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Religion Bahá‘i
Selbstständige Suche nach Wahrheit

Etwa sechs Millionen Menschen weltweit bekennen sich zum Bahá'itum, rund 6000 leben in Deutschland - die Öffentlichkeit interessiert sich allerdings kaum für sie. Gemäß ihrem Glauben haben alle Religionen einen gemeinsamen Ursprung. An diesem Montag endet das höchste Fest, Ridvan. Einblicke in eine fremde Welt mitten in Deutschland.

Von Kadriye Acar | 02.05.2016
    Menschen bei einer Bahái Andacht
    Menschen bei einer Andacht zum 19 Tage Fest. (Paulus Ponizak)
    Köln Nippes. Nur ein Papierschildchen an der Tür weist darauf hin, dass hier das Gemeindezentrum der Bahá'i ist. Ein schlichtes Gebäude, innen wie außen. Rund 40 Frauen und Männer haben sich hier zu einem besonderen Anlass versammelt. Einer von ihnen: Christian Henrichs, der die Bahá'i beim Kölner Rat der Religionen vertritt:
    "Die Gemeinde trifft sich alle 19 Tage zum 19 Tage Fest. Das kann man vielleicht am ehesten in unserer Gesellschaft mit dem Gottesdienst vergleichen."
    Hintergrund des Festes: Nach dem Bahá'i-Kalender ist das Jahr in 19 Monate mit jeweils 19 Tagen eingeteilt. An jedem Monatsanfang begehen die Bahá'i weltweit ein Fest mit Familie und Freunden in ihren jeweiligen Gemeinden.
    "Manifestation Gottes"
    Weltweit bekennen sich circa sechs Millionen Menschen zum Bahá'itum, 6000 Bahá'i leben in Deutschland. Die Geschichte der Bahá'i fängt Mitte des 19. Jahrhunderts im Iran an. Baha'ullah, der Religionsgründer, war ein Sohn aus adligem Hause. 1863 verkündete er im Garten Ridvan, nahe bei Bagdad, dass er die "Manifestation Gottes für dieses Zeitalter" ist. Christian Henrichs erklärt:
    "Gott erschafft den Menschen aus Liebe. Gleichzeitig ist Gott unermesslich über den Menschen stehend. Und kann vom Menschen nicht erfasst werden. Und dafür sendet er dann Gottesboten, Gottesoffenbarer. Und diese Gottesoffenbarer gehen wie eine Perlenkette durch die Geschichte durch. Da gab es Abraham, da gab es Moses und so weiter. Und die göttlichen Offenbarungen gibt es die ganze Menschheitsgeschichte durch. Die Gottesoffenbarer von Gott sind diejenigen Kanäle, die einen Zivilisationsschub bringen. Und wir glauben, dass Baha'ullah der Gottesoffenbarer unserer Zeit ist."
    Zum Gedenken an den Tag der Verkündung wird das Ridvan Fest gefeiert, das in diesem Jahr am 2. Mai seinen Höhepunkt hat.
    "Der erste, der neunte und der 12 Ridvan werden durch besondere Feiern begangen. Und die sind auch sehr wenig formalisiert. Das heißt es muss immer ein geistiger Teil dabei sein. Eine Andacht, ein Gebet. Und dann gibt es sicher einen Teil, wo man über die Geschichte dieses Tages, den Anlass erzählt. Und dann gibt es einen feierlichen und geselligem Teil mit etwas schönem zu essen, künstlerischen Darbietungen, wo man mit Freunden und Familie zusammenkommt", erklärt die 43-jährige Juristin Helia Daubach. Sie ist seit drei Jahren eine Bahá'i. So wenig ritualisiert die Feste ablaufen, auch das Bekenntnis zu Bahá'i'ullah bedarf keiner besonderen Zeremonie. Wer zum Bahá'itum "konvertieren" möchte, informierte lediglich den Nationalen Geistigen Rat der Bahá'i in Hofheim/Taunus.
    Besondere Beziehung zu Deutschland
    Die erste deutsche Bahá'i-Gemeinde wurde 1907 gegründet. 1913, mit dem Besuch von Abdul Baha, dem Sohn und geistigen Nachfolger von Baha'ulla, in Europa und Amerika, kam ein neuer Impuls und verschiedene kleine Gemeinden entstanden. Einen zweiten Schub erhielten die Gemeinden durch die Bahá'i, die aus dem Iran geflohen sind, weil sie als religiöse Minderheit bis heute verfolgt werden. Abdul Baha wird eine besondere Beziehung zu Deutschland nachgesagt. Christian Henrichs:
    "Abdul Baha, der Sohn Baha'ullahs hat gesagt, dass er zum Beispiel an den Deutschen, an der deutschen Gemeinde, so ihre Kritikfähigkeit sehr schätzt. Und auch den Geist und die Widerstandsfähigkeit."
    Auch die 31-jährige Effie Dimitrou ist bei jeder Feier dabei. Die Requisiteurin hat griechisch-orthodoxe und evangelische Wurzeln. Die griechisch-orthodoxe Familie des Vaters war davon nicht sehr angetan, dass er Bahá'i wurde. Umgestimmt hat sie schließlich das Argument, dass der Sohn immer noch an Gott glaubt.
    "Weil wir daran glauben, dass alle Religionen von einem Ursprung kommen. Deswegen alle Religionen gleich sind. Wir glauben auch an die Gottesoffenbarer aus der Vergangenheit, auch an die heiligen Bücher. Nur dass sie zu verschiedenen Zeiten gekommen sind, weil die Menschheit sich auch entwickelt. Wir sind sind nicht die gleichen Personen, wie vor 2000 Jahren, als Christus gekommen ist. Wir haben andere Bedürfnisse, anderes Verständnisvermögen, so muss sich die Religion auch anpassen", sagt Effie Dimitrou.
    Auch in der Bahá'i-Religion gibt es Gebote und Verbote. So ist es ein Gebot, jeden Morgen und jeden Abend in den Bahá'i-Schriften zu lesen. Ebenso gibt es drei Pflichtgebete, die einzuhalten sind. Alkohol und andere berauschende Substanzen sind verboten, Sex ist nur in der Ehe erlaubt. Aber für Helia Daubach ist ein anderes Gebot am schwierigsten einzuhalten: "Ich habe mehr das Gefühl, dass ich Probleme habe die Gebote in meinem Arbeitsalltag umzusetzen. Ein ganz einfaches Beispiel: Üble Nachrede ist absolut verboten. Über den Abwesenden irgendetwas zu verbreiten, es muss nicht einmal negativ sein. Wenn man versucht das wirklich zu leben dann stelle ich zumindestens immer wieder fest, es gibt eine gewisse Kultur durchaus auch am Arbeitsplatz immer wieder eigentlich damit auch soziale Beziehungen zu festigen, dass man sowas tut. Und das ist für mich schwierig, mich damit immer dran zu erinnern auch nicht versehentlich in eine solche Geschichte zu geraten."
    Selbständige Suche nach Wahrheit
    Wie andere Religionen legt auch das Bahá'itum großen Wert auf die Erziehung der Kinder nach ihrem Glauben. In regelmäßigen Abständen gibt es Kinder- und Jugendcamps, wo ein ganzes Wochenende gespielt und gelernt wird. In Mittelpunkt stehen die Lehren Bahá'is, deren Vermittlung und Verinnerlichung. Nikan, Jihan und Felix sind zwischen 10 und 12 Jahre, was verbinden sie mit ihrer Religion?
    "Freundschaft, Höflichkeit und gemeinsam, also dass man gemeinsam ist, Gemeinde halt", sagt Felix. Und Nikan fügt hinzu: "Zukunft, Baha'ullah und Einigkeit." Jihan ergänzt: "Geduld, Freundschaft."
    Der 21-jährige Lehramtsstudent Dariusz Cziemek ist einer von 6 Betreuern, die sich um die Kinder und Jugendlichen kümmern. Er entschied sich mit 15 Bahá'i zu werden. "Es gibt keinen Klerus, das ist auch eng verknüpft mit dem Konzept der selbständigen Suche nach Wahrheit. Dass jeder selber in der Lage ist die Schriften zu lesen und dass es Niemanden gibt, der für einen die Sachen auslegt", sagt er.