Die letzten Bomben fielen nach unseren Informationen noch nach 20.00 Uhr auf die ostslowenische Stadt.
Hunderttausende Muslime aus Kroatien, Bosnien und dem Kosovo wurden von orthodox-christlichen Serben vertrieben oder bestialisch umgebracht. "Ethnische Säuberung" nannte das zwischen 1991 und 1995 die Belgrader Regierung unter dem Diktator Milosevic.
Aber so drastisch nähern sich die Autoren Ihlau und Mayr ihrem Thema nicht. Ihr Einstieg ist wie in einem Schulbuch: Zunächst erklären sie, was geografisch und politisch unter dem Begriff "Balkan" zu verstehen ist, nämlich, dass zum Balkan nicht nur die sieben Staaten des einstigen Jugoslawien zählen, sondern auch Rumänien, Bulgarien und Griechenland. Daran schließt sich ein historischer Abriss an, der mit flapsigen Zitaten von Berühmtheiten angereichert ist. Der Leser erfährt, dass der Begründer des Kommunismus, Karl Marx, die Balkanvölker als "ethnischen Müll" bezeichnet haben soll. Und Reichskanzler Bismarck wird zugeschrieben, er habe keine Nationalstaaten "für Hammeldiebe" gewollt. Wer sich solcherart literarisch-leichtfüßig dem schlimmsten Völkermord der Neuzeit nähert, der noch dazu mitten im selbstherrlichen Gutmenschen-Europa stattfand, läuft Gefahr, die Millionen Opfer zu verhöhnen. Es sei vorweggesagt: neben anderen Schwächen des Buches ist das die Schlimmste: Beide Autoren relativieren – wahrscheinlich unbewusst – immer wieder die Gräueltaten und Verbrechen der serbischen Haupttäter, indem sie sie mit dem Nationalismus und der Kriegsführung der übrigen Balkanvölker auf eine Stufe stellen. Ein Beispiel:
Am Untergang Jugoslawiens mag der großserbische Größenwahn des Slobodan Milosevic ebenso schuldig gewesen sein wie der spalterische Egoismus Sloweniens und Kroatiens.
Die Autoren berichten über die Fehler Genschers und Kohls, die die Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens im Alleingang ohne Absprache in der EU durchgeboxt haben, und verweisen darauf, dass der deutsche Außenministermythos Genscher bis heute nicht wahrhaben will, dass er damit zum Kriegsgeschehen maßgeblich beigetragen hat. Aber dieses gerade für deutsche Leser so interessante Kapitel der Geschichte, das auch noch Genschers Nachfolger Kinkel belastete, wird lediglich auf zwei Seiten erwähnt, statt analysiert, garniert mit flotten, nicht belegten Zitaten wie diese:
Die Deutschen fühlten sich für diesen Konflikt ursächlich nicht verantwortlich. Von Zeit zu Zeit bedachte Kohl die Serben mit markigen Sprüchen – "Das Maß ist voll" -, (...) und grollte auch der Balkantourist Kinkel: "Da müssen wir draufhauen, die müssen wir in die Zwicke nehmen".
Keine Erwähnung findet die herausragende Rolle des deutschen Topdiplomaten Wolfgang Ischinger, der als Vertreter Bonns im Jahr 1995 beim Friedensabkommen für Bosnien-Herzegowina in Dayton maßgeblich beteiligt war. Dabei wäre es längst an der Zeit, die deutsche Rolle auf dem Balkan einmal haarklein aufzudröseln, ihre guten und schlechten Seiten öffentlich zu machen. Stattdessen haben beide Autoren für deutsche Akteure oft nur herablassende, hämische Anmerkungen parat:
Nach Mostar schickte die Europäische Union 1994 den vormaligen Bremer Bürgermeister Hans Koschnick, einen bisweilen etwas selbstgefälligen Administrator. (...) Schröder stellte mit seinem Kanzleramtsminister Bodo Hombach einen gewieften Strippenzieher ab. (...) Hombach versilberte in der Folge seine guten Kontakte zu den politischen Eliten Südosteuropas mit der neuen Rolle als Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, (...) die unter den vormals staatlichen Presseorganen des Balkans ein(kaufte).
Statt solch nutzlosen Tratsches würde eher interessieren, wie die Autoren an das vermeintliche Zitat von Milosevic kamen:
Der Bundesnachrichtendienst und Hombach haben mich erledigt.
Was genau das heißt? Darauf gibt das Buch keine Antwort. Auch nicht auf die Frage, wie lange eigentlich die Bundeswehr noch im Kosovo und anderen Balkanländern "Frieden sichern" soll. Während seit zehn Jahren in dem klitzekleinen Kosovo fast ebenso viele deutsche Soldaten stehen wie seit sieben Jahren im riesigen Afghanistan, gibt es um Afghanistan ständiges Gezeter und Mahnungen endlich eine Abzugsstrategie vorzulegen. Gerade Olaf Ihlau, der im Klappentext als Afghanistanexperte angepriesen wird, hätte zu dieser Diskrepanz Stellung nehmen können. Stattdessen halten sich beide Autoren zu diesem Thema allgemein-unverbindlich:
Das Kosovo und Bosnien-Herzegowina, bewacht von internationalen Militärkontingenten, darunter Einheiten der Bundeswehr, werden noch auf unabsehbare Zeit am Tropf der Weltgemeinschaft hängen. Sie sind unersättliche Protektorate.
Hier wünschte man sich eine Analyse, warum die Deutschen mit den Bosniern und Kosovaren größeren Langmut beweisen als mit den Afghanen. Doch die Autoren ziehen es vor, bei solch einer Frage auf einen Amerikaner zu verweisen, Robert Kaplan, der Anfang der 90er-Jahre über den Balkan geschrieben haben soll, dass diese Länder "eine Liebe fürs Obskure verlangen". Was soll das?
Apropos Amerikaner: Ohne ihr massives politisches und militärisches Eingreifen hätten es die Westeuropäer nicht gewagt, den mörderischen Raubzügen des Serben Milosevic Einhalt zu gebieten. Doch auch davon ist im Buch nur am Rande die Rede. Der damalige amerikanische Chefunterhändler Richard Holbrooke, der Mitte der 90er-Jahre erst einmal die feindseligen Eitelkeiten zwischen England und Frankreich klären musste, bevor er sich Milosevic zuwenden konnte, wird von Ihlau und Mayr schnoddrig als "Turbo-Diplomat" abgetan, anstatt zu erklären, warum die West-Europäer damals irrigerweise glaubten, sie könnten ihre erste große außenpolitische Herausforderung nach dem Kalten Krieg selbst meistern.
Dabei zeigte das Beispiel in Srebrenica, wo holländische UNO-Soldaten ein Massaker der Serben an 8000 Muslimen zuließen, wie feige das selbstgefällige Europa ohne die oft gescholtene US-Weltmacht ist. Dennoch gibt es zwei Stärken des Buches. Zum einen ist die detaillierte Zeittafel zur Region, die vom zweiten Jahrtausend vor Christus bis 2009 reicht, hervorzuheben. Die andere Stärke des Buches liegt darin, dass es insgesamt für unbedarfte Leser eingängig geschrieben ist. Wer sich nicht mit den Albträumen der Region und ihren "Killing Fields" genauer auseinandersetzen möchte, sondern einen leicht lesbaren Überblick über Geschichte, Geografie, Klatsch und Tratsch sowie letztem "Stand der Dinge" bevorzugt, hat hier das richtige Werk zur Hand. Doch eigentlich hätte man sich von zwei "Spiegel"-Journalisten ein Buch gewünscht, das ein Plädoyer ist gegen Neutralität, gegen Relativierung und Beschwichtigung, ein Buch, das glasklar die Schuldigen an diesem Verbrechen mitten in Europa herausarbeitet, benennt und eine Empfehlung gibt, wie sich Deutschland auf dem Balkan weiter verhalten sollte.
Herausgekommen ist stattdessen eine distanziert geschriebene Reportagesammlung mit flotten Sprüchen, knackigen aber stets unbelegten Zitaten und zahlreichen Anekdoten, die allesamt dem Unterhaltungswert dienen sollen. Das ist zu viel Boulevardniveau, um das Buch ernst zu nehmen.
Das Urteil von Tom Goeller über das Buch "Minenfeld Balkan – Der unruhige Hinterhof Europas" von Olaf Ihlau und Walter Mayr. Es ist im Siedler-Verlag erschienen, umfasst 304 Seiten, kostet Euro 22,95 und ist ab Donnerstag im Handel erhältlich, ISBN: 3886809161.
Hunderttausende Muslime aus Kroatien, Bosnien und dem Kosovo wurden von orthodox-christlichen Serben vertrieben oder bestialisch umgebracht. "Ethnische Säuberung" nannte das zwischen 1991 und 1995 die Belgrader Regierung unter dem Diktator Milosevic.
Aber so drastisch nähern sich die Autoren Ihlau und Mayr ihrem Thema nicht. Ihr Einstieg ist wie in einem Schulbuch: Zunächst erklären sie, was geografisch und politisch unter dem Begriff "Balkan" zu verstehen ist, nämlich, dass zum Balkan nicht nur die sieben Staaten des einstigen Jugoslawien zählen, sondern auch Rumänien, Bulgarien und Griechenland. Daran schließt sich ein historischer Abriss an, der mit flapsigen Zitaten von Berühmtheiten angereichert ist. Der Leser erfährt, dass der Begründer des Kommunismus, Karl Marx, die Balkanvölker als "ethnischen Müll" bezeichnet haben soll. Und Reichskanzler Bismarck wird zugeschrieben, er habe keine Nationalstaaten "für Hammeldiebe" gewollt. Wer sich solcherart literarisch-leichtfüßig dem schlimmsten Völkermord der Neuzeit nähert, der noch dazu mitten im selbstherrlichen Gutmenschen-Europa stattfand, läuft Gefahr, die Millionen Opfer zu verhöhnen. Es sei vorweggesagt: neben anderen Schwächen des Buches ist das die Schlimmste: Beide Autoren relativieren – wahrscheinlich unbewusst – immer wieder die Gräueltaten und Verbrechen der serbischen Haupttäter, indem sie sie mit dem Nationalismus und der Kriegsführung der übrigen Balkanvölker auf eine Stufe stellen. Ein Beispiel:
Am Untergang Jugoslawiens mag der großserbische Größenwahn des Slobodan Milosevic ebenso schuldig gewesen sein wie der spalterische Egoismus Sloweniens und Kroatiens.
Die Autoren berichten über die Fehler Genschers und Kohls, die die Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens im Alleingang ohne Absprache in der EU durchgeboxt haben, und verweisen darauf, dass der deutsche Außenministermythos Genscher bis heute nicht wahrhaben will, dass er damit zum Kriegsgeschehen maßgeblich beigetragen hat. Aber dieses gerade für deutsche Leser so interessante Kapitel der Geschichte, das auch noch Genschers Nachfolger Kinkel belastete, wird lediglich auf zwei Seiten erwähnt, statt analysiert, garniert mit flotten, nicht belegten Zitaten wie diese:
Die Deutschen fühlten sich für diesen Konflikt ursächlich nicht verantwortlich. Von Zeit zu Zeit bedachte Kohl die Serben mit markigen Sprüchen – "Das Maß ist voll" -, (...) und grollte auch der Balkantourist Kinkel: "Da müssen wir draufhauen, die müssen wir in die Zwicke nehmen".
Keine Erwähnung findet die herausragende Rolle des deutschen Topdiplomaten Wolfgang Ischinger, der als Vertreter Bonns im Jahr 1995 beim Friedensabkommen für Bosnien-Herzegowina in Dayton maßgeblich beteiligt war. Dabei wäre es längst an der Zeit, die deutsche Rolle auf dem Balkan einmal haarklein aufzudröseln, ihre guten und schlechten Seiten öffentlich zu machen. Stattdessen haben beide Autoren für deutsche Akteure oft nur herablassende, hämische Anmerkungen parat:
Nach Mostar schickte die Europäische Union 1994 den vormaligen Bremer Bürgermeister Hans Koschnick, einen bisweilen etwas selbstgefälligen Administrator. (...) Schröder stellte mit seinem Kanzleramtsminister Bodo Hombach einen gewieften Strippenzieher ab. (...) Hombach versilberte in der Folge seine guten Kontakte zu den politischen Eliten Südosteuropas mit der neuen Rolle als Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, (...) die unter den vormals staatlichen Presseorganen des Balkans ein(kaufte).
Statt solch nutzlosen Tratsches würde eher interessieren, wie die Autoren an das vermeintliche Zitat von Milosevic kamen:
Der Bundesnachrichtendienst und Hombach haben mich erledigt.
Was genau das heißt? Darauf gibt das Buch keine Antwort. Auch nicht auf die Frage, wie lange eigentlich die Bundeswehr noch im Kosovo und anderen Balkanländern "Frieden sichern" soll. Während seit zehn Jahren in dem klitzekleinen Kosovo fast ebenso viele deutsche Soldaten stehen wie seit sieben Jahren im riesigen Afghanistan, gibt es um Afghanistan ständiges Gezeter und Mahnungen endlich eine Abzugsstrategie vorzulegen. Gerade Olaf Ihlau, der im Klappentext als Afghanistanexperte angepriesen wird, hätte zu dieser Diskrepanz Stellung nehmen können. Stattdessen halten sich beide Autoren zu diesem Thema allgemein-unverbindlich:
Das Kosovo und Bosnien-Herzegowina, bewacht von internationalen Militärkontingenten, darunter Einheiten der Bundeswehr, werden noch auf unabsehbare Zeit am Tropf der Weltgemeinschaft hängen. Sie sind unersättliche Protektorate.
Hier wünschte man sich eine Analyse, warum die Deutschen mit den Bosniern und Kosovaren größeren Langmut beweisen als mit den Afghanen. Doch die Autoren ziehen es vor, bei solch einer Frage auf einen Amerikaner zu verweisen, Robert Kaplan, der Anfang der 90er-Jahre über den Balkan geschrieben haben soll, dass diese Länder "eine Liebe fürs Obskure verlangen". Was soll das?
Apropos Amerikaner: Ohne ihr massives politisches und militärisches Eingreifen hätten es die Westeuropäer nicht gewagt, den mörderischen Raubzügen des Serben Milosevic Einhalt zu gebieten. Doch auch davon ist im Buch nur am Rande die Rede. Der damalige amerikanische Chefunterhändler Richard Holbrooke, der Mitte der 90er-Jahre erst einmal die feindseligen Eitelkeiten zwischen England und Frankreich klären musste, bevor er sich Milosevic zuwenden konnte, wird von Ihlau und Mayr schnoddrig als "Turbo-Diplomat" abgetan, anstatt zu erklären, warum die West-Europäer damals irrigerweise glaubten, sie könnten ihre erste große außenpolitische Herausforderung nach dem Kalten Krieg selbst meistern.
Dabei zeigte das Beispiel in Srebrenica, wo holländische UNO-Soldaten ein Massaker der Serben an 8000 Muslimen zuließen, wie feige das selbstgefällige Europa ohne die oft gescholtene US-Weltmacht ist. Dennoch gibt es zwei Stärken des Buches. Zum einen ist die detaillierte Zeittafel zur Region, die vom zweiten Jahrtausend vor Christus bis 2009 reicht, hervorzuheben. Die andere Stärke des Buches liegt darin, dass es insgesamt für unbedarfte Leser eingängig geschrieben ist. Wer sich nicht mit den Albträumen der Region und ihren "Killing Fields" genauer auseinandersetzen möchte, sondern einen leicht lesbaren Überblick über Geschichte, Geografie, Klatsch und Tratsch sowie letztem "Stand der Dinge" bevorzugt, hat hier das richtige Werk zur Hand. Doch eigentlich hätte man sich von zwei "Spiegel"-Journalisten ein Buch gewünscht, das ein Plädoyer ist gegen Neutralität, gegen Relativierung und Beschwichtigung, ein Buch, das glasklar die Schuldigen an diesem Verbrechen mitten in Europa herausarbeitet, benennt und eine Empfehlung gibt, wie sich Deutschland auf dem Balkan weiter verhalten sollte.
Herausgekommen ist stattdessen eine distanziert geschriebene Reportagesammlung mit flotten Sprüchen, knackigen aber stets unbelegten Zitaten und zahlreichen Anekdoten, die allesamt dem Unterhaltungswert dienen sollen. Das ist zu viel Boulevardniveau, um das Buch ernst zu nehmen.
Das Urteil von Tom Goeller über das Buch "Minenfeld Balkan – Der unruhige Hinterhof Europas" von Olaf Ihlau und Walter Mayr. Es ist im Siedler-Verlag erschienen, umfasst 304 Seiten, kostet Euro 22,95 und ist ab Donnerstag im Handel erhältlich, ISBN: 3886809161.