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Reportage aus Diyarbakir
"Wenn du für eine gerechte Sache kämpfst, bist du der Stärkere"

Diyarbakir ist eine Stadt im kurdischen Gebiet im Südosten der Türkei und zählt über eine Million Einwohner. Dort haben monatelange Ausgangssperren und Kämpfe die historische Altstadt zerstört. Das Ausmaß der Schäden kommt erst langsam ans Tageslicht - und auch das Leid. Politisch steht man vor einer Sackgasse.

Von Martin Gerner | 06.06.2016
    Eine Frau und ein Kind schauen in der hnistorischen Altstadt von Diyarbakir auf eine Gruppe von Männern bei Aufräumarbeiten.
    Eine Frau und ein Kind schauen in der hnistorischen Altstadt von Diyarbakir auf eine Gruppe von Männern bei Aufräumarbeiten. (Afp / Ilyas Akengin)
    Nach Monaten können Anwohner erstmals in einen Teil der zerstörten Altstadt von Diyarbakir zurück. Viele finden ihr Haus zerstört, ihr Hab und Gut vollkommen verwüstet vor.
    Konservendosen auf dem Boden zerstreut. Kratergroße Löcher in den Wänden, als freie Schussbahn für Scharfschützen.
    "Militär und Polizei haben unsere Wohnung vier Monate während der Kämpfe besetzt", so dieser Mann. "Die Waschmaschine war ganz neu. Jetzt ist sie zerstört. Warum?"
    Ercan Ayboga gehört zur kurdischen Stadtverwaltung: " Der Staat hat Militär eingesetzt, Mörsergranaten und hat ganze Straßenzüge zerstört, Häuserreihen, um so voranzukommen. Man hat hier täglich Hunderte Schüsse gehört, große Detonationen. Ich lebe 700 Meter von der Stadtmauer entfernt. Ich habe fast alle größeren Explosionen gehört. Sie haben sich den Weg freigebombt."
    Der türkische Staat gegen bewaffnete kurdische Kämpfer, darunter viele Junge.

    "In den Gebieten der Ausgangssperren haben ja Menschen der Stadtteile Gräben ausgehoben, Barrikaden erstellt, und haben das auch mitWaffen verteidigt. Im Lauf der Zeit haben sie die zivilen Verteidigungseinheiten gegründet. Mit jeder Ausgangssperre wurde diese Auseinandersetzung intensiver. Und beide Seiten haben sich dann besser ausgerüstet. Wobei anzumerken ist, dass einige von ihnen auch in Syrien und Rojava gekämpft haben und diese Erfahrung des Stadtkampfes mitgebracht haben ."
    Kurdische Städte wollen volle Autonomie
    Die Menschen, die jetzt zurückkehren, fragen sich, ob sie hier wieder wohnen können:

    "Wir durften nur ein paar Kleider mitnehmen, als die Polizei kam. Es gab heftige Detonationen. Meine Mutter hat einen Herzinfarkt bekommen und ist daran gestorben. Jetzt hilft uns keiner in der Not."

    "In der Altstadt leben normalerweise 57.00 Menschen. Am Ende der Kämpfe, Mitte März, war es nur noch 100 bis 150 Zivilisten. Die sind dann alle allerdings verhaftet worden, als sie dann rauskamen. Weil der Staat ihnen unterstellt hat, dass sie angeblich Terroristen unterstützen. "
    Weinende Mütter recken ihre Hände in die Luft; seit Wochen fordern sie die Leichen ihrer Kinder zurück, die im Wirrwarr der Ausgangssperren ums Leben kamen.
    "Mein Kind, ist hier gestorben. Ich appelliere an Europa: Kommt her. Seht, was hier passiert! Aber Europa schweigt. Wenn das so weitergeht, kann Erodogan uns alle ungestraft töten, ohne dass die Welt Notiz nimmt."

    Volle Autonomie für kurdische Städte. Dafür griff die eine Seite zu den Waffen. Für Ankara unannehmbar.
    Keiner will die PKK offen kritisieren
    "Man hat ganz bewußt eine offene Konfrontation mit dem Staat gesucht und auch bekommen. Und sehr viele Menschen sind gestorben auf beiden Seiten. Die Fage ist natürlich, warum die PKK das gemacht hat, wenn sie genau wußte, dass viel Blut fließen würde."
    Wirkliche Ursachenforschung ist kaum möglich.
    "Es herrscht dort das Gesetz des Schweigens. Es ist schwierig dort Leute zu treffen, die die PKK offen kritiserien wollen. Weil sie wissen ganz genau, dass sie dafür einen Preis bezahlen können."
    Polizei patroulliert in der Altstadt. Vorerst scheint der Protest unterdrückt. Aber so dieser Mann: "Vom Militärischen her sind sie stärker als wir. Aber wenn du für eine gerechte Sache kämpfst, bist du der Stärkere. Wir wissen, das wir Recht haben. Und wir werden siegen am Ende."

    Feleknas Uca, Abgeordnete der pro-kurdischen HDP, rechnet mit Allem, auch einem massiven Exodus. "Wenn es weiterhin so geht, dass Huntertausende von Kurden sich selbst auf den Weg nach Europa machen werden. Sie haben alles verlroen."

    Auch sie hat Gewalt erfahren. "Sobald du aus der Wohnung zuhause weg bist, weisst du nicht mehr, ob du wieder nach Hause kommst. Ob du überhaupt zuhause nochmal ankommen wirst. Wir sind mit der Waffe bedroht worden. Wie oft sind wir mit Schlagstöcken geschlagen worden? Auch in Silvan zum Beispiel. Da habe ich immer noch meine Verletzung an der Nase ."

    Uca und ihr Partei drohem jetzt die Immunität zu verlieren, nachdem das türkische Parlement Präsident Erdogan gefolgt ist. Es drohen Strafgericht und Haft.
    "Wenn einige von uns festgenommen werden sollten, wird das die Türkei in ein Chaos führen, was eigentlich jetz schon im Chaos ist."
    Uca erinnert an den humanitären Gipfel in Istanbul, der erst wenige Tage alt ist:
    "Zum Beispiel war die Frau Merkel vor Ort. Sie hat mit Vertretern der Zivilgesellschaft gesprochen. Ich hätte mir aber auch vorgestellt, dass sie auch mit uns, mit der HDP spricht, wenn jetzt vom Großteil der 59 Abgeordneten die Immunität aufgehoben wird. Also ein Gespräch zu führen. Ich habe die doppelte Staatsbürgerschaft. Die hätten uns mal anfragen können für ein Gespräch. Das ist eine vergebene Chance."
    Die relative Ruhe in Diyarbakir scheint ohnehin trügerisch.
    Nach dem Kämpfen zwischen türkischen Soldaten und Kämpfern der kurdischen PKK. Eine Frau schaut aus einem zerstörten Fenster in der Stadt Diyarbakir 
    Eine Frau schaut aus einem zerstörten Fenster in der Stadt Diyarbakir (dpa / picture alliance / Str)
    "Du arbeitest jetzt schon länger hier. Wie fühlt sich das menschlich an?"
    "Die Abneigung gegen den Staat wächst immer mehr. Wenn ich hier Polizisten sehe, Soldaten oder Staatsvertreter, fühle ich nur Abneigung. Und so fühlt es sich bei den meisten Mitarbeitern in der Stadt auch an. Alle sind total unzufrieden. Das wächst was im Inneren heran. Da ist eine große Wut."