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Renaissance einer Wunderpflanze

Umwelt. - Chinaschilf, das ist ein meterhohes Grasgewächs, in das Freunde nachwachsender Rohstoffe einst große Hoffnungen setzten. Die Pflanzen wachsen nämlich bis zu fünf Zentimeter am Tag. Anfang der 1990er Jahre galt das Turbo-Gewächs aus Fernost deshalb als heißer Kandidat für Öko-Häuser wie auch für die Verbrennung in Heizkesseln - doch der schnelle Erfolg blieb aus.

Von Ralf Krauter | 10.03.2009
    Wer auf der A 61 nach Koblenz fährt, passiert kurz nach Köln den Gutshof Klein-Altendorf. Agrarforscher der Universität Bonn erproben hier den Anbau exotischer Nutzpflanzen. Ralf Pude, Geschäftsführer der Lehr- und Forschungsstationen, stapft in festen Schuhen einen Feldweg entlang. Aus der feuchten Erde rechts davon sprießen mannshohe Stängel mit schmalen Blättern oben dran. Chinaschilf oder Miscanthus heißt der grüne Hoffnungsträger.

    "Das sind jetzt hier einjährige Pflanzen, also im Frühjahr gepflanzt. Wenn sie sich das unten anschauen: Das war mal ein Trieb. Mittlerweile sind das so um die 20 Triebe. Sie sehen, die Pflanze füllt die Fläche langsam aus. Die Pflanzen wachsen zueinander, werden jetzt im ersten Jahr nicht ganz zwei Meter hoch."

    Auf tennisplatzgroßen Parzellen hat Ralf Pude Mitte Mai 2008 25 verschiedene Chinaschilf-Sorten gepflanzt, um herauszufinden, welche am schnellsten Biomasse produziert. Das rasante Wachstum der asiatischen Großgräser fasziniert den 40-jährigen seit seiner Diplomarbeit.

    "Wenn Sie hier nächstes Jahr hinkommen, dann werden die schon drei bis vier Meter hoch sein. Dort hinten sehen Sie die älteren Bestände. Die sind ohne weiteres schon mal vier Meter hoch."

    Das anspruchslose Chinaschilf wächst überall, wo auch Mais gedeiht. Die dreijährige Pflanzung weiter hinten, in Richtung Autobahn, ist ein undurchdringliches Dickicht, in dem sich Rehe und Fasane wohl fühlen.

    "Die Pflanze ist mehrjährig, kann also völlig extensiv angebaut werden. Sie pflügen die Fläche einmal, dann 20 Jahre nicht mehr und ernten nur noch jedes Jahr. Und sie haben dann einen sehr hohen Ertrag von bis zu 20 Tonnen Trockenmasse pro Hektar. Und so ein Miscanthus-Bestand bindet immerhin 30 Tonnen Kohlendioxid pro Hektar und Jahr. Das schafft kaum eine andere Ackerkultur hier bei uns in Deutschland."

    20 Tonnen Trockenmasse-Ertrag pro Jahr und Hektar: Das entspricht dem Äquivalent von 6000 bis 8000 Litern Heizöl. Dabei schien es vor zehn Jahren noch völlig aussichtslos, die Turbo-Gräser in Deutschland zu kultivieren. Die erste Euphorie über die Exoten war Katerstimmung gewichen. Das Biomassewunder aus China vertrug den deutschen Winter nicht. Die meisten Forscher wandten sich deshalb anderen nachwachsenden Rohstoffen zu. Miscanthus war out, doch Ralf Pude blieb bei der Stange und fand heraus, warum einjähriges Chinaschilf im Frühjahr nicht mehr austrieb: Nicht die Kälte macht den Pflanzen zu schaffen, sondern ihre verwirrte innere Uhr. Ein Problem, das sich, wie Pude während seiner Doktorarbeit herausfand, vermeiden lässt, indem man statt Samen zu säen fingerdicke Wurzelstücke pflanzt. Die Fachwelt quittierte diese Entdeckung mit Skepsis.

    "Das ist halt oft als Forscher so, dass die Sachen, die man erforscht, nicht unbedingt geglaubt werden."

    Fördermittelanträge für Miscanthus-Forschung wurden jahrelang kategorisch abgelehnt, Ralf Pude musste sich von Stelle zu Stelle hangeln und seine Chinaschilf-Versuche mit anderen Projekten quer finanzieren.

    "Ich musste da schon sehr ungewöhnliche Wege gehen. Ich habe dann zum Beispiel in Polen – und das vor Winter – Miscanthus gepflanzt, um einfach nachzuweisen, dass das einfach ist, dass es egal ist, wie kalt es über Winter wird. Ich habe auch für die Landesgartenschau in Schloss Diek bei Grevenbroich 15 Hektar Miscanthus auf einen Schlag angebaut. Und durch diese Nachweise haben dann sehr viele gesehen, dass es funktioniert. Mittlerweile ist es wie ein Selbstläufer. Ein Landwirt schaut sich beim anderen Landwirt an, wie man Miscanthus anbaut. Das ist ein Schneeballsystem. Und das machen mittlerweile immer mehr Landwirte."

    Die Schilfstangen lassen sich mit gewöhnlichen Maishäckslern zerstückeln. Zu Pellets gepresst dienen sie als Rohmaterial für ökologische Baustoffe. Abnehmer gebe es reichlich, sagt Ralf Pude.

    "Zum Beispiel eine Firma, die einen Ölbinder aus Miscanthus produziert. Eine andere Firma, die biologisch abbaubare Blumentöpfe aus Miscanthus. produziert. Oder eine Firma, die Lärmschutzwände, massive Wände aus Miscanthus, gemischt mit Zement, produziert. Die andere Möglichkeit ist halt die energetische Nutzung. Und hier gibt es aber noch Forschungsbedarf wie man die Inhaltstoffe, die unerwünscht sind, wie Silizium oder Chlor reduzieren kann. Aber da ist man schon sehr weit. Und es gibt auch schon Ofenbauer, die spezielle Öfen für die Verbrennung von Miscanthus. produzieren."

    Steigende Ölpreise bescheren dem Turbo-Schilf aus China einen zweiten Frühling. Auch in den USA und Kanada probt man inzwischen den großflächigen Anbau - mit Know-how aus Deutschland.

    http://www.miscanthus.de
    http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/476/
    http://www.nachwachsende-rohstoffe.biz/nawaro-firmen-stellen-sich-vor/interview-mit-albrecht-von-hagen-zum-thema-miscanthus/
    http://cleantech.com/news/1452/miscanthus-bests-switchgrass-researche
    www.inaro.de/deutsch/KULTURPF/Miscant/Misc_index.htm
    www.bio-energie.de/cms35/Miscanthus.2432.0.html
    www.sciencedaily.com/releases/2008/07/080730155344.htm
    esciencenews.com/articles/2008/...
    www.lwg.bayern.de/landespflege/landschaftspflege/13117/