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Religiöser Größenwahn

Die drei Terrorverdächtigen der sogenannten "Sauerland-Zelle" wollten "ganz Deutschland wegbomben". Aus welchen Quellen speist sich solche religiös verbrämte Radikalisierung? Dieser Frage sind schon eine ganz Reihe von Büchern nachgegangen. Jetzt versucht sich auch der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer an einer "Psychologie des Terrors".

Von Nikolaus German | 11.05.2009
    Der Terrorist ist das in die Welt entlassene, in ihr agierende, in sie hinein explodierende Größenselbst.
    Das ist die Kernaussage Wolfgang Schmidbauers zum Charaktertyp des Terroristen oder Selbstmord-Attentäters. Als sein Untersuchungsziel nennt der Psychoanalytiker:

    In diesem Buch will ich eine (...) soziale Form der narzisstischen Störung untersuchen: den explosiven Narzissmus der menschlichen Bombe.
    Schon seit langem beschäftigt sich der Münchner Psychoanalytiker, Autor und Therapeut mit dem Thema des "explosiven Narzissmus". Vor sechs Jahren brachte er ein Buch heraus mit dem Titel "Der Mensch als Bombe. Eine Psychologie des neuen Terrorismus", in dem er beschreibt, wie sich nicht bewältigte narzisstische Kränkungen in einer "narzisstischen Explosion" entladen können. Ganz ähnlich ist Schmidbauers Ansatz in seinem jetzigen Buch, in dem er sich ausführlich mit dem islamistischen Terror beschäftigt, den er für eine neuartige Störung hält und nicht für den Einbruch rückständiger Traditionen in die Moderne:

    "Es ist wesentlich zu verstehen, dass es gerade nicht traditionell Gläubige, in einer Religion fest verwurzelte Personen sind, die zum Terrorismus neigen, sondern frisch bekehrte, die einen großen inneren Druck haben, ihre Frömmigkeit, ihre Begeisterung für den neuen Glauben um jeden Preis zu beweisen. Und dieses Streben, die eigene Wichtigkeit und Geltung zu beweisen ist etwas ganz modernes, das auch stark mit der Mediengesellschaft zusammenhängt. Ohne die modernen Medien ist ja ein Phänomen wie der Terrorismus überhaupt nicht zu verstehen."
    Schmidbauers psychologische Fallanalysen islamistischer Terroristen haben etwas erhellendes, solange sie sich im Deutungsrahmen von narzisstischer Kränkung, Rache und Geltungssucht bewegen, Beispiel Osama bin Laden. Dieser hatte eine für ihn unerträgliche Kränkung erfahren durch die Hegemonie der "sitten- und gottlosen" Amerikaner über die arabisch-muslimische Welt. Für seinen Heiligen Krieg gegen den amerikanischen "Satan" identifizierte er sich mit Saladin, dem berühmten muslimischen Sieger über die christlichen Kreuzritter. Als dann die Anschläge vom 11. September über die Bildschirme der Welt flimmerten, hatte Osamas gedemütigtes, gekränktes Selbst nicht nur an den amerikanischen "Kreuzfahrern" Rache genommen, sondern durch die globale Medienwirkung auch noch "Grandiosität" erlangt wie sein Vorbild Saladin. Weniger gelungen sind Schmidbauers Ausführungen entlang der Freudschen Begriffe "Analität" und "Ödipuskomplex", hier betreibt er dann doch eher metaphorische Poesie als seriöse Motivationserforschung. Aufschlussreich aber ist sein Vergleich von islamistischen Selbstmord-Attentätern mit Amokläufern an Schulen, da werden erstaunliche Parallelen sichtbar. In beiden Fällen handelt es sich fast ausnahmslos um junge Männer mit massiven Kränkungserfahrungen; ihre tödliche Rache an der Umwelt kalkuliert stets den eigenen Tod mit ein. Im Unterschied zu vielen anderen glaubt der Psychotherapeut Schmidbauer, dass man solchen Kränkungskatastrophen vorbeugen kann:

    Die wirksamsten Mittel gegen die narzisstische Kränkung sind nicht Disziplin, Kontrolle oder hohe moralische Ideale, sondern ein beständiger Austausch mit der Umwelt und das Gefühl eigener, kreativer Möglichkeiten, sich selbst, seine Tätigkeit und seine Kontakte zu entwickeln.

    Schmidbauer glaubt nicht, mit diesen Mitteln jegliches Risiko eines Anschlags ausschalten zu können, aber er ist der Meinung, dass man es damit reduzieren könne - wohl zurecht:

    "Wenn es um die Kränkbarkeit und die Kränkungen zwischen Gruppen geht, dann ist es ja immer ganz wichtig, dass man den anderen anerkennt; Gemeinsamkeiten zu finden und Unterschiede nicht zu leugnen, sondern mit den ganz unterschiedlichen Richtungen auch wirklich zu kooperieren. Ich finde es übrigens ganz gut, dass Obama gesagt hat, er will mit den Taliban reden; dass man aufhört, Feinde zu dämonisieren, sondern dass man anfängt mit ihnen zu sprechen, das denke ich ist immer etwas ganz Wichtiges und wäre auch etwas Verbindendes."
    Freilich gibt Wolfgang Schmidbauer zu, dass eine erfolgversprechende Kommunikation mit rigorosen Fundamentalisten oder gar Terroristen, für die nur die eigenen Argumente zählen, kaum möglich ist, weshalb man Barack Obama ja auch schon von seinem Vorhaben abgeraten hat. Hier gilt immer noch der Satz des Philosophen Karl Jaspers: Mit Glaubenskämpfern lässt sich nicht reden! Und wie ist die Situation in Deutschland? Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht von rund 40.000 Islamisten bei uns aus - alles verbohrte Glaubenskämpfer, mit denen man nicht reden kann? Ein paar hundert von ihnen gelten als potentiell terroristisch, darunter auch junge Deutsche, die zum Islam konvertiert sind. Schmidbauer meint, dass es in Deutschland einen Nährboden gibt für gefährliche Entwicklungen, man müsse fanatisierte Enthusiasten wahrnehmen, bevor sie auf Abwege geraten und zu lebenden Bomben werden. In einer frühen Phase könne man die jungen Fanatiker noch therapeutisch erreichen, wenn man ihnen die richtigen Angebote macht:

    "Ich denke bei dem derzeitigen Selbstmordterrorismus, der ja sehr stark ein interkulturelles Phänomen ist, müsste man auch interkulturelle Formen von Therapie entwickeln. Das würde heißen, dass sich zum Beispiel multikonfessionelle und multiprofessionelle Teams bilden, dass deutsche Psychoanalytiker mit arabischen Psychoanalytikern, deutsche Theologen und arabische Theologen zusammenarbeiteten, um sich zu überlegen, was man tun könnte, um solche Verirrungen, die ja einen theologischen, ideologischen Hintergrund haben, wieder zu zähmen."
    Vielleicht wäre das wirklich ein erfolgversprechender Weg, zumal der Islam mit der gewaltfreien mystischen Tradition der Sufis eine meditative religiöse Tradition besitzt, die zu tiefem inneren Frieden führt und ein harmonisches Zusammenleben aller Menschen und Religionen will. Leider hat Schmidbauer diese wertvolle therapeutische Ressource, die wegen ihrer tiefen Gottesmystik gerade für leidenschaftlich glaubende Moslems attraktiv sein könnte, in seinem Buch nicht einmal erwähnt - und das muss man ihm schon als Versäumnis ankreiden.

    Eine Empfehlung mit Einschränkungen von Nikolaus German für das Buch von Wolfgang Schmidbauer mit dem Titel: "Psychologie des Terrors. Warum junge Männer zu Attentätern werden", erschienen im Gütersloher Verlagshaus, 176 Seiten kosten 17,95 Euro.