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Remarques "Schwarzer Obelisk" in Hannover
Figuren im Überfluss, geschickt inszeniert

Romane auf die Theaterbühne zu bringen, ist nicht immer einfach. Schon gar nicht ein Figuren-Wimmelbild wie Erich Maria Remarques "Der schwarze Obelisk" um einen Grabsteinverkäufer in der Zwischenkriegszeit. Dem Intendanten des Schauspiels Hannover Lars-Ole Walburg gelingt das aber.

Von Michael Laages | 01.09.2018
    Intendant Lars-Ole Walburg steht am 03.01.2013 in Hannover (Niedersachsen) vor dem Schauspielhaus.
    Lars-Ole Walburg inszeniert "Der schwarze Obelisk" am Schauspiel Hannover (dpa/ Jochen Lübke)
    Im Normalfall wissen Autor oder Autorin schon ganz gut selber, ob sich einem Stoff besser mit einem Roman oder mit einem Text zum Beispiel fürs Theater nahekommen lässt. Bearbeiter und Bearbeiterinnen müssen darum zunächst einmal schlüssig beweisen, warum nun gerade ihr Medium wirklich taugt zur "Übersetzung". Aber zuweilen gelingt gerade das: einen Roman tatsächlich zu packen zu bekommen auf der Bühne und mit deren Künsten. Das ist nämlich nicht die Regel.
    Schon gar nicht, wenn die Vorlage eine Art Wimmelbild ist, wie eben "Der schwarze Obelisk". Erich Maria Remarque gibt dem Roman ja einen Untertitel mit: "Geschichte einer verspäteten Jugend". Genau das nämlich, wilde Jahre adoleszenter Selbstfindung, waren Remarques Generation nicht gegönnt. Mit 18 Jahren wurde zum Beispiel der Junge aus Osnabrück als Kanonenfutter an die Westfront des großen Mordens geschickt.
    1923, im Jahr der Hyper-Inflation, auf deren Gipfel ein Brot viele Milliarden Mark kostet, ein Dollar gar mehrere Billionen, wäre er, Remarque, 25 gewesen, wie in Roman und nun Stück Ludwig Bodmer in Werdenbrück, das stark Remarques Heimatstadt ähnelt. Hier arbeitet der junge Mann in einer Firma, die Grabsteine fertigt, was ja Zukunft hat, denn "gestorben wird immer".
    Begräbnisse aller Art
    So ist der Grundton gelegt für ein ironisch-satirisches Gesellschaftspanorama, in dem es eben von Figuren nur so wimmelt. Diese Struktur überträgt Walburg fürs Theater schon in die Besetzung mit nur sehr wenigen wirklich festen Rollen, und drumherum einem Ensemble, das sich unablässig zu wandeln versteht. Das fällt tatsächlich am meisten auf an diesem Abend in Hannover: wie selbstverständlich und selbstbewusst hier ein gutes Dutzend Theater-Menschen durch mindestens doppelt so viele Spiel-Profile kreuzen.
    Um eine Quelle versammelt sich die Truppe zu Beginn, um ein Loch im Bühnenboden, aus dem gleich wertloses Papier sprudelt: das "Geld" dieser Zeit. Dann wird tatsächlich "Der schwarze Obelisk" in die Konzertmuschel gewuchtet, die Robert Schweer als Bühne entworfen hat, mit weichem Boden, einer Art Balkon rechts oben und hinten Show-Vorhängen. Der Obelisk heißt übrigens "Otto" und ist reserviert für ein ganz besonderes Begräbnis. Bis dahin kommt alle naselang ein Ex-Offizier vorbei, sturzbesoffen und mit starkem Druck auf der Blase. Der arme "Otto" wird unentwegt angepinkelt.
    Und schon hat das Spiel sich aufgefächert. Im Grunde bleiben nur Ludwig und Georg, Grabstein-Verkäufer und Firmen-Chef, für den Rest des Abends, was und wer sie zu Beginn sind. Schon die sonderbare Angebetete, die Ludwig als Nebenbei-Organist in einer örtlichen Psychiatrie kennen lernt, ist in sich und an sich gespalten in der Persönlichkeit. Auf der Bühne sind sie das von nun an fast alle: der Industrielle, der das Material für Grabsteine liefert, ist zugleich, szenisch natürlich abwechselnd, Gatte und Geliebter der üppigen Dame auf dem Balkon rechts oben.
    Adolf Hitler weiß, was los ist
    Der blasenschwache Offizier wird später zum verwirrten Briefträger, der nach der Entlassung weiter und immerzu nur Feldpostkarten verteilt. Und in den schlimmsten Momenten dröhnen die an die Macht strebenden Nazi-Ungeister in die Szene. Wie jetzt, wie hier, wie heute, Remarque schärft das Empfinden für die Bedrohung.
    "Hast Du sie nicht gehört?"
    "Wen soll ich gehört haben?"
    "Die Rede vom Führer, Mensch, Adolf Hitler! Er war im Radio... wunderbare Rede. Der Mann weiß, was los ist!"
    Noch wird der Horror abgewehrt – notfalls mit Hilfe eines Männergesangvereins.
    "Hell schon erglüh'n die Sterne, grüßen aus blauer Ferne. Möchte zu Euch so gerne, zieh'n himmelwärts."
    Auch den Chor übrigens hat Regisseur Walburg dramaturgisch geschickt eingebaut wie ein Instrument. Ansonsten klingen aber auch Sounds ganz von heute durch den Abend. Alle Zutaten können einander effektvoll durchdringen, manchmal sogar so wimmelig und filmschnittschnell im Wechsel der Szenen, dass schon sehr genau aufpassen muss, wer am Ball bleiben und die Geschichte selber nicht aus den Augen verlieren will.
    Aber die Gefahr ist nicht groß, auch weil Walburg den Fokus nicht wirklich und nicht nur auf die "verspätete Jugend" legt. Den Horizont markieren Kleinstadtwelt und die schwere Zeit, die so leicht vergeht.