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Religionspolitik
Warum das Zögern der Politik die AfD stark macht

Der Münsteraner Politikwissenschaftler Ulrich Willems fordert eine neue Religionspolitik. Wegen der bisherigen Versäumnisse habe sich das Misstrauen gegenüber dem Islam einnisten können. Nicht nur Muslime, auch Konfessionslose würden benachteiligt. Über wichtige Themen wie Kirchensteuer, Beschneidung oder das Kopftuch werde nur noch im Krisenmodus diskutiert, sagte er im DLF.

Ulrich Willems im Gespräch mit Monika Dittrich | 26.04.2016
    Der Politikwissenschaftler Ulrich Willems
    Der Münsteraner Politikwissenschaftler Ulrich Willems (Sarah Batelka)
    Monika Dittrich: Der Politikwissenschaftler Ulrich Willems hat der deutschen Politik auf diesem Feld kürzlich ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Die Parteien hätten die Religionspolitik zu lange vernachlässigt. Ulrich Willems ist Professor an der Universität Münster, wo er auch dem Exzellenzcluster Religion und Politik angehört. Jetzt ist er uns zugeschaltet – guten Morgen Herr Willems!
    Ulrich Willems: Einen schönen guten Morgen, Frau Dittrich, und auch einen schönen guten Morgen Ihren Hörerinnen und Hörern!
    Dittrich: Herr Willems, Sie üben scharfe Kritik an der Bundesregierung und den etablierten Parteien. Was haben die versäumt?
    Willems: Spätestens seit 1990, seit der deutschen Wiedervereinigung steht eine Reform der religionspolitischen Ordnung der Bundesrepublik auf der Tagesordnung. Das hat damit zu tun, dass die religionspolitische Ordnung, die man Ende der 40er Jahre, Anfang der 50er Jahre verabschiedet hat, gewisse Asymmetrien aufweist. Sie räumt den Kirchen einen besonderen Status ein. Und zugleich ist spätestens seit 1990 deutlich geworden, dass die größte religiöse Minderheit – die Muslime – im Land bleiben werden. Seitdem warten wir darauf, dass die Politik Vorschläge vorlegt. Wenn Sie sich ansehen, was seitdem passiert ist: Wir haben immer noch nicht in allen Bundesländern islamischen Religionsunterricht, obwohl Religionsgemeinschaften nach Artikel 7, Absatz 3 darauf Anspruch haben; die Frage des Körperschaftsstatus für Religionsgemeinschaften ist noch nicht geregelt; erst seit 2012 – und das auch im Rahmen erst eines Modellversuches – gibt es islamische Fakultäten an vier Universitäten in der Bundesrepublik. Also man sieht, es hat sehr, sehr lange gedauert. Die Fragen sind immer noch nicht durchdiskutiert. Das Problem besteht darin, dass die Muslime – wenn wir über diese Gruppe vornehmlich reden – dementsprechend immer vehementer ihr Recht auf gleiche Religionsfreiheit fordern. Und dann entsteht der Eindruck, da wolle eine Gruppe jetzt in irgendeiner Art und Weise Sonderrechte erlangen. Das ist der Diskussion nicht förderlich.
    Dittrich: Das heißt, die Kritik, die Sie haben, bezieht sich vor allem auf eine Benachteiligung der Muslime in Deutschland?
    Willems: Nicht nur der Muslime. Man darf nicht vergessen: Vor etwa einem Jahr hat der humanistische Verband Deutschlands ebenfalls eine längere Stellungnahme veröffentlicht, eine Kritik der politischen Ordnung. Wir reden viel über die Muslime, aber etwa die starke christliche Prägung des Wohlfahrtstaates, die sich darin ausdrückt, dass immer noch die Hälfte bis zwei Drittel wohlfahrtsstaatliche Einrichtungen wie Kindergärten, Altenheime, teilweise auch Krankenhäuser von kirchlichen Trägern betrieben werden, generiert eine Menge von Problemen. Erstens ist es natürlich so, dass Patienten oder auch Eltern, die nicht Christen sind, sich auch eine solche Einrichtung wünschen, die ihren weltanschaulichen oder religiösen Orientierungen entgegenkommt. Und umgekehrt ist es so, dass für kirchliche Einrichtungen besondere Loyalitätspflichten gelten. Also – die ganzen Konflikte, die es auch gab um Ärzte etwa, die an katholischen Krankenhäusern arbeiten und dann abweichende Positionen zur Frage des Schwangerschaftsabbruchs vertreten haben. Diese besonderen Verpflichtungen stellen ein großes Problem dar, vor allem deswegen, weil der Anteil der Mitglieder der beiden Kirchen immer weiter absinkt. Im Moment sind etwa 60 Prozent der deutschen Bevölkerung Mitglied einer der beiden Kirchen. Es werden aber deutlich mehr Einrichtungen von den beiden Kirchen betrieben, so dass da in gewisser Weise eine Versorgungslücke entsteht und auch das Problem mit Arbeitsplätzen für qualifizierte Personen, die eben nicht christlichen Glaubens sind.
    Dittrich: Lassen Sie uns noch mal bei dieser religionspolitischen Reform bleiben. Weil diese also ausgeblieben ist, kann jetzt eine Partei wie die AfD kommen und behaupten, der Islam gehöre nicht zu Deutschland?
    Willems: Ich denke, dass das auch eine Konsequenz, nicht die alleinige, aber auch eine Konsequenz des langen Zögerns der Politik ist. Ich habe eben schon mal darauf verwiesen, dass durch das lange Zögern – wenn man so will die Hinhaltetaktik der Politik, dadurch dass man nur sehr zögerlich gerade den Muslimen entgegen gekommen ist, der Eindruck entsteht, dass es sich dabei um ein Gruppe handelt, die für sich in irgendeiner Art und Weise Sonderrechte einfordert. Denken Sie etwa an die Debatte über die Befolgung von Speisevorschriften in Schulen, Kindergärten und, und. Der Punkt ist, dass die Politik schon lange hätte deutlich machen müssen – auch gegenüber der Bevölkerung, was das Prinzip der gleichen Religionsfreiheit bedeutet, dass es außer Frage steht, dass die Muslime den gleichen Anspruch auf dieses Recht haben wie Christen in Deutschland.
    Dittrich: Und weil sie das nicht getan haben, kann jetzt die AfD in diese Lücke?
    Willems: Ja, ich glaube, dass – wenn man so will – dadurch jedenfalls auch eine Situation geschaffen worden ist, in der sich das Misstrauen gegenüber dem Islam einnisten konnte. Hätte man vor zehn Jahren schon ganz normal und regelmäßig mit muslimischen Verbänden, mit muslimischen Vertretern verhandelt, dann wäre sozusagen die Wahrnehmung, dass es sich dabei um eine problematische Gruppe handelt, überhaupt gar nicht aufgekommen. Es muss doch ein Grund für das Zögern der Politik geben...
    Dittrich: Welcher ist denn das? Was denken Sie?
    Willems: Es gibt mehrere Gründe. Ein Grund zeigt sich beim Blick in die Programme der Parteien zur Bundestagswahl 2013, in denen übrigens die Religionspolitik nur ganz schmalen Raum einnimmt. Auch da drückt sich noch kein Problembewusstsein aus. Viele in den Parteien schätzen immer noch die besondere Rolle der christlichen Kirchen und wollen deswegen an der herkömmlichen Regelung auch festhalten. Denken Sie daran, dass immer noch ein großer Teil Mitglieder der CDU/CSU Bundestagsfraktion – es sind, glaube ich, immer noch über 70 in die 80 Prozent, Mitglied einer der beiden Kirchen ist. Also die Kirchen sind in gewisser Weise politisch und parlamentarisch auch gut vertreten. Dazu kommt natürlich auch sicherlich, die allgemein verbreitete Unkenntnis und Sorge darüber, über den Islam, dass man sich damit nicht gut auskennt, dass man das schwer einschätzen kann. Das erklärt auch einen Teil des Zögerns.
    Dittrich: Andererseits zeigen ganz aktuelle Umfragen, dass die Mehrheit der Deutschen die islamkritischen Aussagen der AfD-Vertreter ohnehin ablehnt. Das spricht doch eigentlich für ein hohes Maß an – sagen wir mal - religionspolitischer Auseinandersetzung und Abwägung der Bürger, oder nicht?
    Willems: Ja, das sind erfreuliche Umfragedaten. Insgesamt ist es aber so, dass die Bevölkerung – wenn man so will – gespalten ist. Der Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahre 2013 zeigt, dass auf der einen Seite die Bundesbürger mit Zustimmungswerten von um die zwei Drittel der Aussage zustimmen, dass man allen Religionen gegenüber offen sein sollte, dass religiöse Vielfalt eine Bereicherung ist. Aber auch zwei Drittel der Bevölkerung sehen, dass religiöse Vielfalt zu religionspolitischen Konflikten führen wird.
    Dittrich: Sie kritisieren auch, die Politiker hätten diese Themen den Gerichten überlassen. Ist das ein Problem? Sind Religionen und Religionsfreiheit in Deutschland bei den Gerichten nicht in guten Händen?
    Willems: Doch. Man sieht es ja am Beispiel der Kopftuchgesetzgebung. Die Politik hat da in sehr problematischer Weise in vielen Bundesländern eine Asymmetrie walten lassen, hat das islamische Kopftuch teilweise verboten, aber christliche und jüdische Symbole weiter zugelassen. Das Bundesverfassungsgericht hat das jetzt zweimal – 2003 und jetzt – zuletzt wieder kassiert und hat gerade jetzt vielen Landesgesetzen auch diese Asymmetrie vorgeworfen. Das Problem ist nur: Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in vielen Hinsichten gute Entscheidungen, aber auch umstrittene Entscheidungen gefällt hat – denken Sie an das Kruzifix-Urteil von Mitte der 90er Jahre – ist es ein Problem, dass das Bundesverfassungsgericht nicht funktioniert, ohne dass es von der Mehrheit der Bevölkerung getragen wird, ohne dass die Entscheidungen Akzeptanz finden. Und Akzeptanz können die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nur finden, wenn es eine breite gesellschaftliche Diskussion in der Bundesrepublik gibt über die Bedeutung der Religionsfreiheit – auch über die sich bei einzelnen Fragen wie etwa der Beschneidung erhebenden Konflikte.
    Dittrich: Aber gerade da gab es ja eine ganz große öffentliche und auch intellektuelle Debatte.
    Willems: Ja – das Problem ist, in der Bundesrepublik gibt es diese Debatten immer nur im Krisenmodus. Also – es gab sie, nachdem es ein Urteil des Landgerichts in Köln gab -2012. Dann wird die Debatte zwar geführt, aber gewisser Weise im Alarmmodus, in sehr aufgeregter Art und Weise. Das kommt der Debattenkultur nicht zu gute. In vielen der Stellungnahmen, die von einzelnen Akteuren in ihrer Debatte vorgenommen worden sind – da wird nicht mehr zwischen den einzelnen Werten wie Religionsfreiheit, Elternrecht oder der körperlichen Unversehrtheit ab gewägt, sondern da werden ganz klare Positionierungen vorgenommen. Dieser eine Wert hat absoluten Vorrang, die werden dort vertreten. Das ist einer Abwägungskultur, die bei vielen dieser Fragen erforderlich ist, nicht gerade förderlich. Deswegen fordere ich auch diese allgemeine Debatte – weg von den aktuellen Konflikten, sondern gleichsam im Vorhinein, eine solche Debatte zu führen, damit die Ressourcen entstehen, um sich diesen Fragen unaufgeregt und abwägend stellen zu können.
    Dittrich: Sie sagen, dass einige andere Länder das besser machen als Deutschland. Welche sind das und warum machen die das besser?
    Willems: Zwei Beispiele. In Großbritannien ist es zum Beispiel so, dass viele der Fragen wie Kopftuch, Umgang mit Speisevorschriften, nicht von der großen Politik entschieden worden sind, sondern sie fielen in die Kompetenz der Schulen. Das heißt, an den Schulen wurden diese Fragen diskutiert – unter Einbeziehung der Lehrer, der Eltern, teilweise auch der älteren Schüler. Dadurch entsteht eine Kompetenz zum Umgang mit diesen Fragen. Denn das muss ja auch geübt werden, mit diesen Materien umzugehen. Das ist das eine Beispiel. Das zweite Beispiel ist die kanadische Provinz Quebec, die Ende 2006 eine große Kommission eingesetzt hat unter Leitung zweier Philosophen, des Philosophen Charles Taylor und des Philosophen Gérard Bouchard. Und die haben selbst einen langen Diskussionsprozess in Kanada angestoßen, haben Diskussionsveranstaltungen mit der Bevölkerung durchgeführt und am Ende einen Bericht erstellt, der versucht, das religionspolitische Modell Quebecs auf neue Füße zu stellen. Das hat keine grundlegenden Neuerungen gegeben, aber es hat Justierungen gegeben, die auch aufgrund der mitlaufenden öffentlichen Debatte auf große Zustimmung gestoßen sind.
    Ulrich Willems ist Professor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.