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Religion und Politik

Wenn Papst Benedikt die Vereinigten Staaten besucht, dann ist das nicht nur ein Zeichen für die dort lebenden Katholiken. Ausdrücklich betonte er im Vorfeld, er wolle seine Anwesenheit als brüderliche Geste gegenüber jeder kirchlichen Gemeinschaft verstanden wissen. Und so trifft er sich mit 200 Vertretern anderer Religionen - in Augen vieler ein bedeutender symbolischer Akt.

Von Klaus Jürgen Haller | 16.04.2008
    Joseph Alois Ratzinger wurde am 16. April 1926 geboren, also wird Papst Benedikt heute 81 Jahre alt. Präsident Bush dürfte ihm als einer der Ersten Glück und Gottes Segen gewünscht haben, denn mit dem Besuch im Weißen Haus begann das offizielle Programm. Worüber Papst und Präsident gesprochen haben, werden wir wohl noch erfahren. Dass Benedikt - wie sein Vorgänger Johannes Paul II. - dem Krieg im Irak energisch widersprach, ist allgemein bekannt.

    Im brandneuen Baseballstadion der Nationals wird der Papst morgen vor 50.000 Gläubigen die Messe zelebrieren. In den Lokalnachrichten sah und hörte man Erfreute, die in der Lotterie eine der Eintrittskarten gewonnen hatten.
    "Ich bekomme eine Gänsehaut...", "

    sagt diese Frau,

    "...jetzt hab ich meine Eintrittskarte und bin entsprechend aufgeregt."
    "Weil ich weiß, dass ich das in Rom nicht erleben werde", "

    sagt eine andere.

    "Ich bin neugierig, wie eine Messe mit dem Papst verläuft."
    "Hunderte Priester werden dort sein; sie werden die Beichte abnehmen." "

    "Es ist einfach wunderbar, dabei zu sein." "

    Am Samstagmorgen wird Papst Benedikt eine weitere Messe in der St. Patricks Kathedrale an der 5th Avenue in New York zelebrieren und vor dem Heimflug am Sonntag eine dritte im Yankee Stadion, ebenfalls in New York. Er könne nur zwei Städte besuchen, sagte der Papst in einer vorab aus Rom übermittelten Botschaft; aber er wolle spirituell auf alle Katholiken der Vereinigten Staaten zugehen...

    Dabei soll es nicht bleiben.

    "Ich hoffe sehr, dass meine Anwesenheit als brüderliche Geste gegenüber jeder kirchlichen Gemeinschaft verstanden wird und als Zeichen der Freundschaft gegenüber anderen Religionen, gegenüber allen Männern und Frauen guten Willens." "Religionen arbeiten für den Frieden" ist das Motto eines Treffens mit 200 Vertretern anderer Religionen. Sayyid Syeed von der Islamischen Gesellschaft Nordamerikas machte bereits auf eine ganz besondere Beziehung zwischen Katholiken und Muslimen aufmerksam.

    "Katholiken haben über Generationen um Anerkennung und Respekt gekämpft”. "

    In den überwiegend protestantischen Vereinigten Staaten nämlich.

    "Ihre Erfahrung dieses Kampfes ist für uns von Belang, eine angesehene islamische Präsenz in Amerika herzustellen." Muslime lernen von Katholiken, wiewohl diese, ihr Oberhaupt eingeschlossen, den Islam besser verstehen sollten. Da war der unglückliche Vorfall vor ein paar Jahren anlässlich einer Rede in Regensburg, wo er sich indirekt zu unserem Propheten Mohammed - Friede sei mit ihm - äußerte. Das war äußerst schmerzlich. Die Reaktion in vielen muslimischen Ländern war gleichermaßen schmerzlich. Die Menschen waren sehr verärgert."

    Father James Wiseman, Professor für Religiöse Studien an der Katholischen Universität in Washington, fügt hinzu, Papst Benedikt habe später erläutert, dass er die Auffassung des von ihm zitierten byzantinischen Kaisers nicht teile.

    "Aber es wäre sicher besser gewesen, wenn er das gleich klargestellt hätte." "

    Ein anderer Teilnehmer dieses Gesprächs der Religionen, Rabbi Arthur Schneier, wird den Papst übermorgen, am Vorabend des Passahfestes, in der Park East Synagoge in Manhattan, New York, begrüßen. Vermutlich auf Deutsch, denn der 78-jährige Schneier wurde in Wien geboren und von der Roten Armee aus einem Arbeitslager in Ungarn befreit. Er wertet den Besuch des Papstes in seiner Synagoge als bedeutenden symbolischen Akt.

    " Wenn jemand in Dein Haus kommt, ist das eine Geste des guten Willens. Eine willkommene Botschaft guten Willens." "

    Vorbehalte gibt es auch, wie ein anderer Rabbi aus New York deutlich macht. Ihn stört ein altes, von Papst Benedikt wiederbelebtes Karfreitagsgebet.

    "Da war die Bitte, Gott möge den Schleier von jüdischen Augen heben und Juden helfen anzuerkennen, dass Jesus Christus der Retter aller Menschen sei. Das macht Juden nervös." "

    Natürlich ließe sich das zurückhaltender formulieren; aber dass Christen jedweder Konfession in Christus den Erlöser sehen, ließe sich kaum ändern. Es dürfte der Kern des Christentums sein. Gemeinsam mit den amerikanischen Bischöfen habe er denn auch "Christus unsere Hoffnung" als Thema seiner Reise gewählt.

    Er sei - im Gefolge seiner ehrwürdigen Vorgänger Paul VI. und Johannes Paul II. - gekommen, die große Wahrheit zu verkünden:

    "Jesus Christus bedeutet Hoffnung für Männer und Frauen jeder Sprache, Rasse, Kultur und sozialen Standes." "

    Wie Johannes Paul II. im Jahre 1979 wird Papst Benedikt vor der Catholic University in Washington über die Bedeutung der katholischen Erziehung sprechen. Diese Universität, die einzige, die von den katholischen Bischöfen getragen wird, liegt im Schatten der gewaltigen Basilika des Nationalen Schreins der Unbefleckten Empfängnis, in deren Krypta die päpstliche Tiara ausgestellt ist, die Papst Paul VI. Amerikas Katholiken schenkte. 1965 appellierte Papst Paul VI. an die Vereinten Nationen: "Nie wieder Krieg!"; Benedikt XVI. wird ebenfalls vor den Vereinten Nationen sprechen, um den Repräsentanten aller Völker, wie er sagte, die Botschaft der christlichen Hoffnung zu überbringen.

    "Die Welt bedarf mehr denn je der Hoffnung: Hoffnung auf Frieden, auf Gerechtigkeit und Freiheit. Aber erfüllt werden kann diese Hoffnung nicht ohne die Beachtung von Gottes Gesetz, das Christus im Gebot einander zu lieben vollendete.""

    Die Goldene Regel - Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu - stehe in der Bibel, gelte aber für alle Menschen, die Ungläubigen eingeschlossen.

    "Es ist das Gesetz des menschlichen Herzens. Dem können wir alle zustimmen, so dass wir andere Themen im Interesse der gesamten Menschheit positiv und konstruktiv angehen können." "

    Somit könnte dies die moralische Basis für die schwierige Zusammenarbeit der Religionen sein.

    Nichts geht ohne die Meinungsforscher in den Vereinigten Staaten. 65 Prozent der Amerikaner schätzen die katholische Kirche positiv oder sehr positiv ein; 58 Prozent - also etwas weniger - schätzen Papst Benedikt. Da die Katholiken aber nur 24 Prozent der amerikanischen Bevölkerung ausmachen, schloss der britische Economist messerscharf, dass Papst Benedikt eine große Zahl nicht-katholischer Fans haben müsse, um dann nach den Ursachen zu schauen.

    Papst Benedikts Widerstand gegen die vermeintliche "Diktatur des Relativismus", die Verteidigung überlieferter Werte mache ihn zum Helden konservativer Amerikaner, ungeachtet ihrer Konfession. Sein Widerspruch gegen die Abtreibung, gegen homosexuelle Partnerschaften sichere ihm die Zustimmung konservativer amerikanischer Protestanten; sein Widerspruch gegen die Todesstrafe nicht unbedingt. Außerdem möchten die katholische Soziallehre und die ökonomische Weltsicht des Papstes vielen Amerikanern als sozialistisch vorkommen. Ist das nun der wahre Benedikt, den konservative Amerikaner umarmen, fragt der Economist, oder eine selbstgestrickte Karikatur? Die Antwort steht aus.

    Im Februar überraschte eine groß angelegte Studie des Pew Forum on Religion and Public Life selbst Experten. Nicht, weil sich 78 Prozent der 35.000 Befragten als Christen ausgaben; Juden, Buddhisten, Mohammedaner und Hindus machen - Tendenz steigend - knapp 5 Prozent der Bevölkerung aus. Überraschend war, dass 44 Prozent der erwachsenen Amerikaner erklärten, den Glauben ihrer Kindheit verlassen und sich einer anderen oder keiner Glaubensgemeinschaft angeschlossen zu haben. Mobilität, was den Beruf, den Wohnort und offenbar auch die Zugehörigkeit zu religiösen Gemeinschaften betrifft.

    "Wir scheinen eine Nation von Suchern zu sein. Jeder Ökonom würde mit Blick auf die religiöse Szene schließen, das ist ein sehr umkämpfter, sehr dynamischer religiöser Markt." "

    So Luis Lugo, der die Studie betreute. Verlierer der religiösen Wanderungsbewegung sind vornehmlich traditionelle Kirchen, auch die katholische. 24 Prozent der Amerikaner bezeichnen sich als Katholiken; aber es waren 31 Prozent, die als Katholiken aufwuchsen. Der Schwund wird durch die große Zahl der Einwanderer aus lateinamerikanischen, vorwiegend katholischen Ländern aufgefangen.

    "Bei geborenen Amerikanern übertreffen Protestanten die Katholiken um mehr als das Doppelte. Bei christlichen Einwanderern übertreffen Katholiken Protestanten 2 zu 1." "

    So erklärt sich, dass der prozentuale Anteil der Katholiken an der Bevölkerung - etwa 24 Prozent, wie gesagt - vergleichsweise konstant geblieben ist. Die Hälfte der amerikanischen Katholiken unter vierzig Jahren ist inzwischen lateinamerikanischer Abstammung. Um den Priestermangel auszugleichen, werden zunehmend Priester importiert, aus Indien beispielsweise. Etwa 35.000 Laienpriester - 80 Prozent Frauen darunter - halten den Betrieb vieler Pfarreien aufrecht. Und das verändert die Kirche.

    Papst Benedikt ist kritisiert worden, dass er nicht Boston besucht, das Zentrum des Skandals, dass sich Priester an Kindern vergingen und ihre Oberen dies vertuschten. Die Entschädigungszahlungen an die Opfer - über zwei Milliarden Dollar - haben sechs Diözesen in den Bankrott getrieben. Der Papst muss dieses Thema ansprechen.

    Im Vergleich zu Europa ist das religiöse Leben in den Vereinigten Staaten ungemein lebendig. Die USA widerlegen die These, dass die Modernisierung zwangsläufig zu einer Säkularisierung führe. Diese wurde in Amerika immer wieder durch religiöse Erweckungsbewegungen abgefangen. Amerika kannte und kennt keine Staatskirche. Im Verein mit der uneingeschränkten Religionsfreiheit hat die Trennung von Kirche und Staat sehr früh zu einem Klima der religiösen Toleranz geführt, das man schätzen lernt, wenn man sich vor Augen hält, dass sich Katholiken und Protestanten in Irland beispielsweise bis ins unsere Tage die Schädel eingeschlagen haben. Nichts davon in den Vereinigten Staaten.

    Die amerikanischen Katholiken standen lange Zeit - gemeinsam mit Juden und Konfessionslosen - im liberalen Lager. Sie wählten vornehmlich Kandidaten der Demokratischen Partei; erst die Abtreibungsdiskussion und Auswüchse der sexuellen Befreiung haben zur Lösung dieser Bindung geführt. Vor vier Jahren verlor der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry, selbst ein Katholik, die Mehrheit der katholischen Stimmen. Aber auch das zeigen die allfälligen Meinungsumfragen, mit den Positionen des Vatikan liegen amerikanische Katholiken über Kreuz. Vor allem, was Fragen der Sexualität betrifft, einschließlich der Abtreibung. Sechs von zehn amerikanischen Katholiken sagen, die Abtreibung solle legal bleiben. Die Zustimmung in der amerikanischen Bevölkerung insgesamt fällt geringer aus.

    Amerikanische Katholiken haben immer schon auf ihrer Eigenständigkeit bestanden. Als Papst Pius IX. 1864 die für die Verfassung der Vereinigten Staaten grundlegende Trennung von Kirche und Staat verurteilte, kommentierte der Erzbischof von Baltimore ungerührt, das könne sich allenfalls auf europäische Verhältnisse beziehen. 1899 verurteilte Leo XIII. den "Amerikanismus" mit seinen individualistischen und demokratischen Tendenzen. Dass Papst Benedikt daran erinnert, ist unwahrscheinlich.

    Als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre lehnte er fast ein Vierteljahrhundert lang grundsätzliche Veränderungen durchweg ab; er lehnte die Priesterehe ab, die Weihe von Frauen, die Befreiungstheologie, homosexuelle Partnerschaften, praktisch jede Form der Empfängnisverhütung. Gegen den Widerstand der deutschen Bischöfe setzte er den Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung durch. Für amerikanische Verhältnisse ist dieser Papst zu konservativ, sollte man meinen. Nur nach dem ersten Jahr auf dem Stuhl Petri hörte man, enttäuscht seien eigentlich nur jene, die eine rigide konservative Amtsführung erwartet hätten. Und mancher erinnerte daran, dass Ratzinger ein Befürworter des Zweiten Vatikanischen Konzils gewesen ist und dort dem liberalen Joseph Kardinal Frings aus Köln die Reden schrieb, und dass der Hochschullehrer Ratzinger erst durch die 68er Studentenproteste auf die konservative Bahn geraten sei.

    "Er ist einerseits persönlich gütig, bescheiden und ein Mann des Gesprächs, ein talentierter Zuhörer." "

    Vatikankorrespondent und Ratzinger-Biograph John Allen, nach Ratzingers Wahl zum Papst vor drei Jahren.

    "Anderseits, verwurzelt im Gefühl, dass die traditionelle Lehre der Kirche verteidigt werden muss, scheut er sich nicht zu bekräftigen, was er für die Überlegenheit des Katholizismus gegenüber anderen Zweigen des Christentums hält und des Christentums gegenüber anderen Religionen.""

    Zur selben Zeit sprach James Carroll, vormals Kaplan an der Universität Boston, der 1974 den Priesterstand verließ, um ein erfolgreicher Journalist und Buchautor zu werden, über den Einfluss der amerikanischen Katholiken auf die Katholische Kirche insgesamt.

    "Die Vorherrschaft des Gewissens, die Trennung von Kirche und Staat, Respekt für Andersgläubige - was uns selbstverständlich ist, obwohl es in Amerika heute auf neue Weise gefährdet ist, wurde Teil der katholischen Erfahrung. So kann man das Zweite Vatikanische Konzil sehen. Ein Triumph des Amerikanismus, obwohl eben der als Häresie zu Beginn des 20. Jahrhunderts verdammt worden war."

    Die Kirche, so Carroll, befinde sich in einer Auseinandersetzung mit sich selbst, und deshalb sei die amerikanische Erfahrung, in Sonderheit die der amerikanischen Frauen, so wichtig.

    "Ob Du über den Zölibat, Geburtenkontrolle, Abtreibung oder die Ordination von Frauen sprichst, was Du findest, gleich hinter jeder dieser Fragen, ist eine Geringschätzung der weiblichen Person. Und deshalb geht es bei all den Fragen nicht nur mehr um Disziplin. Alle diese Fragen zielen auf den Kern, was die Tradition ist und warum sie sich ändern muss. Sie muss sich ändern oder sie wird ,wie ich meine, sterben."

    Ach ja, dann ist da noch Julia Winter von der St. Josephs Gemeinde in New York, in deren Kirche sich der Papst mit Vertretern anderer christlicher Konfessionen zum Gebet treffen wird. Es ist die einzige Kirche der Metropole, in der noch an jedem ersten Sonntag im Monat die Messe in deutscher Sprache gehalten wird.

    "Es ist aufregend, wenn der Papst in Deine Gemeinde kommt,..." "

    sagt sie,

    "das ist nicht üblich. Es ist besonders aufregend, weil der Papst ein Bayer ist."

    Wie Julia Winter auch, auch wenn sie schon mit zwei Jahren auswanderte. Vor beiläufig 80 Jahren.