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Renaturierung
Die Emscher ist wieder ein Fluss

Die Emscher war viele Jahrzehnte ein stinkender Abwasserkanal. Chemie und Fäkalien bildeten eine Brühe, der man sich nicht freiwillig näherte. Jetzt ist sie renaturiert - eine Erfolgsgeschichte des Umweltschutzes.

Von Vivien Leue | 23.04.2019
Die Emscher ist kein Abwasserkanal mehr
Früher Kloake, heute renaturiert: Die Emscher (picture alliance / blickwinkel/M. Henning)
"Was wir hier sehen, ist ein renaturierter Gewässerlauf, das heißt, das war hier mal früher eine Köttelbecke, wie man so im Ruhrgebiet sagt, weil eben ganz offen die Köttel oberirdisch schwammen, das Ganze auch nicht so gut gerochen hat."
Ilias Abawi steht an einem grünen Flussbett in Essen-Frohnhausen und zeigt auf den leise plätschernden Borbecker Mühlenbach, einen Zufluss zur Emscher. Abawi ist Sprecher der Emschergenossenschaft, einem Wasserwirtschaftsverband, dem Kommunen, Industrie- und Gewerbebetriebe der Region angehören. Er erklärt, dass hier vor wenigen Jahren anstelle des Flusses eine Betonrinne Abwasser transportiert hat.
Brühe mit Kotklumpen und Chemikalien
Offen schwamm eine Brühe aus Köttel - wie Kotklümpchen im Ruhrgebiet heißen -, Chemikalien und anderen Stoffe vorbei – kaum vorstellbar.
"Dieser Abschnitt ist vor circa zwei bis drei Jahren fertig gestellt worden. Deshalb sieht es noch recht überschaubar, ja fast schon nackt aus aber eben auch schon sehr schön. Wenn wir jetzt in Fließrichtung blicken, dann ändert sich die Optik ein klein wenig. Da gibt es einen kleinen Auenwald, da stehen die Bäume jetzt richtig hoch drin und dieser Bauabschnitt wurde vor knapp acht bis neun Jahren fertig gestellt."
Im gesamten Ruhrgebiet umfassen die Emscher und ihre zahlreichen Nebenflüsse eine Strecke von 326 Kilometern. Etwa die Hälfte davon ist mittlerweile renaturiert.
"1991 - als der Emscher-Umbau beschlossen wurde, da haben uns nicht wenige den Vogel gezeigt. Mittlerweile leben Eisvögel hier an der Emscher, die ein absolutes Qualitätsmerkmal sind."
Etwas mehr als fünf Milliarden Euro soll der jahrzehntelange Umbau insgesamt kosten – bisher ist die Emschergenossenschaft hier im Plan. Und ein Großteil der Arbeiten ist schon geschafft. Um den Fluss wiederzubeleben, baute die Genossenschaft in einem ersten Schritt hunderte Kilometer an Abwasserkanälen.
"In den vergangenen, ja über 100 Jahren eigentlich, konnte man keine unterirdischen Abwasserkanäle bauen hier im Emschergebiet, weil es auf Grund der Bergsenkungen in Folge des Kohleabbaus zu Beschädigungen dieser Kanäle gekommen wäre."
Deshalb wurden die Abwässer jahrzehntelang ungeklärt in die Emscher und ihre Nebenläufe geleitet. Damit das Wasser gut abfließt und die ganze Kloake nicht über die Ufer tritt, wurde der Fluss außerdem in ein tiefes Betonbett gelegt – wobei es eigentlich da schon gar kein Fluss mehr war.
"Die Ruhr gab der Region ihren Namen, aber die Emscher ließ ihr Leben."
Betonkorsett wird entfernt
Nun wird die Emscher nach und nach wiederbelebt. An vielen Stellen, an denen der Fluss nicht mehr durch Abwässer belastet ist, ist bereits das Betonkorsett entfernt worden. Der Fluss schlängelt sich wieder durch ein natürliches Bett.
"Sobald das Abwasser verschwunden ist, sobald die Betonschalen entfernt sind, dann ist Mutter Natur dran und sorgt alleine für Ordnung."
Für viele Anwohner wie Willi Garth war es unvorstellbar, dass aus der stinkenden Kloake tatsächlich wieder ein natürlicher Fluss werden könnte.
"Das ist jetzt der Hörder Bach..."
Der Dortmunder steht im Stadtteil Hörde an einem Zufluss zur Emscher und blickt auf ein paar Enten im Wasser.
Garth ist 81 Jahre alt und mit der Kloake vor seiner Haustüre aufgewachsen.
"Als ich dann zum ersten Mal die Emscher sah, wo sich die Sonne drin spiegelte, da wurde es mir schon anders, also das war für mich ein beeindruckendes Erlebnis."
Industrievorort Hörde wird Erholungsgebiet
Das Dortmunder Stadtviertel Hörde hat sich durch die Renaturierung des Flusses gewandelt. Auf dem Gelände eines stillgelegten Stahlwerkes entstand außerdem ein See – direkt neben der Emscher. Aus einem ehemaligen Industriestandort ist ein Erholungsgebiet geworden.
"Man pilgert hin, steht am Ufer, also es ist schon ein Paradies geworden."
Zurück zum Borbecker Mühlenbach in Essen. Ilias Abawi ist stolz, dass das gewaltige Renaturierungsprojekt bisher so gut funktioniert.
"Es gibt zahlreiche interessierte Anfragen aus dem Rest der Welt, vor allem, wo teilweise noch Bergbau betrieben wird, wo es ähnliche Kloaken gibt, die einstmals Gewässer waren und dann degradiert wurden, zu Abwasserläufen."