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Renaissance Faces

In der Londoner National Gallery läuft seit Mitte dieser Woche die Ausstellung "Renaissance Faces - Van Eyck to Titian". Schon der Titel wirft eine Frage auf: Renaissance-Gesichter - gibt es die überhaupt? Und wenn ja: Gründet ihre Verwandtschaft im Stil der Maler oder gibt es so etwas wie eine typische Mimik jener Zeit?

Von Hans Pietsch |
    Im Sommer 1521 bereiste Albrecht Dürer die Niederlande. Als er am 2. Juli Antwerpen verlassen wollte, erreichte ihn eine Nachricht des dänischen Königs Christian, der sich in der Stadt aufhielt. Dürer solle ihn porträtieren. Nach getaner Arbeit lud ihn der Monarch zum Abendessen ein. Später vertraute der Maler seinem Tagebuch an, Christian habe sich ihm gegenüber "äußerst liebenswürdig verhalten".

    Die damals entstandene Kohlezeichnung hängt als eines der "Gesichter der Renaissance" in der Ausstellung, und die kleine Geschichte beweist zweierlei: dass der Künstler als Superstar, als Freund der Mächtigen und Reichen, kein heutiges Phänomen ist, und zweitens, wie bedeutend die Porträtmalerei in der Renaissance war. Selbst ein König nutzte die Gelegenheit, von einem großen Künstler porträtiert zu werden.

    Das Schöne an der Schau ist, dass sie es sich weitgehend verkneift, kunsthistorisch zu dozieren - über die unterschiedlichen Malweisen in Italien und Nordeuropa, hier Temperafarbe, dort Ölfarbe, die eine realistischere Darstellung erlaubte. Jan van Eycks "Porträt eines Mannes" von 1433, wahrscheinlich ein Selbstporträt, ist ein Beispiel: nach mehr als 600 Jahren sind seine winzigen Bartstoppeln noch zu sehen, doch Sandro Botticelli kann mit Tempera ebenso realistisch sein: das Gesicht seines "Jungen Mannes", entstanden um 1480, ist fast dreidimensional, nicht Profil, nicht Halbprofil, sondern eine für damals ungewöhnliche Frontalansicht.

    Die Schau handelt von Porträtkunst als Erinnerung - ein Porträt, so Dürer, "bewahrt das Aussehen eines Menschen über seinen Tod hinaus." Sie handelt also von Menschen, und das ist aufregend. Da ist der Doge Leonardo Loredan von Giovanni Bellini, heiter und respekteinflößend zugleich; da ist der alte Mann mit seinem Enkel, ein posthumes Porträt von Domenico Ghirlandaio, und doch kommunizieren der Alte mit der knolligen Nase und der gelockte Junge ganz innig miteinander; da sind Piero de Cosimos Vater und Sohn da Sangallo, Musiker und Architekt, ernst und selbstsicher; da ist das Porträt einer Frau, genannt "La bella" von Palma Vecchio, mit allen Attributen der idealen Frau in der Poesie der Renaissance - helles Haar, hohe Stirn, runde Augenbrauen, blasse Haut, rote Lippen, und doch ganz ein Individuum; und da ist Dürers erstaunliches Porträt des Nürnberger Kaufmanns Johannes Kleberger, gemalt wie eine Porträtmedaille, aus der der Kopf dreidimensional heraustritt und Schatten wirft.

    Dass Herrscher auch Humor haben können, zeigt Kaiser Rudolf der Zweite. Er ließ sich um 1590 von Giuseppe Archimboldo als Vertumnus darstellen, das ist der Beschützer von Wachstum und Fruchtbarkeit - die Nase eine Birne, zwei rote Äpfel als Wangen, aus dem leicht geöffneten Mund quellen zwei Kirschen. Trotz Verunstaltung durch Obst und Gemüse ist der Mächtige klar erkennbar.

    Im letzten Raum geht es dann um die Mächtigen der damaligen Welt. Wie Philip den Zweiten von Spanien, der als lebensgroße Bronzestatue und als Büste zu sehen ist, und zweimal auf der Leinwand. Von Antonis Mor als Krieger am Tag einer bedeutenden Schlacht, obwohl er sich eigentlich auf dem Schlachtfeld nicht blicken ließ. Und das berühmte von Tizian aus dem Prado. Der Maler idealisiert den Prinzen auf subtile Weise, macht ihn etwas größer und schlanker, als man ihn von anderen Porträts kennt. Und im selben Raum hängen auch zwei der wohl größten Porträts von Päpsten nebeneinander: Raffaels Darstellung von Julius dem Zweiten und Tizians von Paul dem Dritten. Beide Werke, jedes auf seine Art, bestimmten für die nächsten 200 Jahre, wie man Päpste darstellt.

    Bei seinem Amtsantritt Anfang des Jahres ging der neue Direktor der National Gallery, Nicholas Penny, ein wenig auf Distanz zu Blockbustern - wenn es nur um Publikumsrenner gehe, mache er nicht mit. Jetzt hat er sich einen ins Haus geholt, doch wenn sie so lehrreich und aufregend sind wie die "Gesichter der Renaissance", kann man eigentlich nichts dagegen haben.

    National Gallery in London, bis 18. Januar 2009.