weihnachtstag in diesem Jahr auf einen Sonntag fällt, beginnen die Feierlichkeiten in der anglikanischen Kirche schon am 23. Dezember.
Es gebe dann schon einen vorweihnachtlichen Gottesdienst mit Texten und Liedern, erklärt Reverend Derry. Soweit will man in der katholischen Kirche dann aber nicht gehen, erzählt Father Rally. Weihnachten und Ostern folgt man dem offiziellen Kalender. Auch wenn der Sonntag in Katar schon am Freitag gefeiert wird. Weihnachten beginnt hier auch erst an Heiligabend.