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Religion und Wachstumsdenken
Suche nach den Sündenböcken

Wie hängen Ökonomie und Theologie zusammen? Darum ging es bei einer internationalen Konferenz in Köln, die von der Kulturstiftung des Bundes organisiert wurde. Wie nah sich Religion und Ökonomie seien, habe man beim Thema Griechenland gespürt, sagte Kulturwissenschaftler Thomas Macho im DLF. Immer wenn von Schuldenkrise gesprochen werde gehe es auch um Schuld.

Thomas Macho im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Die griechische Flagge weht vor einer Kirche.
    Glaube und Ökonomie hängen eng zusammen. (Arno Burgi, dpa picture-alliance)
    Burkhard Müller-Ullrich: Los geht’s mit diesem bunt bedruckten Papier, das wir Geld nennen und das bekanntlich aufgeladen ist mit Glaubensenergie. Das ganze Geldsystem hat eine religiöse Komponente. Schon die Nachbarschaft mancher Begriffe zeigt das an: Kredit und Kredo, Schuld und Schulden, Erlös und Erlösung. Diesen Verbindungen zwischen Ökonomie und Theologie ist eine von der Kulturstiftung des Bundes organisierte internationale Konferenz in Köln gewidmet, auf der Fachleute und Feuilletonisten, Wissenschaftler und Banker über Wachstumszwang und Wachstumsdrang diskutiert haben. Darunter der Kulturhistoriker Thomas Macho von der Berliner Humboldt-Universität. "Ihr aber glaubet" lautete der Tagungstitel. Herr Macho, wer ist "Ihr" und was wird geglaubt?
    Thomas Macho: Ja. Geglaubt wird vermutlich alles Mögliche und muss auch geglaubt werden, jedenfalls unter den gegenwärtigen ökonomischen Verhältnissen, und natürlich ging es auch darum, ob es einen Glauben gibt, der aus den Zwängen, die mit Ökonomie, Wachstum, dem Zwang auch zu vertrauen herausführt oder nicht. Einerseits wurde klar, wie eng und wie nah nebeneinander Religion und Ökonomie und Geldsystem benachbart liegen. Auf der anderen Seite war natürlich auch klar, dass die Probleme, die zum Beispiel seit der Finanz- und Schuldenkrise auch sehr sichtbar die Öffentlichkeit beschäftigen, auch was mit Religion zu tun haben könnten.
    Müller-Ullrich: Und es ging ja tatsächlich um einen interreligiösen Vergleich, wenn ich es richtig gesehen habe im Programm, dass geforscht werden sollte, inwieweit das Judentum, das Christentum, der Islam bestimmte Wirtschaftsweisen direkt beeinflussen.
    Macho: Ganz genau. Es gab Workshops, in denen der Glaube der Juden, der Moslems, der Christen thematisiert wurde, und es gab auch so was wie eine Tendenz zur komparativen Theologie, die auch Klaus von Stosch in seinem Vortrag vertreten hat, das heißt, auch über die Grenzen der einzelnen abrahamitischen Religionen zu blicken und zu sehen, wie das in anderen Glaubenssystemen und Religionen gehandelt wird.
    Uneinigkeit über die "zukunftsfähige Wirtschaftsweise"
    Müller-Ullrich: Was sind denn die Eckpunkte? Welche Systeme sind denn am besten kompatibel mit einer, ich sage mal, zukunftsorientierten Wirtschaftsweise?
    Macho: Ja. Das ist im Grunde deshalb so wahnsinnig schwer zu beantworten, weil auch die Ökonomen sich ganz unklar darüber sind, wie eine wirklich zukunftsfähige Wirtschaftsweise aussehen kann. Selbst Hans Christoph Binswanger wagt es ja nicht zu sagen, dass wir in der Wachstumskritik so weit gehen dürfen, dass wir Wachstum ganz ausschließen. Man kann es vielleicht minimieren, …
    Müller-Ullrich: … der immer sagt, 1,8 Prozent seien gut.
    Macho: So ungefähr, aber nicht mehr und das heißt natürlich eigentlich auch eine Revision der Lissabon-Verträge anzustreben, wo ja drei Prozent als Ziel angegeben sind. Alles was darunter fällt, auch jetzt nach der Logik des Wachstumskritikers Binswanger, würde dazu führen, dass die Wirtschaft sich quasi im freien Fall bewegt und auch viel schneller kaputt geht, als das überhaupt vorstellbar und sinnvoll sein kann.
    Müller-Ullrich: Wenn man es ein bisschen subversiv formuliert, muss man sagen, "Glauben heißt ja nicht wissen", und die Ökonomie hat ja als Wissenschaft jetzt tatsächlich ein bisschen Kredit verspielt, weil für dasselbe Phänomen immer exakt zwei gegensätzliche Begründungen gegeben werden.
    Macho: Ja und weil sie natürlich das, was man von Wissenschaften immer erwartet, nicht leisten konnte, nämlich etwas voraussehen und vorhersagen. Das ist ja ein Ziel, das man von den Naturwissenschaften hernimmt, dass Wissenschaft auch etwas mit der Vorhersage zu tun haben soll, und da sind natürlich Ökonomen in einer ähnlich prekären Lage wie auch jede soziologischen oder politikwissenschaftlichen Kollegen. Bestimmte Entwicklungen lassen sich schwer antizipieren und wenn sie dann eintreten, dann wird natürlich um die richtige Diagnose gerungen wie in einer Folge von Dr. House, wo die Ärzte um das Krankenbett stehen und keine Ahnung haben, welche Krankheit nun eigentlich diese Symptome verursacht.
    Müller-Ullrich: Nationalökonomie hat mit Philosophie eins gemeinsam: Es ist eine Kurzgeschichte lang erzählt?
    Macho: Genau, eine Kurzgeschichte lang erzählt. Das trifft es auf den Punkt.
    "Gute Lösungen liegen nicht auf der Hand"
    Müller-Ullrich: Wurde auch über Griechenland gesprochen? Das ist ja nun auch eine Glaubenssache.
    Macho: Ja. Über Griechenland wurde natürlich auch immer wieder gesprochen und natürlich auch das Problem, dass die Schuldenkrise so schnell mit einer Schuldkrise vertauscht wird, wo nach den Verantwortlichen, nach den Sündenböcken gesucht wird und wo natürlich auch viel Polemik getrieben werden kann. Die guten Lösungen gab es auch in diesem Falle nicht. Die liegen offenkundig nicht auf der Hand und auch die anwesenden Ökonomen hatten hier keine Patentrezepte, was man eigentlich sinnvollerweise tun soll. Aber es ist so, dass natürlich alle sich darin einig waren, dass die Übersetzung von Schulden in Schuld nichts bringt, nicht weiterführend ist und man von daher insofern manche Polemiken, die jetzt sich über was weiß ich, den krawattenlosen Finanzminister oder die steuerflüchtigen Reichen in Griechenland oder so weiter hinwegsetzen.
    Müller-Ullrich: Ein richtiges Bekehrungserlebnis hatten Sie nicht?
    Macho: Nein. Ein Bekehrungserlebnis kann man in dieser Situation, glaube ich, schwer haben. Was de facto der Fall war, war, dass die anwesenden Kollegen und Kolleginnen sich zum Teil auf durchaus hohem Niveau ausgetauscht haben. Es war sehr freundschaftlich und eigentlich wenig kontrovers, was mich ein bisschen verwundert hat. Auch zwischen Herrn Binswanger und Herrn Ackermann stand wohl eher die gemeinsame Herkunft aus St. Gallen - Ackermann hat ja bei Binswanger promoviert - zwischendurch im Vordergrund und nicht so sehr jetzt große Differenzen in Sachen Geldpolitik.
    Müller-Ullrich: Der in Berlin lehrende Kulturwissenschaftler Thomas Macho über eine Kölner Konferenz zur Wirtschaftsethik mit besonderer Berücksichtigung der Religionen. Vielen Dank, Herr Macho, für die Auskünfte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.