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Rente und Altersarmut
VdK: Rente braucht breitere Finanzierungsbasis

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sieht im Rentenkonzept von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) viele gute Ansätze. Sie forderte aber im Dlf auch eine Rentenniveauerhöhung, eine Mindestlohnanhebung und die Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen in die gesetzliche Rente.

Verena Bentele im Gespräch mit Christoph Heinemann | 13.07.2018
    Die neue VdK-Präsidentin Verena Bentele spricht beim Bundesverbandstag des Sozialverbands VdK Deutschland. Der VdK vertritt als gemeinnütziger Verband mit 1,8 Millionen Mitgliedern sozialpolitische Interessen und bietet ihren Mitgliedern Sozialrechtsberatung.
    Verena Bentele, Präsidentin des VdK zur Erhöhung des Rentenniveaus: "Ich bin der Überzeugung, dass sich ein Land wie Deutschland das leisten muss, weil die Lebensleistung aller Menschen auch wertvoll und wichtig ist für ein Land." (Bernd von Jutrczenka/dpa)
    Christoph Heinemann: Verena Bentele ist ehemalige Spitzensportlerin und heute Präsidentin des Sozialverbandes VDK. Guten Tag!
    Verena Bentele: Guten Tag.
    Heinemann: Frau Bentele, hat Hubertus Heil die Rente im Griff?
    Bentele: Es ist sicherlich so, dass der Rentenpakt einige gute Vorschläge bereithält, und vor allem finde ich wichtig, dass wirklich Geld für die Rente in die Hand genommen wird. Das soll und wird hoffentlich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die gesetzliche Altersvorsorge stärken.
    Was gut ist, ist der Demografie-Fonds. Darüber freue ich mich sehr, weil das auch garantiert, dass die Beitragssätze stabil bleiben. Aber natürlich habe ich viele Punkte auch, die ich gerne weiter sehen würde, wie zum Beispiel eine Anhebung des Rentenniveaus, nicht nur eine Stabilisierung auf 48 Prozent, sondern eine Anhebung auf 50 Prozent. Oder ich finde es auch nicht richtig, dass der Staat entscheidet, dass man mindestens drei Kinder oder mehr Kinder haben soll, damit man auch Rentenpunkte bekommt. Da muss es eine Regelung geben für alle Mütter und Väter, die vor 1992 Erziehungszeiten genommen haben. Da gibt es auch noch einiges zu tun.
    Selbstständige und Beamte mit einbeziehen?
    Heinemann: Irgendjemand muss das bezahlen. Der Präsident des Bundesrechnungshofes Kay Scheller warnt jetzt vor den Kosten. Schon in zwei Jahren muss der Bund mehr als 100 Milliarden Euro im Jahr an die Rentenkasse überweisen. Können wir uns das leisten?
    Bentele: Ich bin der Überzeugung, dass sich ein Land wie Deutschland das leisten muss, weil die Lebensleistung aller Menschen auch wertvoll und wichtig ist für ein Land. Und dass wir auch ein Rentensystem über Steuergelder finanzieren und bezuschussen, neben der Beiträge der Versicherten, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, ist auch wichtig, dass der Staat wirklich auch was für die Rente tut und das auch finanziert.
    Aber ich bin auch der Überzeugung, dass wir in Zukunft über eine breitere Basis der Finanzierung diskutieren müssen, also auch darüber, wie beziehen wir eigentlich zukünftig Beamte mit ein, Selbstständige mit ein, die dann auch Teil der gesetzlichen Rentenversicherung werden sollten.
    Heinemann: Bliebe es beim Jetzigen, also bei Konsum statt Investition, hieße das aber auch dann weniger Geld für Kitas, für Schulen, für die Pflege.
    Bentele: Natürlich will ich auch nicht und wollen wir auch nicht als Sozialverband VDK Deutschland, dass an Bildung, an Kitas, an Schulen gespart wird.
    Heinemann: Man muss sich schon entscheiden!
    Bentele: Man muss sich vielleicht ein Stück weit entscheiden, oder auch über Modelle nachdenken, wie man Systeme anders finanzieren könnte. Sie wissen auch und wir wissen alle, dass es viele Unternehmen in Deutschland gibt, die sehr hohe Gewinne machen, wovon die Menschen längst noch nicht so profitieren, wie sie es eigentlich sollten. Sprich: Wir sollten unbedingt den Mindestlohn anheben, was auch wiederum für höhere Rentenbeiträge sorgen würde. Wir sollten unbedingt überlegen, wie auch Unternehmen mit ihren hohen Gewinnen mehr die Beschäftigten und auch das Gemeinwohl unterstützen. Ich würde schon mir auch wünschen, dass wir übers Thema Steuergerechtigkeit noch mal mehr nachdenken.
    "Es muss eine gerechte Bezahlung für Arbeit geben"
    Heinemann: Frau Bentele, sind die Jungen die Dummen?
    Bentele: Ich bin jung. Ich halte mich nicht für dumm. Ich möchte auch in die Rente vertrauen können und ich möchte auch darin vertrauen können, dass ich in 30 Jahren noch eine gesetzliche Altersvorsorge habe. Deswegen ist es auch für mich ganz wichtig und entscheidend, was die Rentenkommission für Vorschläge erarbeitet, ob wir damit dann wirklich auch wissen, dass Menschen wie ich, die Mitte 30 sind, sich auf die Rente verlassen können.
    Heinemann: Was raten Sie denn jungen Menschen? Lebensversicherungen bringen ja kaum noch Zinsen und die Aktien bergen Risiken.
    Bentele: Ich bin ja glücklicherweise Sozialverbandspräsidentin und nicht Anlageberaterin. Ich rate natürlich jungen Menschen dazu, wirklich über Bildung, über gute Jobs auch gute Rentenanwartschaften zu erwerben, wirklich dafür einzustehen, auch einen guten Lohn zu bekommen. Das fordere ich auch für alle Berufe, nicht ausschließlich für Berufe für hoch qualifizierte Menschen, sondern für alle Berufe. Egal ob man eine Hilfstätigkeit macht oder eine akademische Ausbildung hat, muss es eine gerechte Bezahlung für Arbeit geben.
    Gleichstellung von gesetzlicher, privater und betrieblicher Rentenversicherung
    Heinemann: So oder so wird es immer Menschen am unteren Ende der Lohnskala geben. Ist für die die Rente langfristig sicher?
    Bentele: Es ist wie ich schon gesagt habe so, dass wir jetzt in dem neuen Rentenpakt auch für die Menschen am unteren Ende der Einkommensskala eine Erleichterung haben durch die niedrigen Sozialversicherungsbeiträge. Das finde ich eine Sache, die ist schon zu diskutieren. Aber ich fordere jetzt auch eine höhere Lohngerechtigkeit, sprich eine Anhebung des Mindestlohns.
    Heinemann: Aber trotzdem werden immer weniger immer mehr finanzieren müssen. Wie kann man nachhaltig Armut im Alter verhindern?
    Bentele: Ich kann mich jetzt eigentlich immer nur wiederholen. Man muss einerseits definitiv dafür sorgen, dass wir wirklich genug Menschen haben, die einzahlen, dass wir auch genug Menschen hier in Deutschland gut ausbilden, dass sie dann auch in die Rentenversicherung einzahlen können. Und was mir auch ganz wichtig ist, dass wir wirklich alle Menschen mit einer Übergangszeit natürlich einzahlen lassen, sprich auch Beamte und Selbstständige.
    Heinemann: Dann müsste man sich die Rentenleistungen auch noch mal anschauen. Mütterrente auf der einen Seite, Rente mit 63 für bestimmte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wie viel Klientel-Politik verträgt das Rentensystem?
    Bentele: In meinen Augen verträgt ein Rentensystem nicht sehr viel Klientel-Politik. Es verträgt aber auch nicht, dass wir beispielsweise Freibeträge in der Grundsicherung haben für die Bereiche betriebliche Altersvorsorge und private Altersvorsorge, aber nicht gesetzliche. Auch hier fordere ich dringend eine Gleichstellung auch der gesetzlichen Rentenversicherung mit der privaten und der betrieblichen.
    Ansonsten ist Klientel-Politik sicher nichts, was eine Rentenversicherung machen sollte, weil wir wissen, dass 80 Prozent der zwischen 20- und 45-Jährigen nicht mehr darauf vertrauen, nicht von Altersarmut bedroht zu sein, und das sollte uns schon nachdenklich stimmen.
    Zuwanderung: "Wir brauchen Menschen, die hier arbeiten"
    Heinemann: Und auch diese Menschen werden glücklicherweise älter und glücklicherweise gesünder älter. Können wir uns auf Dauer ein Renteneintrittsalter 67 leisten?
    Bentele: Man muss die Frage anders herum stellen: Können wir es uns leisten, allen Menschen vorzuschreiben, dass sie bis 70 oder noch länger arbeiten sollen? Gerade für Menschen in körperlich und mental anspruchsvollen Berufen wird das für viele gar nicht gehen. Deswegen finde ich, eine Diskussion über die Erhöhung des Renteneintrittsalters lässt sehr viele Menschen zurück, die das gar nicht schaffen können.
    Heinemann: Frau Bentele, ent- oder belastet die Zuwanderung der letzten Jahre das Rentensystem?
    Bentele: Da wir Fachkräftemangel in Deutschland haben, wissen wir alle, dass wir Zuwanderung brauchen, dass wir Menschen brauchen, die hier arbeiten. Und in meinen Augen haben wir auch völkerrechtliche Verpflichtungen, Menschen, die Schutz brauchen, zu unterstützen. Deswegen sollten wir das nicht an so einer Frage festmachen.
    Heinemann: Die AfD möchte deutsche Staatsbürger in der Rente bevorzugen.
    Bentele: Ja, das möchte ich nicht.
    Heinemann: Das fordert Herr Höcke. AfD-Ko-Chef Meuthen wirbt für eine Abkehr vom zwangsfinanzierten Umlagesystem der gesetzlichen Rentenversicherung hin zu einer regelhaften privaten Vorsorge. So hat er sich ausgedrückt. Sind das Ansätze, mit denen man die Alterssicherung stabilisieren könnte?
    Bentele: Nein! – Klares Nein!
    Heinemann: Inwiefern nicht?
    Von Österreich lernen?
    Bentele: Ich bin nicht dafür, dass wir hier wieder eine Ausgrenzungsdebatte führen, dass wir hier nur für Menschen, die in Deutschland geboren sind, ein Rentensystem haben. Und ich bin auch nicht dafür, dass wir alle Menschen dazu zwingen und verpflichten, privat vorzusorgen. Das kann sich nun mal einfach nicht jeder leisten. Das können sich manche leisten, aber eben nicht jeder in Deutschland. Und wir brauchen ja auch ein System, das die Menschen mit einbezieht, die sich das nicht leisten können.
    Heinemann: Aber dennoch ist es offenbar in Deutschland so, dass immer wieder angepasst werden muss und repariert werden muss an dem Rentensystem. Gibt es eigentlich Länder, von denen Deutschland lernen könnte?
    Bentele: Ich bin der Überzeugung, dass wir zum Beispiel von Österreich lernen können, wo die Arbeitgeber einen höheren Beitrag bezahlen als die Arbeitnehmer. Das finde ich eine gute Sache. Auch über solche systematischen wirklich auch tief greifenden Einschnitte sollte man sich auch in Deutschland Gedanken machen.
    Heinemann: Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbandes VDK. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Bentele: Danke schön. – Tschüss!
    Heinemann: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.