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Religion und Politik

Über das Verhältnis Gott, Amerika und Weltpolitik macht sich Ex-US-Außenministerin Madeleine K. Albright Gedanken. Ihr Buch "Der Mächtige und der Allmächtige" kann als Abrechnung mit der Regierung Bush gelesen werden, wenn auch gut und dick verpackt in eine allgemeine Abhandlung über die Religion in der Politik.

Von Brigitte Baetz |
    Die USA gehören zu den ältesten Demokratien der Welt. Doch anders als ihre meisten Nachahmer berufen sie sich in ihren politischen Ritualen immer wieder auf Gott. In einem Land, in dem fast jede öffentliche Rede mit dem Zusatz "God bless America” endet, gibt es eine Unbefangenheit im Umgang mit dem Allmächtigen, die im "alten Europa" lange Zeit eher für gutmütige Erheiterung sorgte, inzwischen aber auf Unverständnis und Ablehnung stößt. Auch Madeleine Albright merkt man an, dass sie in vielerlei Hinsicht noch ein Kind Europas ist. Die Tochter tschechischer Flüchtlinge, die zudem im fortgeschrittenen Alter erfahren hat, dass sie jüdischer Abstammung ist, wurde zwar christlich erzogen, hat sich aber ihre Skepsis hinsichtlich der Vermischung von Religion und Politik bewahrt.

    Albright: "Jeder amerikanische Präsident hat sich in der einen oder anderen Weise auf Gott berufen, sogar Männer, von denen man das nicht erwartet hätte, Roosevelt und Kennedy zum Beispiel. Der Unterschied bei Präsident Bush ist die Gewissheit, mit der er sich auf die Religion bezieht, dass er zum Beispiel sagte, Gott habe gewollt, dass er Präsident sei und dass Gott auf der Seite Amerikas stehe. Damit unterscheidet er sich von Präsident Lincoln, der sagte: 'Wir müssen auf Gottes Seite stehen.'"

    Madeleine Albright, die ehemalige Außenministerin unter Clinton und langjährige Beraterin demokratischer Präsidentschaftskandidaten, sieht sich in einer ganz anderen Tradition als George W. Bush, nämlich in der eines George F. Kennan oder eines Hans Morgenthau, Männern, die nach dem Zweiten Weltkrieg die akademische und die praktische Beschäftigung mit Außenpolitik entscheidend prägten.

    "Die Aufgabe der Diplomatie war die Vermittlung zwischen unterschiedlichen Interessensstandpunkten, um den Ausbruch von Kriegen und damit das Ende der Welt zu verhindern. Man verglich Außenpolitik mit Schach: kopfgesteuert mit zwei Spielern, denen die Regeln bekannt waren. Es ging um einen Wettkampf nach logischen Regeln, die Spieler redeten eher wie Rechtsanwälte, nicht wie Prediger. (...) Religion war etwas, das jenseits der Vernunft angesiedelt war. Sie konnte sehr intensive Empfindungen hervorrufen, und im historischen Rückblick sahen wir, dass sie zu viel Blutvergießen geführt hatte. Den Diplomaten meiner Generation brachte man bei, Ärger zu vermeiden, und es gab wohl kein tückischeres Thema als Religion."

    Madeleine Albrights Buch "Der Mächtige und der Allmächtige" kann als Abrechnung mit der Regierung Bush gelesen werden, wenn auch gut und dick verpackt in eine allgemeine Abhandlung über die Religion in der Politik. Die Politikprofessorin entwirft ein großes Panorama. Sie behandelt die Geschichte der Religion im amerikanischen Selbstverständnis. Sie zeigt an den Beispielen des Vietnam-Krieges oder der amerikanischen Unterstützung des Schahs von Persien die "bösen Folgen guter Absichten" auf. Sie erklärt die Grundbegriffe des Islam, die Geschichte des Nah-Ost-Konflikts und das Dilemma Saudi-Arabiens im Dilemma zwischen religiöser Orthodoxie und Öffnung nach Westen. Sie beschreibt nichts, was nicht eigentlich schon bekannt wäre, beschönigt oder verfälscht aber auch nichts. Und auch wenn man den Einsatz der USA im Kosovo, unter Fachleuten auch gern "Madeleines Krieg" genannt, als nicht so altruistisch betrachtet, als Albright ihn sieht, so kann man doch mit ihrer Darstellung leben.

    "In meiner Zeit in der Regierung habe ich mich selbst nie als reine Realistin, noch habe ich mich als reine Idealistin betrachtet. Ich habe mich immer als Mischung aus beidem gesehen. Für mich war Regieren eine pragmatische Aufgabe, der man in einer unübersichtlichen und gefährlichen Welt nachgehen muss, aber eine rein realistische Perspektive erschien mir immer als zu kaltblütig. Ich konnte mir nie vorstellen, wie wir einen geraden Kurs ohne Rückgriff auf moralische Prinzipien hätten verfolgen können. Was bedeutet das? Moral bemisst sich für mich über die Wirkung, die man auf das Leben von anderen ausübt."

    Aus der Ausführlichkeit, mit der Albright ihr Buch angelegt hat, ist abzulesen, dass es für eine amerikanische Öffentlichkeit gedacht ist, die gerade in internationalen Fragen von einer manchmal erschreckenden Ahnungslosigkeit ist. Es ist fast so etwas wie ein Kompendium amerikanischer Außenpolitik mit Schwerpunkt auf die islamische Welt. Fehlgeschlagen ist, so Albright, dabei vor allem eine Politik, die nur auf Schwarz und Weiß setzt und die Welt in Gut und Böse aufgeteilt hat. Die ehemalige Außenministerin wirbt, ganz geschulte Diplomatin, um Verständnis für den anderen Blick der islamischen Staaten als auch um Nachsicht für die Fehlerhaftigkeit der Politik des Westens.

    "Oft trifft man Entscheidungen nicht nur unter Bedingungen lückenhafter Information, sondern auch im Angesicht widersprüchlicher Forderungen, befremdlicher Ungewissheiten und unverrückbarer 'Wahrheiten', die bei näherer Betrachtung schnell zu Halbwahrheiten zusammenschrumpfen können. Zwar gibt es Gut und Böse, aber sie treten immer in Mischungsverhältnissen auf und nicht schön nebeneinander einzeln verpackt. Mit dieser Einsicht beschäftigen sich die Philosophie, das Theater, die Literatur, die Kunst und auch der Katechismus meiner Kindheit. In der glatten Rhetorik unserer politischen Führer wird sie jedoch oft ignoriert. Die Probleme tauchen spätestens dann auf, wenn das Reden ein Ende hat und das Handeln beginnt. Dann wird oft schmerzlich sichtbar, wie groß die Lücke zwischen unseren Absichten und den Möglichkeiten, sie umzusetzen, ist."

    Albright: "Eine der nicht beabsichtigten Folgen des Krieges ist sicherlich der zunehmende Einfluss des Iran. Wie wir alle wissen, haben wir im Westen uns schon seit 30 Jahren darum bemüht, eine Art Gleichgewicht zwischen Iran und Irak herzustellen. Das ging so weit, dass die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates im iranisch-irakischen Krieg beide Seiten unterstützten. Ich befürchte jetzt, dass die Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten sich zuspitzen zu einem neuen Konflikt zwischen dem Irak und Iran."

    Die Frage, die sich bei der Lektüre von Albrights Buch immer wieder stellt, ist, warum eigentlich eine Weltmacht wie die USA mit ihren Geheimdiensten, mit ihrem großen politischen wie administrativen Apparat und ihren renommierten außenpolitischen Beratern nicht in der Lage zu sein scheint, die Folgen ihrer Handlungen schon intern so kontrovers zu diskutieren, dass sinnlose Abenteuer wie der Irakkrieg von vornherein ausgeschlossen sind. Und dies ist nicht erst seit dem Amtsantritt George W. Bushs ein Problem. Dessen religiöse Rhetorik und seine Überzeugungen verstärken diese Tendenz allerdings. Was Albrights Überlegungen sympathisch machen, ist die Eindeutigkeit, mit der sie für mehr Bescheidenheit in der amerikanischen Außenpolitik wirbt und für mehr Verständnis anderen Kulturen gegenüber. Dafür bemüht sie sogar Lessings Ringparabel, die für Toleranz zwischen den drei großen monotheistischen Religionen wirbt.

    Albright: "Nun, ich glaube, dass wir alle gleich sind, dass die Menschen überall auf der Welt die Möglichkeit haben möchten, über ihr Leben selbst zu entscheiden. Sie möchten bestimmen, wer in ihrem Ort regiert und wer das ganze Land. Demokratie ist nach meiner Ansicht ein universelles Prinzip. Ich wünschte mir nur, wir hätten während unserer Amtszeit mehr unternommen, um die Demokratie im Nahen Osten zu unterstützen, wobei ich das Wort 'unterstützen' betone."

    Madeleine Albright setzt sich in ihrem Buch dafür ein, der Religion zum einen nicht zu viel Platz in der Politik einzuräumen, gleichzeitig aber auch religiöse Empfindsamkeiten positiv zu nutzen. USA und Europa sollten sich nicht auf eine rein säkulare Sichtweise zurückziehen, gerade um auch moralisch akzeptable und akzeptierte Partner zu werden und zu bleiben. Mit ihrem Co-Autor Bill Woodward hat die ehemalige Außenministerin ein äußerst lesbares Buch vorgelegt, dem auch die etwas unsouveräne Übersetzung nicht allzu viel anhaben kann. Es ist vor allem für Leser geeignet, die an Überblickswissen interessiert sind. Kenner der amerikanischen Außenpolitik und der islamischen Welt werden nicht allzu viel Neues darin finden.

    Madeleine K. Albright: Der Mächtige und der Allmächtige. Gott, Amerika und die Weltpolitik.
    Droemer Knaur München, 2006
    361 Seiten
    19,90 Euro
    Madeleine Albright, ehemalige Außenministerin der USA von 1997 - 2001
    Madeleine Albright, Außenministerin der USA von 1997 bis 2001. (Deutschlandradio / Bettina Straub)