Sonntag, 19. Mai 2024

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Religionsphilosoph Martin Buber
Brückenbauer zwischen den Religionen

Am Sonntag wird die Buber-Rosenzweig-Medaille verliehen. Sie zeichnet jene aus, die sich um eine christlich-jüdische Verständigung verdient gemacht haben - so wie einst Namensgeber Martin Buber. Auch seine Hoffnung, dass Juden und Araber in einem Staat friedlich zusammenleben könnten, ist heute noch aktuell.

Von Igal Avidan | 08.03.2019
Der Religionsphilosoph Martin Buber nimmt am 3. Juli 1963 in Amsterdam den Erasmus-Preis aus der Hand von Prinz Bernhard der Niederlande in Gegenwart von Königin Juliana der Niederlande und Prinzessin Beatrix entgegen. Buber wird für seine Verdienste um das europäische Geistesleben ausgezeichnet.
1963 wurde der Religionsphilosoph Martin Buber für seine Verdienste um das europäische Geistesleben mit dem Erasmus-Preis ausgezeichnet (picture alliance / dpa / APN)
Ein kleingewachsener Mann mit klaren Augen und einem langen weißen Vollbart steht im Jugenddorf Ben Schemen bei Jerusalem und hält einen Vortrag über die Bibel. Ein 19-jähriger Schüler greift den eloquenten Professor überraschend heftig an. Der Schüler - das war Shimon Peres.
Bubers' Pessimismus über einen bevorstehenden jüdisch-arabischen Krieg wischte der junge Mann als "Blödsinn" ab. Er bereue bis heute, dass seine Chuzpe größer war als Bubers Überzeugungskraft, sagte Iraels späterer Staatspräsident Peres seinem Biografen.
Der Religionsforscher und Philosoph Martin Buber war einer der wenigen Zionisten damals, der eine jüdisch-arabische Zusammenarbeit in Palästina für lebensnotwendig hielt. So schrieb 1929 der Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem:
"Wir haben in Palästina nicht mit den Arabern, sondern neben ihnen gelebt. Das Nebeneinander zweier Völker auf dem gleichen Territorium muss aber, wenn es sich nicht zu einem Miteinander entfaltet, zu einem Gegeneinander ausarten. So droht es auch hier zu geschehen."
Jahre früher war es der junge Buber, damals Leiter des zionistischen Parteiorgans Die Welt, der dem Gründer des Zionismus, Theodor Herzl, widersprach. Buber kritisierte Herzls Vision eines Judenstaates in Palästina und plädierte für einen "Kulturzionismus".
Israel - nur eine "bessere Hebräische Universität"?
Was wäre, wenn Herzl und später Staatsgründer David Ben Gurion auf Buber gehört hätten? Wäre der Staat Israel jemals entstanden?
Dazu Bubers Biograf Dominique Bourel, Autor des monumentalen Werkes "Martin Buber: Was es heißt, ein Mensch zu sein", im Telefongespräch aus Paris:
"Ich glaube: Ja. Aber dem Vernehmen nach hätten wir einen Staat Israel, der sowieso in Planung war, auch bei den Kulturleuten sozusagen. Aber ob es so schnell gekommen wäre - da habe ich natürlich meine Zweifel."
Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik (2016 mit der Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichnet) sagt hingegen:
"Der Staat, der zustande gekommen ist, der konnte nur so zustande kommen. Anderweitig wäre es so eine Art bessere, größere Hebräische Universität in diesem Teil des Osmanischen Reiches geworden und auch geblieben."
Biografische Prägungen
Martin Buber wurde 1878 in Wien geboren. Mit drei Jahren verließ seine Mutter die Familie und er wuchs bei seinem Großvater in Lemberg auf. Im Haus des Privatgelehrten und Sammlers alter rabbinischer Literatur gewann Buber persönliche Eindrücke vom Chassidismus, der religiösen Bewegung der osteuropäischen Juden. Dieses Wissen verbreitete er nach dem Ersten Weltkrieg von Heppenheim bei Frankfurt aus, wo er damals wohnte.
Birgit Meurer, Bildungsreferentin am Martin-Buber-Haus führt durch die Villa, die heute eine kleine Ausstellung, ein Archiv und eine Begegnungsstätte beherbergt:
"Hier war das Arbeitszimmer Martin Bubers. Die Fenster sind noch original in der Lage wie zu Zeiten Bubers, das heißt, hier stand sein Schreibtisch mit Blick auf den Garten."
Der jüdische Philosoph und Historiker Franz Rosenzweig gewann 1921 Buber als Lehrer für das Freie Jüdische Lehrhaus in Frankfurt. Gemeinsam arbeiteten sie an einer deutschen Übersetzung des Alten Testaments, die Buber nach Rosenzweigs Tod allein vollendete.
Lebensmotto: Dialog
"Alles wirkliche Leben ist Begegnung", war Bubers Motto. Diesen Dialog führt er intensiv auch mit Andersdenkenden, sagt sein Biograf Dominique Bourel:
"Das ist das Wichtigste bei Martin Buber, was heute noch bleibt: Dialog mit Christen, Dialog mit Deutschen und Dialog mit Arabern."
Der gläubige Jude und Pazifist Buber erklärte seine universelle Haltung in einem Interview 1960 folgendermaßen:
"Eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften ist in unserer Zeit erforderlicher als je vorher, weil die allen glaubenden Menschen gemeinsame Sorge, die um die Zukunft des Menschen auf der Erde, zu einer überschweren Beängstigung geworden ist und weil ihr nur durch gemeinsames Werk unter gemeinsamer Anrufung der Hilfe Gottes tätig begegnet werden kann."
"Bleib flexibel im Denken"
Annette Adelmann ist die Generalsekretärin des Internationalen Rates der Christen und Juden oder ICCJ, der Dachorganisation von 40 nationalen christlich-jüdischen Organisationen weltweit, auch des Deutschen Koordinierungsrats. Seit 1979 hat der ICCJ seinen Sitz im Martin-Buber-Haus. Für Adelmann ist Buber eine Inspirationsquelle:
"Dadurch, dass Buber selbst im Laufe seines schriftstellerischen und denkerischen Lebens sehr sensibel auf politische Gegebenheiten reagiert hat, auf gesellschaftliche Gegebenheiten reagiert hat und dahingehend auch seine Schwerpunkte ausgerichtet hat, ist Martin Buber für mich letztlich auch immer ein wenig der Leitfaden, mich daran zu erinnern: Bleib flexibel im Denken."
Martin Buber wurde in Heppenheim von den Nazis schikaniert. Er wurde zum Beispiel aus der "Reichsschrifttumskammer" ausgeschlossen und durfte daher die Tantiemen für seine Bücher nicht einkassieren. Dank seiner internationalen Bekanntheit konnte er im März 1938 nach Jerusalem reisen.
Nach der Shoah gilt er als wichtigster Brückenbauer zwischen Deutschen und Juden. Bereits 1950 reiste er zum ersten Mal in die Bundesrepublik und 1953 nahm er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegen. In seiner Dankesrede sagte er:
"Die Erinnerung an die zwöfjährige Herrschaft des Homo contra humanus hat hier den Geist wacher und des ihm als Geist aufgetragenen Werkes bewusster gemacht, als er vordem war. Kundgebungen wie die Erteilung des Hansischen Goethepreises und des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an einen überlebenden Erzjuden wollen in diesem Zusammenhang verstanden werden."
Das letzte Wort
Auch über 50 Jahre nach seinem Tod und fast 100 Jahre nach der Gründung des kleinen Verbandes Brit Schalom ("Friedensbund") zur Förderung einer jüdisch-arabischen Verständigung und der Gründung eines bi-nationalen Staates in Palästina, an dem Martin Buber mitwirkte, ist seine Weitsicht heute relevanter denn je, sagt Micha Brumlik:
"Und wenn es nur eine Ein-Staat-Lösung gibt, dann muss die früher oder später – wenn sie kein Apartheidsregime sein soll – eine Konföderation sein zwischen jüdischer und arabischer Bevölkerung. Buber hätte – prophetisch gesehen - am Ende das letzte Wort."