Eine merkwürdige Atmosphäre macht sich breit im doch eigentlich so technischen Ambiente des Hamburger Bahnhofs. Es riecht nach Renaturierung. Rentiere laufen herum und schlagen relativ ungeniert ihr Wasser ab, Kanarienvögel trällern in den hohen Hallen, als sei eine Vision aus den alten Zeiten des Berliner Häuserkampfes wahr geworden, als liege unter dem Pflaster wieder der Strand und die Natur habe sich die Hauptstadt der Brachen zurückgeholt.
Konsequenterweise kann man zwischen Kanarienvogelwaage, Fliegenpilzuhr und Rentiergehege sogar übernachten, für tausend Euro einschließlich hotelmäßigem Service und vom Künstler gestalteter Badewäsche. Die rührselige Kuratorin übernimmt die Aufgabe, das Angebot zu bewerben, nur noch wenige Termine frei, buchen Sie jetzt. Diese Idee hätte vermutlich sogar Beuys selig gefallen. Doch die Atmosphäre bleibt trotzdem seltsam. Man erahnt es am gänzlich ironiefreien Tonfall in Udo Kittelmanns Zusammenfassung von Carsten Höllers Projekt:
"Sie finden auf der einen Seite sechs Rentiere, auf der anderen Seite sechs Rentiere. Sie werden auf der einen Seite zwölf Kanarienvögel und auf der anderen Seite zwölf Kanarienvögel finden. Sie werden ebenso die gleiche Anzahl auf beiden Seiten von Mäusen finden wie von Fliegen finden. Das ist das Bild, das ist die Untersuchung in der ersten Phase zur möglichen Wiederentdeckung von Soma."
Ob das der Geist des Hamburger Bahnhofs ist, jener Geist, den Kittelmanns Vorgänger Peter Klaus Schuster diesem Haus in langen Jahren seit seiner Gründung eingebläut hat: der Geist der Predigt und der Beschwörung, des Mimikri und der werbewirksamen Hypnose – ein Geist, den man mit Kittelmanns Amtsantritt weggewischt und einer neuen Lockerheit gewichen glaubte – und der nun doch auch den neuen Direktor infiziert hat?
Worum geht es? Soma ist ein mythischer Trank, der vor allem aus den Veden, jenen fünftausend Jahre alten hymnischen Urtexten des indogermanischen Kulturraumes bekannt ist. Er soll Gottesnähe und innere Helligkeit bewirken, eine Art schamanistischen Entrückungszustand. Nie wurde die Zusammensetzung des Gebräus je gefunden.
Soma ist das Atlantis der Drogengeschichte. Es gibt zahlreiche Hypothesen, aber keine Beweise. Carsten Höller, der gelernte Agrarwissenschaftler, hat sich in seinen künstlerischen Arbeiten immer wieder mit Phänomenen von Naturaneignung und Nahrungsketten befasst und sich dazu der Methoden gefakter Experimente bedient. In aller Regel atmeten seine Aktionen den heiteren Charme der Zersetzung: Sowohl die positivistischen Prinzipien der Wissenschaft als auch die Institution des Museums wurden ausgehebelt, weil man weder von Kunst noch von Wissenschaft reden konnte. Höller geht es um ein Drittes, etwas, das es im Begriffssystem der Kulturindustrie eigentlich nicht gibt, einen Bereich der real existierenden Nichtverwertbarkeit. Seine eigene Hypothese: Soma sei nichts anderes als das Urin von Rentieren, die sich von Fliegenpilzen ernährt hätten, ist wissenschaftlich in etwa so erhärtbar wie Kaffeesatzlesen. Ob der Rentier-Urin-Versuch irgendetwas bringt - niemand weiß es. Ist aber auch unwichtig.
"Also man kommt ja nicht an das Rentier-Urin ran in dem Sinne. Aber einem steht die ganze Ausstellung zur Verfügung. Das Rentier-Urin ist ja da. Also wir haben bis jetzt einen Liter Rentier-Urin gesammelt. Man muss den Rest in der Vorstellung zuende denken."
Doch der alte Geist des Hamburger Bahnhofs lässt sich nicht unterkriegen. Es ist Kunst, Kuuunst! beschwört Udo Kittelmann sein Publikum – als fürchte er, sein Museum, das gerne ein großes Museum wäre, könnte Schaden nehmen, wenn man auch nur einem Moment an der Einheit von Museum und Sinnstiftung zweifelte. Eine merkwürdige Atmosphäre macht sich breit im Hamburger Bahnhof. Es riecht nach Renaturierung.
Konsequenterweise kann man zwischen Kanarienvogelwaage, Fliegenpilzuhr und Rentiergehege sogar übernachten, für tausend Euro einschließlich hotelmäßigem Service und vom Künstler gestalteter Badewäsche. Die rührselige Kuratorin übernimmt die Aufgabe, das Angebot zu bewerben, nur noch wenige Termine frei, buchen Sie jetzt. Diese Idee hätte vermutlich sogar Beuys selig gefallen. Doch die Atmosphäre bleibt trotzdem seltsam. Man erahnt es am gänzlich ironiefreien Tonfall in Udo Kittelmanns Zusammenfassung von Carsten Höllers Projekt:
"Sie finden auf der einen Seite sechs Rentiere, auf der anderen Seite sechs Rentiere. Sie werden auf der einen Seite zwölf Kanarienvögel und auf der anderen Seite zwölf Kanarienvögel finden. Sie werden ebenso die gleiche Anzahl auf beiden Seiten von Mäusen finden wie von Fliegen finden. Das ist das Bild, das ist die Untersuchung in der ersten Phase zur möglichen Wiederentdeckung von Soma."
Ob das der Geist des Hamburger Bahnhofs ist, jener Geist, den Kittelmanns Vorgänger Peter Klaus Schuster diesem Haus in langen Jahren seit seiner Gründung eingebläut hat: der Geist der Predigt und der Beschwörung, des Mimikri und der werbewirksamen Hypnose – ein Geist, den man mit Kittelmanns Amtsantritt weggewischt und einer neuen Lockerheit gewichen glaubte – und der nun doch auch den neuen Direktor infiziert hat?
Worum geht es? Soma ist ein mythischer Trank, der vor allem aus den Veden, jenen fünftausend Jahre alten hymnischen Urtexten des indogermanischen Kulturraumes bekannt ist. Er soll Gottesnähe und innere Helligkeit bewirken, eine Art schamanistischen Entrückungszustand. Nie wurde die Zusammensetzung des Gebräus je gefunden.
Soma ist das Atlantis der Drogengeschichte. Es gibt zahlreiche Hypothesen, aber keine Beweise. Carsten Höller, der gelernte Agrarwissenschaftler, hat sich in seinen künstlerischen Arbeiten immer wieder mit Phänomenen von Naturaneignung und Nahrungsketten befasst und sich dazu der Methoden gefakter Experimente bedient. In aller Regel atmeten seine Aktionen den heiteren Charme der Zersetzung: Sowohl die positivistischen Prinzipien der Wissenschaft als auch die Institution des Museums wurden ausgehebelt, weil man weder von Kunst noch von Wissenschaft reden konnte. Höller geht es um ein Drittes, etwas, das es im Begriffssystem der Kulturindustrie eigentlich nicht gibt, einen Bereich der real existierenden Nichtverwertbarkeit. Seine eigene Hypothese: Soma sei nichts anderes als das Urin von Rentieren, die sich von Fliegenpilzen ernährt hätten, ist wissenschaftlich in etwa so erhärtbar wie Kaffeesatzlesen. Ob der Rentier-Urin-Versuch irgendetwas bringt - niemand weiß es. Ist aber auch unwichtig.
"Also man kommt ja nicht an das Rentier-Urin ran in dem Sinne. Aber einem steht die ganze Ausstellung zur Verfügung. Das Rentier-Urin ist ja da. Also wir haben bis jetzt einen Liter Rentier-Urin gesammelt. Man muss den Rest in der Vorstellung zuende denken."
Doch der alte Geist des Hamburger Bahnhofs lässt sich nicht unterkriegen. Es ist Kunst, Kuuunst! beschwört Udo Kittelmann sein Publikum – als fürchte er, sein Museum, das gerne ein großes Museum wäre, könnte Schaden nehmen, wenn man auch nur einem Moment an der Einheit von Museum und Sinnstiftung zweifelte. Eine merkwürdige Atmosphäre macht sich breit im Hamburger Bahnhof. Es riecht nach Renaturierung.