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Religionspolitik
"Die Mehrheit der Muslime lebt ihren Glauben auf dem Boden des Grundgesetzes"

Der religionspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Franz Josef Jung, hat den Vorwurf zurückgewiesen, die großen Parteien seien zu sehr auf das Verhältnis zu den Kirchen fixiert. Es gebe einen intensiven Dialog mit allen Religionsgemeinschaften, sagte Jung im DLF. Der AfD warf er vor, den Islam ins Abseits zu stellen.

Franz Josef Jung im Gespräch mit Benedikt Schulz | 03.05.2016
    Franz Josef Jung spricht im März 2015 im Bundestag.
    Franz Josef Jung spricht im März 2015 im Bundestag. (dpa / picture alliance / Lukas Schulze)
    Wenn in der Politik über das Thema Religion gesprochen wird, dann ist weniger Normalität als vielmehr Hysterie das Gebot der Stunde. Das merkt man nicht nur, aber auch an der Deutlichkeit, mit der etwa die AfD den Islam als Ganzes ablehnt, anstatt zwischen verschiedenen Richtungen dieser Religion zu differenzieren. Der Münsteraner Politikwissenschaftler Ulrich Willems hat in dieser Sendung einen Schuldigen ausgemacht für diese Situation, die Politik selbst:
    "Das hat damit zu tun, dass die religionspolitische Ordnung, die man Ende der 40er Jahre, Anfang der 50er Jahre verabschiedet hat, gewisse Asymmetrien aufweist. Sie räumt den Kirchen einen besonderen Status ein. Und zugleich ist spätestens seit 1990 deutlich geworden, dass die größte religiöse Minderheit – die Muslime – im Land bleiben werden. Seitdem warten wir darauf, dass die Politik Vorschläge vorlegt. Hätte man vor zehn Jahren schon ganz normal und regelmäßig mit muslimischen Verbänden, mit muslimischen Vertretern verhandelt, dann wäre sozusagen die Wahrnehmung, dass es sich dabei um eine problematische Gruppe handelt, überhaupt gar nicht aufgekommen."
    Benedikt Schulz: Hat die Politik das Feld Religionspolitik systematisch vernachlässigt, darüber wollen wir sprechen mit Franz Josef Jung, religionspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – Guten Morgen, Herr Jung!
    Franz Josef Jung: Guten Morgen, Herr Schulz!
    Schulz: Herr Jung, stimmt der Vorwurf? Haben die etablierten Parteien das Feld Religionspolitik vernachlässigt?
    Jung: Ich denke, das ist so nicht zutreffend. Wenn Sie zehn Jahre zurückgehen, ist das vielleicht eine andere Thematik. Aber Tatsache ist, dass wir in dieser Legislaturperiode in meiner Verantwortung hier sehr konsequent beispielsweise das Thema Religion im Dialog führen, wo wir uns halbjährlich auch mit allen Religionsgemeinschaften treffen, selbstverständlich auch mit den muslimischen Verbänden, um über diese gemeinsamen Fragen zu sprechen und über die Fragen der Religionsfreiheit zu sprechen, aber auch über die Fragen der konkreten Integration in unsere Gesellschaft. Das sind alles Punkte, die hier eine wichtige Rolle spielen. Auch im Rahmen der Islamkonferenz hat das Thema natürlich an Bedeutung gewonnen.
    Schulz: Dennoch kommen die Impulse, über den Islam in unserer Gesellschaft – zumindest in der Öffentlichkeit – zu sprechen, kaum von den etablierten Parteien, auch nicht so sehr von den Verbänden, sondern eigentlich immer nur als Reaktion auf Kreise, die eher dem rechten Rand zuzuordnen sind.
    Jung: Dem kann ich eigentlich nicht zustimmen. Ich habe Ihnen gerade gesagt, dass wir seit Beginn dieser Legislaturperiode sehr intensiv das Gespräch führen, dass wir uns mit den muslimischen Verbänden nicht nur treffen, sondern hier im Dialog sind – auch über die konkreten Probleme sprechen und auch über die konkreten Fragen der Integration. Ich will hier nur deutlich machen, dass natürlich es dazu gehört, dass die muslimischen Verbände selbst deutlich machen, dass sie hier auf der Basis unserer Werteordnung hier auch ihre Religion ausüben und Religion leben. Wir sind beispielsweise auch in der Diskussion im Hinblick auf die Frage, unabhängig werden von finanzieller Unterstützung aus dem Ausland. Da bietet sich an die Einrichtung einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes. Das sind – um es mal konkret zu sagen – die alevitischen Verbände in Hessen schon als Körperschaft des öffentlichen Rechts auch anerkannt. Damit haben sie auch die Möglichkeit, entsprechende Beiträge von ihren Mitgliedern einzuziehen, so dass sie finanziell unabhängig werden. Hier ist ein Diskussionsprozess im Gange, der – wie ich finde – zu guten Ergebnissen bisher geführt hat.
    Schulz: Trotzdem hat man den Eindruck, dass von Normalität in der Auseinandersetzung – zumindest in der politischen Debatte in der Öffentlichkeit – nicht so richtig die Rede sein kann. Die Auseinandersetzung wirkt eher konfrontativ als konstruktiv. Woran liegt das, dass dieser Eindruck entsteht?
    Jung: Ich glaube, dass dies eher ein Thema ist der öffentlichen Debatte, wie Sie zu Recht sagen, weniger ein Thema der konkreten innerparteilichen Diskussion. Aber woran es liegt – natürlich liegt es daran, dass teilweise extreme Positionen formuliert werden, wie es auch jetzt wieder die AfD gemacht hat, um sozusagen den Islam ins Abseits zu rücken und weniger das Thema der Religionsfreiheit und damit auch das Recht der Muslime, die hier auf dem Boden unseres Grundgesetzes ihre Religion ausüben wollen, auch entsprechend zu akzeptieren und dann auch zu tolerieren. Das sind, glaube ich, Punkte, die in der Öffentlichkeit dann zu einem schrägen Bild führen.
    Schulz: Nun hat der Politikwissenschaftler Willems, den wir gerade gehört haben, unter anderem auch gefordert, dass Gesetze angepasst, verändert werden. In diesem Fall namentlich das Religionsverfassungsrecht. Sie haben sich bereits gegen eine Reform dieses Gesetzestextes ausgesprochen. Warum hat denn die Politik, was dieses Gesetz angeht, kein Interesse, gestalterisch tätig zu werden?
    Jung: Ich denke, es geht hier nicht um die Frage des Interesses der Politik, sondern es geht um die Frage der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung. Und die ist aus meiner Sicht hier nicht gegeben. Ich habe gerade darauf hingewiesen, dass wir in der Diskussion sind, auch den muslimischen Religionsgemeinschaften den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen. Das ist die Verantwortung der Länder. Und damit können dann auch diese Religionsgemeinschaften entsprechende Steuern erheben, um eine eigene Finanzierung zu bekommen. Oder auch die weitere Diskussion, damit deutlich zu machen, dass sie auf dem Boden unseres Grundgesetzes stehen und auch auf dem Boden dieses Gesetzes hier tätig sind. Das andere ist natürlich – wo teilweise auch extremistische Kräfte – und sie wissen ja, dass beispielsweise auch hier eine Verfassungsschutzbeobachtung stattfindet, die eindeutig in der einen oder anderen Moschee Imame gegen dieses Grundgesetzt agieren. Das ist natürlich ein Punkt, der auch nicht akzeptiert werden kann.
    Schulz: Wenn die Bundeskanzlerin jetzt öffentlich eine Kurskorrektur der CDU andeutet in der Zuwendung auf konservative Wähler rechts der Mitte – wie die Bildzeitung das heute berichtet hat, was bedeutet das für die Religionspolitik Ihrer Partei gegenüber dem Islam?
    Jung: Das bedeutet deutlich zu machen, dass wir eindeutig für die Religionsfreiheit eintreten und für die Religionsfreiheit, wie es unser Grundgesetzt vorschreibt, heißt natürlich, dass alle Religionsgemeinschaften – das gilt für die Christen, das gilt für die Juden, das gilt aber auch für die Muslime oder andere Religionsgemeinschaften – das Recht haben, ihre Religion frei auszuüben, und dass dem nicht widersprochen wird – aus welcher Richtung auch immer. Das ist schon ein ganz wichtiger Punkt, der natürlich auch in den öffentlichen Diskussionen eine Rolle spielt. Und ich verweise noch einmal auf den AfD Parteitag, wo dagegen argumentiert worden ist.
    Schulz: Aber jetzt für Religionsfreiheit zu plädieren, das ist ja keine Neuigkeit und keine Hinwendung auf konservative Wähler rechts der Mitte. Oder ist das von Angela Merkel so gemeint gewesen?
    Jung: Es ist sehr eindeutig damit zu verstehen, dass hier das Thema der Religionsfreiheit auch selbstverständlich die muslimischen Verbände mit integriert und dass sie auch eindeutig hier ihr Recht haben – ich sage noch einmal, auf dem Boden unseres Grundgesetzes ihre Religion auszuüben. Und das ist auch – wie ich finde – eine richtige Botschaft.
    Schulz: Und wenn in Ihrer Partei jetzt Stimmen laut werden – vor allem vor dem Wochenende, vor dem Parteitag der AfD, dass zum Beispiel verstärkte staatliche Kontrolle von Moscheen in Deutschland eingeführt werden sollen, ist das dann eine konstruktive Religionspolitik?
    Jung: Hier ist deutlich zu machen, was ich gerade gesagt habe, dass es natürlich Situationen gibt, wo extremistische Positionen gegen unser Grundgesetzt verkündet werden. Und das – glaube ich – darf nicht akzeptiert werden. Von daher gibt es dann auch entsprechende Beobachtungen. Aber man muss eindeutig sagen, die große Mehrheit der Muslime lebt ihren Glauben auf dem Boden unseres Grundgesetzes. Und das – glaube ich, auch deutlich zu machen in der öffentlichen Diskussion, ist auch ein wichtiger Punkt.
    Schulz: Über die deutsche Religionspolitik habe ich gesprochen mit Franz Josef Jung. Er ist religionspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Herr Jung, ich danke Ihnen, ganz herzlich.
    Jung: Sehr gerne, Herr Schulz.