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Repression in Kuba

Vor rund zwei Jahren wurden in Kuba 130 politische Häftlinge entlassen. Doch diese scheinbare Toleranz ist längst wieder vorbei. Das Regime Castro duldet keinen politischen Widerspruch. Geändert haben sich nur die Formen der Repression: Statt langer Gefängnisstrafen gibt es nun mehr Präventivverhaftungen und willkürliche Hausarreste.

Von Peter B. Schumann | 22.09.2012
    Mitglieder der Patriotischen Union, der stärksten Menschenrechtsorganisation im Osten der Insel, ziehen durch Santiago de Cuba. Sie rufen "Es leben die Menschenrechte", "Es leben die politischen Häftlinge", "Nieder mit den Castros", "Nieder mit der Diktatur". Auf Schilder haben sie geschrieben: "Freiheit statt Hungerstreik".

    Doch die Demonstranten kommen nicht weit. Die sogenannte Revolutionspolizei greift schnell ein, entreißt ihnen die Schilder, prügelt auf sie ein und zerrt alle, die sie aufgreifen kann, in einen Gefangenentransporter. Einige können fliehen, darunter die Frau, die mit ihrem Handy die Szenen aufgenommen hat. Den Demonstranten war bewusst, dass sie gegen die Sicherheitskräfte keine Chance haben werden. Dennoch unternehmen Dissidenten immer häufiger solche spontane Aktionen des friedlichen Widerstands. Sie haben die Angst vor der Allmacht des Staatsapparats verloren und wollen andere Kubaner ermutigen, ebenfalls gegen die immer schlechter werdende Versorgungslage und die immer schärfer werdende Repression zu protestieren.

    Im August wurden 521 willkürliche Verhaftungen mit politischem Hintergrund vorgenommen. Das sind doppelt so viele wie im August des vorigen Jahres und dreimal mehr als im August 2010. Wir haben dabei festgestellt, dass die Angriffe auf Familienangehörige, selbst auf Kinder, zugenommen haben. Wir haben außerdem sechs ‚actos de repudio‘ vor Wohnungen von Dissidenten dokumentiert.

    Diese Zahlen hat die oppositionelle Kubanische Kommission für Menschenrechte und nationale Versöhnung vor wenigen Tagen mitgeteilt. Die sogenannte ‚actos de repudio‘ werden seit den großen Massenprotesten in den 1980er Jahren von Rollkommandos praktiziert, um Dissidenten zu diffamieren und einzuschüchtern.

    Die Staatssicherheit mobilisiert dazu den Mob, eine Meute von Kubanern, die vor die Wohnung der Betroffenen ziehen, stundenlang Radau machen, sie beleidigen, Parolen wie "Würmer" oder "Verräter" auf die Hauswände schmieren und oft auch mit Gewalt gegen die Bewohner vorgehen.
    Anfang des Monats haben sie die Behausung von Vivian Peña Hernández und ihres Mannes Misael Valdéz Díaz, einem Mitglied der Patriotischen Union Kubas, zerstört. Ein Sprecher der Organisation:

    "Kriminelle und Diebe hat die Revolutionspolizei herangeschleppt, um in einem Vandalenakt die paar Habseligkeiten von Vivian, einer einfachen Frau, und ihrem Mann zu rauben oder zu zerstören. Sie rafften das Bett und das Bettzeug an sich, zerschlugen die Teller, zertrümmerten den Fernseher und zerrissen sogar die Kleidung der dreijährigen Tochter. Am Schluss ging die Hütte in Flammen auf. Wie ist das möglich, wenn dies ein freies Kuba und eine gute Revolution sein soll?"

    Solche als ‚Volkszorn‘ deklarierten Anschläge von Rollkommandos gegen Menschen, die lediglich eine oppositionelle Position vertreten, fallen normalerweise in einem Rechtsstaat unter das Strafgesetz. Nicht so in Kuba. Der Historiker und Menschenrechtler Manuel Cuesta Murúa:

    "Diese sogenannten 'Kommandos der schnellen Antwort' besitzen nicht die geringste rechtliche Grundlage, denn das Machtmonopol hat der Staat. Ihre Existenz ist ein Zeichen für die Schwäche staatlicher Institutionen. Die Polizei selbst hält sich bis jetzt in solchen Fällen völlig zurück. Sie behauptet sogar, sie hätte damit nichts zu tun. Und auch die Armee hat nie gegen die Zivilgesellschaft operiert. Der Staat setzt völlig illegale Gruppen gegen die Opposition ein, die das Gesetz vergewaltigen und Personen verletzen. Früher bestanden sie aus Parteimitgliedern, heute sind es Kriminelle, die diese Form der Unterdrückung praktizieren."

    Die friedliche Opposition Kubas lebt in einem nahezu rechtlosen Land. Sogar politische Häftlinge bleiben nicht selten nach Verbüßung ihrer Strafe inhaftiert wie Jorge Vázquez Chaviano. Der Aktivist der Nationalen Front des bürgerlichen Widerstands war wegen einer "unerlaubten wirtschaftlichen Handlung" – so hieß die offizielle Begründung – zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Am Sonntag, dem 9. September, hatte er sie verbüßt. Er wurde aber dennoch nicht freigelassen. Daraufhin traten zunächst 19 Dissidenten in den Hungerstreik. Sie forderten jedoch nicht nur Freiheit für ihn, sondern auch Rechtssicherheit für die Opposition. Martha Beatriz Roque, eine der prominentesten Menschenrechtlerinnen und Organisatorin der Aktion:

    "Wir haben diesen Hungerstreik begonnen, um auch Legalität für uns zu verlangen. Das Recht, das die Regierung für sich in Anspruch nimmt, soll auch für uns gelten. Wir wenden uns an alle Welt: "Wacht endlich auf! Schaut darauf, was mit der Opposition in Kuba geschieht." Hier geht es nicht um alltägliche Vorfälle, sondern darum, dass die totalitäre Regierung mit der Opposition Schluss machen will. Dabei spricht doch nur eines gegen uns: wir denken anders als die Regierung."

    Hungerstreik ist das letzte Mittel der Dissidenten, um sich gegen das Regime zu wehren. Orlando Zapata Tamayo hat dabei im Februar 2010 sein Leben eingebüßt, Wilmar Villar im Januar dieses Jahres. Und auch die 67-jährige, schwer an Diabetes leidende Martha Beatriz Roque wollte bis zur äußersten Konsequenz gehen, wenn Jorge Vázquez Chaviano nicht freigelassen würde. Viele Menschenrechtsorganisationen in aller Welt haben sich mit ihnen solidarisiert.

    Die Situation wurde für die Regierung täglich schwieriger. Wenn sie nicht erneut einen internationalen Skandal riskieren wollte, wie nach den ersten beiden Todesopfern, musste sie nachgeben. Am Dienstag verkündete das Gericht die baldige Freilassung. Die inzwischen auf 30 Beteiligte angewachsene Gruppe brach nach acht Tagen den Hungerstreik ab: sie hatte das wichtigste Ziel erreicht. Im Haus von Martha Beatriz Roque feierten die Anwesenden diesen "Sieg über den Unrechtsstaat" – wie sie sagten – mit Kamillentee.

    Doch allen ist klar, dass sie mit weiteren Attacken rechnen müssen. Denn das Regime der Castro-Brüder will verhindern, dass ihr friedlicher Kampf anderen Kubanern als Vorbild dient und sich so die wachsende Unzufriedenheit mit dem g