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Religionsunterricht
Bloß kein zahnloser Gott

Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Friedfertigkeit – der Religionsunterricht betont meist die positiven Seiten des Glaubens. Aber wie umgehen mit Gewalt im Namen Gottes und Allahs? Hat das wirklich nichts mit Religion zu tun? Schüler fragen danach, und Lehrer brauchen Antworten, möglichst schon in der Ausbildung.

Von Burkhard Schäfers |
    Der Religionslehrer Ridwan Bauknecht schreibt am Montag (27.08.2012) in Bonn an der Robert-Koch-Schule während des islamischen Religionsunterrichts an die Tafel.
    In Deutschland steckt der Islamunterricht an den Schulen noch in der Experimentierphase (dpa / Oliver Berg)
    Erhan Cinar arbeitet als Realschullehrer in Nürnberg, er unterrichtet Deutsch, Geschichte und Islamische Religion. Der Terror in Paris und Istanbul, die Gewalttaten des IS in Syrien und im Irak – das beschäftigt seine Schüler.
    "Ob Gewalt etwas mit Islam zu tun hat. Plötzlich hören sie: Anschläge, Attentäter die Muslime sind und Selbstmordattentate begehen. Sie wollen aus einer sicheren Quelle erfahren, wie man auf solche Ereignisse reagieren soll und was der Islam dazu sagt und vermittelt."
    Die Schreckensnachrichten seien Auslöser dafür, dass junge Muslime mehr über ihre Religion erfahren wollen, berichtet Erhan Cinar. Der Religionslehrer bezeichnet sich als ‚lebende Quelle‘, die die Schüler ausfragen könnten. Denn im Koran gibt es etliche Stellen, die Extremisten heranziehen, um ihre Gewalt zu rechtfertigen. So fordert etwa die neunte Sure Muslime dazu auf: "Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Allah und den jüngsten Tag glauben."
    "Natürlich muss man, wenn man aus dem Koran Quellen heranzieht, eine bestimmte Methodik beachten. Wenn man diese Methodik nicht kennt, kann man viele Koranstellen missverstehen. Diese Methodik wird den Schülern beigebracht: Dass man nicht einen Vers aus dem Kontext herauszieht, sondern diese Verse hinterfragt: Zu welcher Gegebenheit sind diese Verse offenbart worden? Was gibt es an anderer Stelle im Koran dazu? Und was war die Herangehensweise des Propheten zu diesem Thema?"
    Der Religionslehrer versucht, diese Fragen fundiert zu beantworten. Das ist manchmal mühsam – für Lehrer wie für Schüler. Schnelle und oft einfache Antworten gibt es stattdessen in Internetforen oder Facebook-Gruppen.
    "Diese sozialen Netzwerke haben die Jugendlichen natürlich jederzeit aktuell, das heißt in ihren Hosentaschen haben sie ihre Handys dabei, wo sie gleich Zugriff auf soziale Medien nehmen können. Das kann man als Vorteil sehen, aber es ist meiner Meinung nach ein riesiger Nachteil, weil man sehr schnell an falsche Informationen kommen kann. Und diese falschen Informationen verbreiten sich leider viel schneller als die richtigen."
    Manche Vertreter von Glaubensgemeinschaften machen es sich ebenfalls leicht, indem sie versuchen, Gewalt und Religion zu trennen. Eine beliebte Erklärung lautet: Terroristen würden die Religion lediglich instrumentalisieren. Das aber sei ein Trugschluss, sagt Ulrich Kropac, Professor für Katechetik und Religionspädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
    "Das ist eine angenehme Erklärung, die den Vorteil hat, dass sie die Religion ganz von der Gewalt wegrückt und nur den einzelnen Gewalttäter in den Blick nimmt. Sowohl für das Christentum als auch für den Islam gilt, dass in die Offenbarungsschriften hinein selbst ein Zug von Gewalt eingetragen ist. Religion beinhaltet genuin Potentiale von Gewalt."
    So finden sich auch in der Bibel einschlägige Passagen: Gott schickt eine Sintflut und fast alle Menschen ertrinken. Jahwe, der als kriegerischer Gott beschrieben wird. Oder die Rache-Psalmen. Diese Aspekte seien im Religionsunterricht häufig unterbelichtet, meint Religionspädagoge Kropac. Allerdings gebe es eine Strömung in der Bibeldidaktik, mit Schülern bewusst auch schwierige Texte zu diskutieren.
    "Im Religionsunterricht sollte kein einseitiges Gottesbild präsentiert werden. Das wäre sozusagen ein zahnloser Gott. Dieses Gottesbild würde sich letztlich nicht halten lassen. Von daher ist es nötig, im Religionsunterricht rechtzeitig damit zu beginnen, Kindern und Jugendlichen die Konstruktion eines Gottesbildes zu ermöglichen, das viele Facetten kennt. Und dazu gehören auch die dunklen Seiten Gottes."
    Der Religionsunterricht soll den Glauben also nicht weichspülen, nicht ausschließlich den pazifistischen Bergprediger Jesus darstellen oder Allah, den Barmherzigen. Immerhin vertreten sowohl Christentum als auch Islam einen Absolutheitsanspruch. Mit Blick auf die religiöse Bildung unterscheidet der katholische Theologe deshalb zwischen weicher und harter Toleranz.
    "Die weiche Toleranz ist die angenehme. Sie beschränkt sich darauf, das Gemeinsame festzuhalten und über die Differenzen zu schweigen. Wir kommen im Dialog der Religionen nur dann weiter, wenn wir so etwas wie harte Toleranz entwickeln. Das bedeutet, die Differenzpunkte zu markieren und anzuerkennen, dass der Gesprächspartner in bestimmten Punkten nicht bereit ist, von seiner Position abzuweichen."
    Auch das könne ein Religionsunterricht vermitteln, der das Thema Gewalt nicht ausblendet, meint Ulrich Kropac. Der Bildungsbereich habe mit Blick auf fundamentalistische Tendenzen von Religionen eine zähmende Funktion. Etwa durch Lehrerbildung, Lehrpläne und Schulaufsicht. Was aber, wenn muslimische oder christliche Religionslehrer im Klassenzimmer extremistische Positionen vertreten?
    "Wenn eine Lehrperson Inhalte im Religionsunterricht verbreiten würde, die eindeutig gegen unsere Demokratie, gegen unser Gemeinwesen gerichtet sind, dann hat der Staat selbstverständlich die Möglichkeit hier einzugreifen. Während anderswo Religion gelehrt werden kann, ohne dass das im Blickfeld der Öffentlichkeit, der Gesellschaft und des Staates ist."
    Allerdings: Wäre das Thema Religion und Gewalt nicht besser dort aufgehoben, wo es neutral, gleichsam aus der Außenperspektive, behandelt wird? Sprich im Geschichts- oder im Sozialkundeunterricht, beziehungsweise im bekenntnisfreien Fach Ethik? Sind Religionslehrer womöglich betriebsblind?
    "Ich denke, dass man über den Zusammenhang von Religion und Gewalt dann am besten sprechen kann, wenn jemand selber in einer Religion beheimatet ist. Die Außenperspektive erschließt natürlich immer bestimmte Aspekte, aber um das Phänomen von Religion und Gewalt zu verstehen, ist es besser, eine Innenperspektive zu haben."
    Um mit dem Thema angemessen umgehen zu können, müsse sich in der Lehrerbildung etwas tun, meint der Eichstätter Religionspädagoge. Wichtig sei ein vertieftes Wissen über die Geschichte der Religion und über deren Schriften, außerdem ein psychologisches Grundverständnis. Ähnlich sieht es Erhan Cinar, muslimischer Religionslehrer in Nürnberg. Im Moment sei das Studium der Islamischen Theologie stark pädagogikorientiert. Er fordert, dass mehr über Inhalte gesprochen wird.
    "Neben der pädagogischen Ausbildung ist ein theologisches Wissen besonders wichtig. Ich habe in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass man vor allem als Religionslehrer – das wird den katholischen und evangelischen Kollegen ähnlich gehen – fundiertes Wissen haben muss. Weil man jederzeit mit bestimmten Fragen konfrontiert werden kann von den Schülern, und dann eben auch fundierte Antworten geben kann."
    Wenn Extremisten im Namen Gottes morden wirft das viele Fragen auf. An Religionskritik kommt auch der Religionsunterricht nicht vorbei.