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Religion im Wahlkampf: Islam
Innere Unsicherheit

Im Wahlkampf von CDU und SPD kommt der Islam kaum vor, aber der Islamismus. Eine Religion wird zum Objekt von Terrorabwehr und Extremismus-Prävention. Warum ist das so? Was sagen die kleineren Parteien? Die neue Reihe im Dlf blickt genauer in die Wahlprogramme.

Von Burkhard Schäfers | 18.09.2017
    Eine Wählerin mit Kopftuch gibt in einem Wahllokal in Kreuzberg in Berlin ihren Stimmzettel ab.
    Die Integration von Muslimen ist in diesem Wahlkampf vor allem als Thema der Inneren Sicherheit in den Parteiprogrammen präsent (Maja Hitij/dpa)
    "Den Missbrauch des Islam für Hass, Gewalt, Terrorismus und Unterdrückung lehnen wir gemeinsam mit allen friedlichen Muslimen ab." - "Wir wollen eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Hasspredigern und Islamistinnen und Islamisten durchsetzen." - "Wir fordern wirksame Maßnahmen gegen den radikalen Salafismus."
    Drei Sätze aus den Wahlprogrammen von Union, SPD und FDP. Religion ist im Wahlkampf diesmal vor allem ein Thema der Inneren Sicherheit. Bei allen relevanten Parteien stehen der Islam und seine extremistische Vereinnahmung - der Islamismus - im Fokus. Für den stellvertretenden CSU-Generalsekretär Markus Blume heißt die Frage: Geht eine offene Gesellschaft mit dem Islam zusammen?
    Terrorabwehr und Extremismus-Prävention
    "Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Islam möglich ist, aber es ist ein anderer Islam als wir ihn häufig sehen", sagt Markus Blume. "Es ist ein aufgeklärter Islam, ein europäischer Islam. Es ist ein Islam, der Teile der Wegstrecke auch erst noch gehen muss und sich auch hier finden muss. Religionsfreiheit und ihre Grenzen heißt dann zum Beispiel auch zu sehen, dass religiöse Überzeugungen hier nicht an die Stelle einer Rechtsordnung treten können. Jeder, der auf dieser Grundlage unserer freiheitlichen Gesellschaft hier Religion ausüben will, der muss sich an diese Spielregeln halten."
    Terrorabwehr und Extremismus-Prävention - vor allem unter diesen Schlagworten befassen sich Union und SPD in ihren Wahlprogrammen mit dem Islam. Wie fremd, wie angstbesetzt ist der Islam in Deutschland - oder andersherum: Wie sehr werden Muslime als Teil der Gesellschaft gesehen? Für CDU und CSU hängt das davon ab, wie sehr sich die hier Lebenden von ihren Herkunftsländern unabhängig machen, sagt Markus Blume:
    "Zu dieser Emanzipation gehört auch, dass wir klare Regeln aufstellen, dass Finanzierung aus dem Ausland - dass das Dinge sind, die uns für die Zukunft definitiv nicht weiterhelfen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen sicherstellen, dass die Ausbildung der Imame in Deutschland stattfinden kann. Nicht nach Vorgaben aus dem Ausland, die wir im Zweifelsfall gar nicht kennen. Wir müssen auch sicherstellen, dass in der Regel hier in Deutsch gelehrt und gepredigt wird. Einfach weil das auch zur kulturellen Prägung dieses unseres Landes gehört."
    Eine harsche Gegenposition zu den hier lebenden Muslimen nimmt die AfD ein: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", formuliert sie in ihrem Wahlprogramm, spricht von einem "Kulturkrieg" und sieht den Islam - so wörtlich - "im Konflikt mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung". AfD-Politikerin Anette Schultner:
    "Sie haben allein 900 Moscheen, die via DITIB vom türkischen Religionsamt finanziert werden. Sie haben Moscheen, die aus Saudi-Arabien finanziert werden. Und die haben ein rechtliches Verständnis, das ganz, ganz weit von dem entfernt ist, was wir in Deutschland haben. Und was wirklich auch der Integration der Muslime entgegensteht. Hier geht es um religiösen Imperialismus, und das ist ein Problem für unser Land."
    Mehr Islamverbände anerkennen?
    Ganz anders sieht das die Linkspartei: Sie kritisiert, es gebe weit verbreitete Vorurteile gegenüber dem Islam. "Unter dem "Deckmantel der Islamkritik" werde "antimuslimischer Rassismus" verbreitet. Zudem benachteilige der Staat muslimische Organisationen gegenüber den Kirchen, meint die linke Religionspolitikerin Christine Buchholz.
    "Antimuslimische Vorurteile, antimuslimische Haltungen in der Gesellschaft, die auch rasant angewachsen sind über die letzten zehn, 20 Jahre - einerseits werden sie unterstützt durch eine Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich, aber auch beispielsweise durch Gesetzgebung wie das Kopftuchverbot. Und andererseits wird diese Gesetzgebung immer wieder bestärkt durch den gesellschaftlichen Rassismus."
    Die Linke fordert in ihrem Wahlprogramm, alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften müssten gleichgestellt werden. Hintergrund: Das Grundgesetz garantiert die Religionsfreiheit und die Freiheit, sich zu Religionsgemeinschaften zusammen zu schließen. Zugleich sind die staatliche Anerkennung und die damit verbundenen Rechte an bestimmte Bedingungen geknüpft, etwa die Zahl der Mitglieder und das dauerhafte Bestehen einer Organisation. Das Gros der Islamverbände ist deshalb nicht anerkannt.
    "Die meisten würden meines Wissens die Kriterien erfüllen", sagt Buchholz. "Es gibt halt einen politischen Unwillen, das zu tun. Das sagen mir auch viele Verbandsvertreter immer wieder: Dass die Verfahren schleppend laufen, dass Hürden hochgesetzt werden. Da gibt es die Anforderung an den Gesetzgeber, die Voraussetzungen zu schaffen. Weil die muslimischen Verbände sind natürlich nicht organisiert wie die katholische Kirche. Aber ich glaube, wenn es einen Willen gibt, gibt's auch einen Weg. Und diesen Prozess muss man einleiten."
    Plakate unterschiedlicher Parteien sind auf einer Wand in Hannover (Niedersachsen) zu sehen.
    Bei "Religion im Wahlkampf" kommen Union, SPD, Grüne, FDP, Linke und AfD zu Wort - Parteien, die nach aktuellen Umfragen dem Bundestag angehören werden (dpa / picture alliance / Holger Hollemann)
    Was in der Debatte zum Teil übersehen wird: Der Staat erkennt nicht eine Religion als solche an, sondern Religionsgemeinschaften. Manifest wird dies, wenn eine Organisation Körperschaft des öffentlichen Rechts wird, sagt der Münsteraner Politikwissenschaftler Ulrich Willems:
    "Die Schwierigkeit mit dem Körperschaftsstatus besteht darin, dass das eigentlich eine Einrichtung gewesen ist, die die Religionsausübung fördern sollte. Es ist aber heute dazu gekommen, dass das eine symbolische Dimension bekommt, dass es also darum geht, ob man eine anerkannte Religion ist. Und die Verweigerung dieser Form von Anerkennung prägt die Debatte über den Islam so, dass es wahrgenommen wird, dass eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dieser Religion besteht."
    Auf einen Aspekt in diesem Kontext verweist Volker Beck, Religionspolitiker der Grünen: Die Islamverbände seien nicht entlang theologischer Strömungen formiert. Das stehe der Anerkennung als Religionsgemeinschaften im Weg.
    "Der Islam in Deutschland, wenn man seine Verbandsstruktur betrachtet, ist eigentlich nicht religiös, sondern politisch organisiert. Die Differenz der Verbände liegt nicht im Bekenntnis, was die Gläubigen glauben oder was die Imame lehren, sondern er liegt im Unterschied der Herkunft oder der politischen Richtung der Gläubigen. Wir wünschen uns islamische Glaubensgemeinschaften in Deutschland. Und die sollen dann auch die gleichen Rechte wie die Kirchen oder die jüdische Gemeinschaft haben, aber sie müssen dazu rein glaubensbedingt sein."
    Konflikt mit der Türkei lähmt Integration
    Diese Position hat viel mit den politischen Verwerfungen in der Türkei zu tun. Die Krise lähmt die Integration türkischer Muslime in Deutschland, da sind sich die verschiedenen Parteien einig. Denn erster Ansprechpartner für die Politiker in Islamfragen ist seit langem der türkische Verband DITIB. Er ist der türkischen Religionsbehörde unterstellt. Einfluss und Finanzierung aus dem Ausland, das ist allen Parteien ein Dorn im Auge, auch SPD und FDP. Deshalb brauche die Politik hierzulande neue Ansprechpartner, sagt CSU-Mann Markus Blume.
    "Ich sehe auf Dauer die DITIB nicht als den zentralen Verhandlungspartner für uns, schlichtweg weil sie einen in Zukunft kleiner werdenden Teil des Islam vertritt. Und wir im Übrigen auch aufpassen müssen, dass wir uns hier nicht mit einem Partner auseinandersetzen, der viel zu eng mit dem türkischen Staat verbunden ist, der wiederum im Moment ja eine ganz schwierige Entwicklung nimmt."
    Die Integration von Muslimen in Deutschland, sie wird in den Parteien vor allem vor dem Hintergrund zweier Probleme diskutiert: Der politischen Lage in der Türkei einerseits - und dem islamistischen Terror andererseits. Nach befriedigenden Antworten suchen die Politiker noch.