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Requiem für einen Regisseur

Die Salzburger Festspiele würdigten den verstorbenen Theaterregisseur Jürgen Gosch: Ernst Stötzner, Corinna Harfouch, Corinna Kirchhof und Charlie Hübner lasen Goschs zeitgemäße Fassung des klassischen griechischen Dramas "Bakchen".

Von Karin Fischer | 31.07.2009
    Vier Schauspieler mit Lesepulten vor einer schwarzen Wand und ein schwerer Brocken: Die "Bakchen" des Euripides. Das letzte seiner Dramen, das erst nach seinem Tod im Jahr 406 vor Christus uraufgeführt wurde und als schwer deutbar gilt. Der Gott Dionysos will seinen Kult zurück nach Theben bringen, wo seine göttliche Herkunft einst verleugnet wurde. Deshalb hat er alle Frauen der Stadt ins Gebirge gehetzt, wo sie mit einer Schar Bacchantinnen "Gottesdienst" verrichten.

    Die Berichte von dort sind widersprüchlich: Wird Unzucht getrieben, wie Pentheus, der Herrscher Thebens, glaubt, oder feiert man nur die Versöhnung mit der Natur, wie ein Bote beobachtet haben will? Pentheus will "Law and Order" wieder herstellen und lässt Dionysos gefangen nehmen, der sich blutig rächt. Er lässt nicht nur den Palast durch ein Erdbeben vernichten, er lockt Pentheus auch ins Gebirge, wo dieser von seiner eigenen Mutter in Stücke gerissen wird. Dionysos, der bewiesen hat, dass er ein Gott ist, verdammt die Herrscherfamilie zur Flucht und kündigt weiteres Unheil für die Stadt Theben an.

    Was erfüllt einen Theatertext mit Sinn, wenn die Bilder auf der Bühne fehlen? Jürgen Gosch hat seine Schauspieler oft "nackt und bloß" gezeigt, in direktem, aber auch in ganz übertragenem Sinn. Den "Idomeneus", das Stück von Roland Schimmelpfennig, das die alte Geschichte erfrischend locker nimmt, ließ Gosch vor einer weißen Wand spielen. Und bescherte Klippen, Seestürme, rasende Männer und sanfte Zicklein einfach dadurch, dass seine Schauspieler von ihnen erzählt haben.

    Jetzt hat Schimmelpfennig die Neuübersetzung der "Bakchen" besorgt. Die ihm eigene Respektlosigkeit vor der stark rhythmisierten Prosa des Griechen führt zu großer Natürlichkeit in der Sprache. Ein Beispiel: Pentheus zürnt mit seinem Großvater Katmos, der sich dem Kult anschließen will und sagt in der auch gerade erst 20 Jahre alten Übersetzung von Kurt Steinmann: "Angewidert, Vater, sehe ich, wie ihr in eurem Alter so närrisch seid. Schüttle den Efeukranz von dir!" Bei Schimmelpfennig heißt es: "Habt ihr, trotz eures Alters, nicht einen Rest an Verstand? Willst du hier mit dem Efeukranz herumwedeln?" Und aus dem komplizierten: "Sag mir, erkläre mir, durch welches Verhängnis der schuldige Mann, der Schuldhaftes tat, sein Leben verlor!", wird einfach: "Sag, was passiert ist - wie starb er?"

    Das Schöne ist, dass der Text dadurch nicht profaniert wird. Sein Geheimnis - warum müssen Götter so hart strafen - bleibt bestehen, und es wird auch keiner Interpretation des Dramas vorgegriffen. Man kann aus den Bakchen ja einiges machen: von der Warnung vor irrationalen Massenbewegungen bis hin zu "Zurück zur Natur"-Appellen. Auch die Lesenden, Ernst Stötzner, Corinna Harfouch, Corinna Kirchhof und Charlie Hübner blieben lange zurückhaltend, bevor es, ab Akt drei, stimmlich ein bisschen dramatisch wurde.

    Dabei schlug gerade die Statuarik dieser Lesung den Bogen zum Film, der in Salzburg neben der hier gezeigten Berliner "Möwe" das Gosch-Gedenken vervollständigte. Die Aufzeichnung der legendären Kölner Inszenierung des "König Ödipus" von 1984 hat der Regisseur noch kurz vor seinem Tod selbst geschnitten. Ulrich Wildgruber und Elisabeth Schwarz tragen riesige weiße Masken mit schwarz umränderten Augen. Wie diese Masken zu leben beginnen - durch Hölderlins Verse und durch die reine Konzentration auf den Text, erinnerte noch einmal daran, was mit Jürgen Gosch fehlt.