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Religiöser Zivilist und Tyrannenmörder

Adam von Trott zu Solz wurde am 9. August vor 100 Jahren geboren und am 26. August vor 55 Jahren in der Haftanstalt Berlin-Plötzensee hingerichtet. Benigna von Krusenstjern hat zu dem Widerständler eine Biografie vorgelegt.

Von Matthias Strässner | 26.08.2009
    Adam von Trott zu Solz biografisch zu würdigen- daran sind schon manche gescheitert. Eine amerikanische Forscherin, die bei Johannes Winckelmann, dem späteren Max-Weber-Forscher, Erkundigungen über Trott zu Solz einzog, bekam deswegen zuerst ein lateinisches Zitat, und dann einen Rat zu hören. Das lateinische Zitat lautete: "quod non est in acta non in mundo" – was so viel heißt wie: Was nicht in den Akten ist, ist nicht in der Welt. Und der Rat, den der Forscher der Amerikanerin gab, war: "Suchen Sie nicht alles in den Akten!"

    Denn was die Verschwörer des 20.Juli 1944 dachten, machten, vorbereiteten, wie sie vernetzt waren, bleibt auch heute noch eine häufig ungelöste Frage. Wird auch weiter Frage bleiben müssen, denn unter den konspirativen Bedingungen wurde auf Schriftlichkeit weitgehend verzichtet. Dokumente zu schaffen, wäre lebensgefährlich gewesen. Nicht nur für das eigene Leben, sondern auch das für das Leben unzähliger Anderer. Selbst die Frau, die Freundin, die Eltern blieben so häufig von einer Mitwisserschaft ausgeschlossen, was für spätere Generationen mitunter vorschnell zur Vermutung Anlass gab, hier habe vielleicht mangelndes Vertrauen geherrscht. Das Gegenteil ist wahr: Viele der Verschwörer, darunter auch Adam von Trott zu Solz haben darunter gelitten, dass sie ihre Pläne mit sich selbst ausmachen mussten. Haben sie doch geredet, oder hatten sie unvorsichtigerweise einen Spitzel in der Runde des Vertrauens, sorgte dies für Verhaftungen, von denen die Vorgeschichte der Ereignisse vom 20. Juli voll ist.

    Dies muss vorausgeschickt werden, denn jede Biografie, die einem der Verschwörer des 20. Juli gewidmet ist, hat mit einer nicht auflösbaren Paradoxie zu tun: Das Buch mag noch so materialreich, noch so elaboriert und recherchiert sein, es kann definitiv nicht alles erzählen, und schon gar nicht das zentrale Ereignis, zu dem ja biografisch alles hinführt: das Attentat auf Adolf Hitler. Das eigentliche Thema wird im besten Fall gleichsam von außen durch Fakten begrenzt, und im Innern dieses umgrenzten Raumes bleibt jeder Leser mit dem Attentäter abschließend allein, denn hier muss er sich den Rest aus dem vorhandenen Material selbst ergänzen.

    Anders als die Amerikanerin Nancy Lukens, die ihre Biografie zu Adam von Trott zu Solz schließlich tatsächlich abbrach und es bei einem kleinen (aber immerhin interessanten) Aufsatz bewenden ließ, hat Benigna von Krusenstjern ihre Biografie zum 100. Geburtstag des Widerständlers glücklicherweise pünktlich vollenden können, und sie ist – das kann gleich zu Beginn gesagt werden - alles andere als gescheitert. Auf 600 Seiten wird Material in einer Fülle ausgebreitet, wie wir es zu Adam von Trott zu Solz noch nie gehabt haben, mit vielen neuen Dokumenten zur Lebens- und Familiengeschichte. Eine bessere, gründlicher gearbeitete Biografie ist kaum vorstellbar. Und es ist geradezu bewundernswert, wie Krusenstjern in der Deutung der Dokumente ihren eigenen Weg findet und häufig gegen Autoritäten der Widerstandsgeschichtsschreibung Fakten sanft zurechtrückt, ohne in den Gestus der Besserwisserei zu verfallen. Ob es sich bei den Korrigierten nun um Ulrich von Hassell, Eugen Gerstenmaier oder Wilhelm Melchers handelt, um nur Beispiele zu nennen – man ahnt, dass in mancher Fußnote ein eigener, kleiner Forschungsroman steckt. Sie vermag aber auch das intellektuelle Umfeld aufzuzeigen, in welchem Namen auftauchen, die man nicht immer erwartet: so zum Beispiel Clemens Lugowski, Isaiah Berlin oder auch Ernst Jünger.

    Wir erfahren in dieser Biografie Details aus der Familiengeschichte: etwa die Zeit des Vaters als preußischer Kulturminister im Kabinett unter Reichskanzler Bethmann Hollweg, ein Amt, das er unmittelbar nach der Taufe Adams 1909 annahm und erst gegen Ende des Ersten Weltkriegs 1917 aufgab. Wir erfahren von der religiösen Erziehung des jungen Adam in der Alumnenzeit in Hannoversch Münden, sehen ihn in Genf, wo bei einer Tagung christlicher Jugend- und Kirchenverbände, denen gegenüber er gleichwohl fremd bleibt, sein politisches Interesse erwacht. Adam wird noch vor seinem 22.Geburtstag an der Universität Göttingen mit "sehr gut" promoviert. Adam von Trotts Dissertation über "Hegels Staatsphilosophie und das Internationale Recht" entwickelt die These, dass Hegel die Möglichkeit einer "rechtlichen Ordnung" zwischen den Staaten durchaus nicht geleugnet hatte, und sich deswegen auch nicht automatisch als Apostel eines deutschen Militarismus eignet. Diese Hegel-Rezeption war damals auffällig, was Herbert Marcuse sofort bemerkte. Er rezensierte die Schrift entsprechend zuvorkommend im Band 2 der Zeitschrift für Sozialforschung:

    Es ist das Verdienst der vorliegenden Arbeit, Hegels Begriffe des Volksgeistes, des Nationalstaates usw. von Fehlinterpretationen zu reinigen, und deutlich zu machen, dass bei übergreifenden Gebundenheiten die Freiheit der Person nicht etwa beseitigt, sondern vorausgesetzt wird.

    Mit dem Referendarexamen in der Tasche wird Adam von Trott zu Solz Oktober 1931 Rhodes-Stipendiat in Oxford, verfehlt aber leider die Bewertungsstufe eines Klasse I- Absolventen. Als er im Sommer 1933 zurückkehrt, hatte der Mann die Macht in Deutschland übernommen, der hinfort sein weiteres Leben prägen sollte: Adolf Hitler.

    Anders als der Adelsname nahe legt, anders als der kleine Schmiss, der den Korpsstudenten verriet, hatte Trott, als er am 9.August 1930 volljährig geworden war, zum Entsetzen des Vaters die SPD gewählt und war eher "links" beziehungsweise sozialdemokratisch eingestellt. Trotzdem sah er den Versailler Vertrag wegen der Kriegsschuldklausel und der Ostgrenze zu Polen als revisionsbedürftig an. Adam von Trott zu Solz wollte nichts mit den Nazis zu tun haben. Er trat der Partei zunächst nicht bei, riskierte schlechte Referendarzeugnisse, und ging 1937/38 für fast 15 Monate nach China. Er zahlt dafür den Preis, von den brisanten Vorgängen in Deutschland und Europa (Sudetenkrise, Anschluss Österreich) zunächst abgekoppelt zu sein. Das Schiff, das ihn wegen des Todes seines Vaters vorzeitig nach Europa und Deutschland zurückbringt, erscheint ihm "wie ein großer, schwarzer Sarg". Mithilfe eines pro-britischen Nazis, Walther Hewel, gelingt es ihm, noch im Juni 1939 in England politisch sondieren zu können, wobei er aber schon alles Misstrauen eines nazikritischen Deutschen im Ausland erfährt.

    Adam von Trott zu Solz war einer der wenigen Widerständler, der in der eigenen Person den Ausgleich zwischen rechts und links hätte repräsentieren können, und wir erfahren bei Krusenstjern, dass er wie nur wenige seiner späteren Verbündeten frühzeitig eine "unmittelbare Kenntnis von der Existenz sowie von dem Scheitern und der Verfolgung sozialistischen und kommunistischen Widerstands in den ersten Jahren der NS-Herrschaft" hatte. Krusenstjern legt auch dar, dass die Freundschaft mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg alles andere als selbstverständlich war: Stauffenberg war Militär, Trott zu Solz Zivilist. Und dass sich Trott, zu dessen letzter Lektüre "Jürg Jenatsch" von Conrad Ferdinand Meyer gehörte, überhaupt je für Stauffenbergs Meister "Stefan George" interessiert hätte, ist nicht bekannt.

    Aber die Verbindung dieser beiden Personen vor dem 20. Juli 1944 ist evident: Claus Stauffenberg suchte Adam am Tag vor dem Attentat, das gleichzeitig der letzte Versuch in einer Reihe bereits gescheiterter Anläufe war, auf: "Wer eine solche psychische Last trägt", schreibt die Autorin, "möchte kurz vorher keinem Zweifler begegnen, sondern nur noch bestärkt werden". Und es waren die Aussagen von Stauffenbergs Fahrer, die denn auch die Gestapo auf die Spur von Trott zu Solz setzten. Trotz des folgenden Todesurteils dürfte die Untersuchungskommission "bis zuletzt nicht hinter die zentrale Rolle Trotts im Widerstand gekommen" sein.

    Krusenstjern unterschlägt auch nicht die private Seite. Die Frauen, die es vor Clarita Tiefenbacher gab: Diana Hubback und Shiela Grant Duff, sowie die deutlich ältere Amerikanerin Miriam Dyer-Bennet, die als erste große Liebe auch ein bisschen wie eine Kopie der geliebten Mutter Eleonore von Trott zu Solz wirkt. Deren Gläubigkeit, die Adam nicht einfach übernahm, die er aber in hohem Maße respektierte, wird es gewesen sein, die das lutherische "Hier steh ich, ich kann nicht anders" dem Sohn einpflanzte, und ihn lehrte, die Quellen immer gegen den Strom schwimmend zu suchen. Wenn man nicht die Hegel- und in besonderem Maße die Kleist-Studien zum Maßstab nimmt, wird man bei Adam von Trott wohl am ehesten von einer Nähe zu den politischen Strömungen des religiösen Sozialismus ausgehen müssen, wie er sich vor allem in England herausgebildet hatte. Aber der religiös eher nüchterne Adam von Trott zu Solz denkt eben doch in Kategorien "auferlegter Prüfungen", deren letzte und äußerste jene eine ist, die Dietrich Bonhoeffer so ausformuliert hat:

    Die außerordentliche Notwendigkeit appelliert an die Freiheit des Verantwortlichen. Es gibt kein Gesetz, hinter dem der Verantwortliche hier Deckung suchen könnte. Zur Struktur verantwortlichen Handelns gehört die Bereitschaft zur Schuldübernahme und die Freiheit.

    Diese Verantwortung zur Schuldübernahme stellvertretend für ein ganzes Volk, zur Beseitigung des Tyrannen Adolf Hitlers, hat Adam von Trott am 20.7.1944 mit übernommen, und dafür wurde er am 26.August vor 55 Jahren in der Haftanstalt Berlin-Plötzensee hingerichtet. Eine längere Passage seines letzten Briefes an seine Frau Clarita vom 15. August 1944, widmete von Trott – im Wissen als Landesverräter zum Tode verurteilt zu werden - seinem politischen "Dienst" an Deutschland:

    Am meisten schmerzt mich, unserm Land die besonderen Kräfte und Erfahrungen, die ich in fast zu einseitiger Konzentration auf seine außenpolitische Behauptung unter den Mächten in mir ausgebildet hatte, nun vielleicht nie mehr dienend zur Verfügung stellen kann. Hier hätte ich wirklich noch helfen und nützen können. Auch meine Gedanken und Vorschläge hierzu hätte ich so gern noch einmal in zusammengefasster Form für andere zur Verfügung gestellt. Aber es wird mir wohl versagt bleiben. Es war alles ein aus der Besinnung und Kraft unserer Heimat, deren tiefe Liebe ich meinem Vater verdanke, aufsteigender Versuch, ihr in allen modernen Wandlungen und Erschwerungen unwandelbar bleibendes Recht und ihren tiefen, unentbehrlichen Beitrag gegen den Übergriff fremder Mächte und Gesinnungen zu erhalten und zu vertreten. Darum bin ich aus der Fremde mit ihren Verlockungen und Möglichkeiten immer mit Unruhe und begierig dorthin zurückgeeilt, wo ich mich zu dienen berufen fühlte. Was ich draußen lernte und für Deutschland tun konnte, hätte mir hierbei gewiss sehr geholfen, weil um diese Zeit nur wenigen solche weitverzweigten Möglichkeiten zuteilwurden. So muss ich hoffen, dass auch ohne mich von vielen dieser Verbindungen auch so Verständnis und Hilfe zufließen wird, wenn es einmal wieder nötig und wünschenswert sein sollte. Aber ein Sämann überläßt nicht gerne knospende Saaten anderen zur weiteren Bearbeitung, denn zwischen Saat und Ernte liegen ja noch so viele Stürme.

    Benigna von Krusenstjern : "dass es Sinn hat zu sterben – gelebt zu haben". Adam von Trott zu Solz 1909-1944 Biografie
    Wallstein 2009, Göttingen