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Reporter zum Rapport

Die Redakteure sind maximal 21 Jahre alt und eigentlich Soldaten. Allerdings sind sie verantwortlich für einen der meist gehörten Radiosender in Israel. Eine besondere Ehre für die jungen Journalisten, die nach getaner Arbeit auch noch Wache schieben müssen.

Von Sven Töniges | 03.08.2013
    12 Uhr mittags. Nebenan im Sendestudio von Radio Galgalatz hebt der Sprecher zu den Hauptnachrichten an. In der Senderegie von Israels beliebtestem Radiosender herrscht konzentrierte aber unaufgeregte Betriebsamkeit. Neben dem Mischpult steht Elli Hochenberg. Sie trägt dunkles Khaki, eine Uniform und hohe Kampfstiefel – wie fast alle hier. Die Hemdsärmel hochgekrempelt, die obersten zwei Knöpfe aufgeknöpft, die stattliche Sonnenbrille leger darunter eingehängt. Die 20-Jährige ist Soldatin der israelischen Armee, sie leistet ihre Wehrpflicht ab - und macht jeden Tag Radio für Millionen.

    "Ah, da wird gerade meine Kollegin zugeschaltet. Sie berichtet über Neues aus der Innenpolitik – und ganz Israel hört ihr zu, einem 19-jährigen Mädchen."

    So wie Ellie Hochenberg produzieren 90 weitere Wehrdienstleistende und hundert Zivilisten in einem schmucklosen Bunker in Jaffas Yehuda Haijamit-Straße die Popwelle Radio Galgalatz und das Nachrichtenprogramm Galei Tzahal, zu Deutsch "Die Welle der Armee". Beide Programme erreichen jeweils gut eine Million Hörer, das ergibt zusammen eine stattliche Einschaltquote von fast 50 Prozent.

    Eine Menge Verantwortung für Wehrpflichtige zwischen 18 und 21 Jahren. Nach dem Bootcamp, der militärischen Grundausbildung, und einem sechswöchigen Crashkurs in Radiojournalismus werden sie ins kalte Wasser geworfen und machen Programm. Wenn dann, wie kürzlich, mal wieder ganz Israel über den angemessenen Anteil regionaler und internationaler Musik auf Galgalatz streitet, steht auf einmal der Musikchef Amid mit seinen 21 Jahren im Kreuzfeuer nationaler Kritik, erzählt Elli Hochenberg.

    "Das ist eines der delikatesten – und interessantesten - Probleme von Galgalatz. Wir sind Soldaten, wir sind Babys, wir wissen nichts vom Radiomachen und machen Radio für die ganze Nation, als ein großer und bedeutender Sender."

    Galgaltz-Musikchef Amid pflichtet bei. Ein seltsamer, aber reizvoller Widerspruch sei das.

    "Einerseits machen wir hier, was alle anderen Wehrpflichtigen auch machen, und dann machen wir einen echten Job. Es ist eine komische Kombination zum einen aus der Armee, und dem, was man da eben so machen muss, also Wacheschieben mit deiner Waffe, putzen. Zum anderen interviewst du dann wieder den Premierminister."

    Dass jeder Wehrpflichtige in den besetzten Gebieten oder am Gazastreifen Ellie und Amid um ihren Dienst beim Radio beneidet, muss ihnen niemand sagen. 4000 Bewerber für die 30 bis 40 Plätze gab es im letzten Auswahlverfahren.

    Wer zu den Auserwählten gehört, muss sich um die Zeit nach dem Militär keine Gedanken mehr machen. Die beiden Armeesender gelten als Israels journalistische Kaderschmiede. Ob der Haaretz-Mitherausgeber Gideon Levy, der Showmaster Erez Tal oder die TV-Journalistin Ilana Dayan, nahezu alles mit Rang und Namen in Israels Medien hat die Karriere beim Armeeradio begonnen. Alle Türen stünden ihr offen, sagt Ellie Hochenberg denn auch unumwunden.

    "Wenn für andere Soldaten der einfachste Weg nach dem Militärdienst darin besteht, erst einmal zu kellnern, wäre für mich der einfachste Weg, Journalistin zu werden."

    Dass das Armeeradio als Journalistenschule der Nation gilt, liegt nicht zuletzt an seiner publizistischen Reputation. Denn als tumbes Sprachrohr der Armee versteht sich das Radio nicht. Wie alle Medien in Israel unterliegt der Sender der Militärzensur. Doch die schreitet nur ein, wenn sie die militärische Sicherheit gefährdet sieht. Gerade wegen der Nähe zur Armee sei man um größtmögliche Objektivität bemüht, versichern die Programmmacher. Das führt immer wieder zu Kontroversen. So wie 2011, als sich rechte Knessetabgeordnete darüber empörten, dass ausgerechnet der Armeesender Vertreter der Hamas interviewte.

    Vor allem aber zeigt sich an der Beliebtheit des Popradios Galgalatz, wie tief verwurzelt die Armee in Israel ist, dem Land mit der umfassendsten Wehrpflicht der Welt. Jeder junge Mann muss drei Jahre ran, Frauen dienen zwei Jahre. Und wohl in keinem anderen Land der Welt ist die Armee auch so etwas wie Teil der Popkultur. Der Wehrdienst, die Armee, das sei eben der Schmelztiegel, die DNA Israels, sagt auch Elli Hochenberg.

    Unterdessen eröffnen Justin Timberlake und Jay-Z die Nachmittagsschiene auf Radio Galgalatz. Einen Nachmittag, den Ellie Hochenberg nicht mehr im Sendestudio verbringen wird, sondern davor, beim Wacheschieben mit ihrem M-16-Sturmgewehr.