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Religiöse Minderheiten stellen sich hinter die AKP

Es herrscht nach wie vor Angst unter den religiösen Minderheiten in der Türkei, seitdem im April drei Christen im osttürkischen Malatya die Kehle durchgeschnitten wurde. Nun ist das Land derzeit vom Wahlkampf beherrscht. Premier Erdogan bekommt dabei - für viele erstaunlich - von jüdischen und christlichen Gemeinden im Lande Unterstützung. Über die Motive der Christen berichtet vom Bosporus Gunnar Köhne:

    Auf dem Schreibtisch von Ishak Alaton liegt ein Buch mit dem Titel "Die Rose des Moses". Auf dem Umschlag prangt ein großer Davidstern darin das Porträt des türkischen Außenministers Abdullah Gül. Gül bedeutet Rose auf türkisch. Der Inhalt des Buches lässt sich knapp zusammenfassen: Abdullah Gül sei, wie viele andere der regierenden Fortschritts- und Gerechtigkeitspartei AKP, eigentlich Jude und damit Spion einer amerikanisch-zionistischen Verschwörung gegen die Türkei. Ein übles antisemitisches Pamphlet, gedruckt bereits in der dritten Auflage. Für Ishak Alaton, Unternehmer und großer alter Mann der jüdischen Gemeinde von Istanbul, ist es kein Zufall, dass solche Machwerke gerade jetzt erscheinen. Schließlich wird sein Land von einer Welle des extremen Nationalismus erfasst, die sich gegen alles nicht türkische wendet. Dabei schrecken die extrem Rechten auch vor Mord nicht zurück: ein italienischer Priester, ein armenisch-türkischer Journalist sowie drei Missionare sind aufgehetzten Jugendlichen bereits zum Opfer gefallen. Kirchen und Schulen der Minderheiten werden mit Morddrohungen eingedeckt. Auch vor Ishak Alatons Tür wacht ein Bodyguard. Furchtlos greift der als bedächtig bekannte 76jährige dennoch zu einem drastischen Vergleich:

    "Diese kriminelle Energie, die zum Teil von den Sicherheitskräften angefacht und unterstützt wird, erinnert ein wenig an die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland. Und das ist sehr alarmierend."

    Seit Wochen trommeln die Nationalisten, unterstützt von der Armeeführung gegen eine Wiederwahl der religiös-konservativen Regierung Erdogan. Sie beschwören nicht nur den Ausverkauf des Landes an Europa und die USA, sondern auch die Gefahr eines fundamentalistischen Regimes. Doch gerade diejenigen, die vor einem islamistischen Gottesstaat am meisten Angst haben müssten ? die Angehörigen der christlichen und jüdischen Minderheiten - winken ab. Es sei die AKP gewesen, die in den vergangenen Jahren wenigstens ansatzweise versucht hätte ihren Status zu verbessern. Innerhalb der EU-Reformen wurde etwa der Grundbesitz der armenischen und griechisch-orthodoxen Kirche besser vor willkürlichen Enteignungen geschützt. Die Ausbildung von Priesternachwuchs bleibt beiden Kirchen in der Türkei dagegen immer noch verwehrt. Dennoch schlug sich Patriarch Mesrob II in einem Interview ungewöhnlich offen auf die Seite der Regierung:

    Um ehrlich zu sein: Die AKP ist im Umgang mit Minderheiten gradliniger und weniger nationalistisch. Die Regierung Erdogan hat ein offenes Ohr für uns ? bei den nächsten Wahlen wählen wir die AKP.

    Nach dem Mord an den drei Christen in der anatolischen Stadt Malatya, unter den Opfern auch der Deutsche Tillmann Geske, war es Ministerpräsident Erdogan, der seine Landsleute daran erinnerte, dass es in Europa 6000 Moscheen gäbe und sich seine Landsleute endlich daran gewöhnen müssten, dass es in der Türkei Christen und Kirchen gäbe. Bei der Opposition herrschte nach den Verbrechen dagegen Schweigen. Staatspräsident Necdet Sezer, der dem Militär besonders nahe steht, forderte die Bevölkerung auf, seine Kritik auf ?demokratische Weise? zu zeigen - will sagen: Proteste gegen Christen sind gerechtfertigt, nur umbringen sollte man sie nicht. Ishak Alaton schaut mit Sorge auf die Wahlen:

    "Wenn man sich umschaut, dann ist da neben der AKP die Republikanische Volkspartei CHP, die ultranationale Parolen voller Hass verbreitet - abgesehen von den noch rechteren kleinen Parteien. Die einzige Alternative, die da bleibt, ist die AKP. Diese Partei hatte von Beginn an gute Kontakte zu den Minderheiten. Sie hatten erkannt, dass es wichtig ist mit allen Minderheiten, einschließlich der jüdischen engen Kontakt zu halten. Während alle anderen Parteien, nicht zuletzt die CHP, bis heute keinen Grund sahen, einen solchen Dialog mit uns zu führen."

    Religiös-konservative Muslime hätten Verständnis für die Belange anderer Glaubensgemeinschaften ? während die Nationalisten ihnen nur Misstrauen entgegenbrächten. Nach dem Mord an dem deutschen Christen Tillmann Geske meldete sich ein nur ein einziges Mitglied des Parlaments von Ankara bei der deutschen Botschaft, um zu kondolieren und seine Abscheu vor dem Verbrechen zum Ausdruck zu bringen. Es war der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses. Seine Partei: die AKP.