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Religiöses bei der Berlinale
Das Faszinosum des Göttlichen

An diesem Wochenende gingen in Berlin die Filmfestspiele zu Ende. In gewisser Weise spiegelt die Berlinale immer auch die Themen, die in der Gesellschaft relevant sind. Zahlreiche Filmemacher aus allen Teilen der Welt beschäftigten sich auch diesmal mit Fragen von Religion und Spiritualität.

Von Kirsten Dietrich | 16.02.2015
    Werbeplakate in Berlin für die Berlinale.
    Auf der diesjährigen Berlinale haben sich viele Regisseure mit den unterschiedlichen Religionen in ihren Filmen auseinandergesetzt. (JOHN MACDOUGALL / AFP)
    Es sind nicht die überzeugten Gläubigen, die die herausfordernden Filme machen, sondern die Suchenden. Die frommen Christen haben in den USA eine ganze Industrie für saubere Erweckungsgeschichten. Die fanatischen Muslime verbreiten mit ihren Clips via Youtube Schrecken – und Faszination. Die Suchenden aber stellen mit ihrer Kamera Fragen: Wem kann man glauben? Und könnte sie vielleicht doch etwas zu bieten haben, diese fremde Instanz Gott? Schöne Filmbilder bietet sie auf jeden Fall - voller Gold und warmem Rot und Orange der Mönchsroben zum Beispiel.
    Ganz ernst bei der Sache sind sie, die vier kleinen Mönche, höchstens zehn Jahre alt und auf eine Weise selbstständig, wie das bei uns niemand wagen würde. Natürlich sind sie bitterarm, in einem Land, das sich erst langsam der Moderne öffnet. Aber trotzdem ist die Faszination zu spüren, die Regisseur Brian Perkins zu seinem Film „Golden Kingdom" gebracht hat:
    "Ich bin selbst nicht buddhistisch, aber benutze die Praxis für Meditation. Es ist sehr wichtig für mich. Aber ist nicht ein Film von einem Glaube. Es ist Film von jemand, der hat viel Respekt hat für die Religion, aber ist mehr ein spiritueller Film."
    Faszination Buddhismus
    Die Berlinale ist in diesem Jahr regelrecht fasziniert vom Buddhismus. Gleich mehrere Filme führen nach Tibet, zur chinesischen Minderheit der Yuguren oder in die Mongolei und tauchen ein in ostasiatische Kulturen, in denen das religiöse System scheinbar unberührt von der Moderne funktioniert. Auch wenn die Gegenwart die Hauptfiguren durchaus vor Herausforderungen stellt.
    Im Film "Golden Kingdom" dringen die Konflikte von Myanmar auch in die abgelegene Welt des Klosters: der Mentor der Kindermönche verschwindet mit einem unklaren Auftrag, Schüsse fallen, ein verwundeter Soldat kommt zum Sterben ins Kloster. Dazu kommt: Die Kinder sind wahrscheinlich nicht aus freier Wahl zu Mönchen geworden. Armut und Verlust der Eltern ließen keine andere Wahl, das deutet der Film vorsichtig an. Keine heile Welt buddhistischer Friedfertigkeit also, wie sie der Westen so gern imaginiert. Und doch ruhen die Kinder ganz in ihrer Tradition. Ihr Tagesablauf ist geregelt, aber gibt ihnen genau darin Sicherheit und auch: Freiheit. Regisseur Brian Perkins:
    "Das hat am ersten Tag mich eingedrückt. Dass die Kinder so selbstständig sind. Und sie sind so jung. In den USA oder in Deutschland sin Kinder sehr überwacht. Das hat immer einen Zeitplan und Stundenplan. Und da es gibt ein bisschen mehr Freiheit. Es gibt auch Regeln, aber gibt auch mehr Freiheit - das kommt vom Buddhismus auch. Es ist nicht einfach "Du bist Kind, ich bin ein Erwachsener". Als die Kinder Mönch geworden sind, die Eltern mussten sich verbeugen vor den eigenen Kindern."
    Hilfe zur Orientierung
    Buddhismus als Hilfe zur Orientierung angesichts der Wahlmöglichkeiten der Moderne - dieses Thema fasziniert dabei nicht etwa nur Filmemacher aus dem Westen. Das zeigt der thailändische Dokumentarfilm "So be it". Er porträtiert zwei zehnjährige Jungen. Der eine, Bundit, wird von seiner Familie in die Klosterschule geschickt - die einzige Hoffnung seiner bitterarmen Familie auf Bildung. Schwänz nicht so oft, sonst zwingt der Abt dich, wirklich Mönch zu werden, mahnt die Mutter. Aber Bundit findet die Strenge der Schule kaum erträglich. William auf der anderen Seite möchte nichts lieber, als Mönch werden. Aber William wird auch in der Stadt groß, als Kind einer gutbürgerlichen Familie. Den Buddhismus lernt er kennen als Mitstreiter einer Realityshow im Fernsehen - in ihr können Kinder erproben, was es heißt, ein Mönch zu sein. Das beinhaltet Lektionen über das Leben des Buddha - bei denen William, statt zu meditieren, lieber Streit anfängt.
    Seit er bei der Fernsehshow angefangen hat, über den Buddhismus wirklich nachzudenken, ist William konzentrierter und hat sich besser im Griff, sagen die besorgten Eltern. Das könnten dann bei allem buddhistischen Hintergrund auch deutsche Mütter und Väter sagen.
    Schamanen, Trommeln, archaische Rituale: immer wieder werfen die Filme dieser Berlinale faszinierte Blicke auf indigene, ursprüngliche Traditionen. Besonders gelungen sind dabei die Versuche, die nicht beim Dokumentieren stehenbleiben, sondern verstehen lassen: Dieses Ritual findet in der Gegenwart statt, nicht etwa in einem Paradies vor dieser Zeit. Der indonesische Kurzfilm "Lembusura" ist so ein Film: Junge Männer spielen das Ritual eines javanischer Vulkangottes nach, bis der Muezzin zum Gebet ruft – und das Filmen demgegenüber frivol erscheint. Im Abspann danken die Filmemacher dann Gott, welchem auch immer. Oder der japanische Film "The Voice of Water": Die junge Minjun wirkt so überzeugend als religiöses Medium, dass um sie herum eine durchaus geschäftstüchtige Sekte entsteht. Ihr Kult ist von Elementen des Animismus geprägt, Geister sind gegenwärtig, eine große Sehnsucht nach der Natur – und trotzdem wissen die meisten Gläubigen, dass Kult ein Betrug ist. Im Zentrum steht keine religiöse Erfahrung, sondern eine sympathische junge Frau mit guten Drehbüchern.
    Kraft der überlieferten Religion
    In Zerfall gerät der Kult nicht durch religiösen Betrug, sondern durch die Kraft der überlieferten Religion: Minjun, die junge Mittlerin, will authentisch werden und wendet sich deshalb der Religion ihrer Vorfahren zu, dem Schamanismus, wie er auf der koreanischen Insel Jeju praktiziert wird, mit Trommeln, zeremoniellen Messern und fließenden Gewändern. Das ist den nach Orientierung suchenden Gläubigen dann nicht mehr individuell genug. Eine Angst breitet sich aus, der Kult könne nicht mehr wirken.
    Yamamoto:
    "Die drei Jahre, seitdem Japan vom Erdbeben erschüttert wurde, haben alles durcheinandergebracht. Es ist alles auf einmal offen. Deshalb habe ich versucht, eine Antwort auf die Verwirrung zu finden."
    Sagt Regisseur Masashi Yamamoto. Wobei es kein Erdbeben mit Tsunami und Kernschmelze im Atomkraftwerk braucht, um diese spirituelle Heimatlosigkeit auszuprägen.
    Szumowa:
    "Ich glaube, die Hälfte der polnischen Gesellschaft glaubt an Geister. Eigentlich ein Paradox in einer so katholischen Gesellschaft. Auch wenn ich nicht weiß, ob es wirklich Geister gibt. Wahrscheinlich nicht."
    Malgorszata Szumowska, Regisseurin des polnischen Wettbewerbsbeitrags Body:
    "Wir wollten nichts verurteilen. Es geht mehr darum um Präsenz: Bist du wirklich da, in der Gegenwart, siehst du die Menschen um dich so, wie sie sind, ohne Illusionen – das ist wahrscheinlich wichtiger als Glauben, Religion oder Spiritualität. Um die Lücke zu füllen."
    Kraft und Heilung
    Wenn sie im Film "Body" magersüchtige Mädchen therapiert, nutzt die Therapeutin Anna alles, was im Schatzkästchen der Spiritualität schlummert: Urschrei, Familienaufstellung, Mediation. Nach Dienstschluss geht sie einen Schritt weiter: Da empfängt Anna in spiritistischen Sitzungen Botschaften von Verstorbenen, an deren Hinterbliebene auf Erden. Das tröstet besser als etwa Totenmessen, die seit Jahrhunderten in immer gleicher Form gelesen werden. Für die anderen beiden Hauptfiguren des Films allerdings, Vater und Tochter, die ebenfalls um die Mutter und Ehefrau trauern, findet der Film dann doch andere Wege zu Kraft und Heilung: nicht spirituell, sondern ganz diesseitig und menschlich.
    Gott spricht zur Supermarktkassierin Gabi. Nur dass Gabi in ihrem wohlgeordneten Leben nichts weniger braucht als verstörende Offenbarung.
    Der österreichische Film "Superwelt" richtet diesen individuellen, spirituellen, aber auch auf den persönlichen Mehrwert achtenden Blick schließlich auf eine vom Christentum geprägte Welt. Der brennende Dornbusch ist hier die Ligusterhecke an der Grundstücksgrenze, abgefackelt beim Grillen, das letzte Abendmahl wird zum Kaffeebesuch im Bauwagen. Aber Gabi deutet diese Symbole nicht als Gotteszeichen. Nein, Gabi braucht keine Offenbarung. Sinnfragen dagegen schon. Irgendwann ist Gott wieder weg aus ihrem Kopf, so unspektakulär, wie er gekommen ist. Und auf einmal merkt man: Es hat sich doch etwas verändert, mit irgendetwas ist sie in Kontakt gekommen. Ein vorsichtiger, aber durchaus menschenfreundlicher Blick auf die spirituelle Erfahrung des Einzelnen, bei Desinteresse oder Ablehnung der Institution: Diese Haltung prägt den Umgang der Filme überhaupt mit der Religion.