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Rettet die Laicité!

Französische Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen, Intellektuelle und Philosophen veröffentlichen Manifeste und sammeln Unterschriften für die "Rettung der laicité", des Laizismus. Sie sehen die Trennung von Kirche und Staat gefährdet.

Von Kathrin Hondl |
    "Um Gottes Willen - und was ist mit dem Laizismus?" Die Titelschlagzeile der linksliberalen Tageszeitung Libération gestern war nur ein kleines bisschen ironisch gemeint. Denn die Lage ist ernst, meinen die mittlerweile mehr als 100.000 Menschen, die in Frankreich ein Manifest unterschrieben haben mit dem feierlichen Titel: "Sauvegardons la laicité de la République" - wörtlich übersetzt: "Lasst uns den Laizismus der Republik schützen!" Ein Appell von Gewerkschaften, Lehrerverbänden und Menschenrechtsorganisationen, über den "Libération" jetzt nicht nur berichtet, sondern dem sich die Zeitung auch anschließt. Denn, so der Chefredakteur im Leitartikel, "Gott brauche keinen Trikolore-Propheten". Und: Der Präsident müsse sich daran erinnern, dass er die ganze Republik regiert und nicht diese oder jene Gruppierung. Sarkozys öffentliche Glaubensbekenntnisse seien eine "brutale Offensive", die "laicité", der Laizismus, werde infrage gestellt, meint auch der Philosoph Henri Pena-Ruiz, der gestern zusammen mit anderen Intellektuellen, ebenfalls einen Aufruf zu Rettung des Laizismus veröffentlicht hat:

    "Sarkozy sagt, die Republik bräuchte Leute, die hoffen, also Gläubige. Das darf man nicht zulassen! 43 Prozent der Franzosen sind nicht gläubig - und wenn der Präsident sagt, Gläubige würden gebraucht, dann werden die anderen 43 Prozent zu Bürgern zweiter Klasse, weil sie nicht die richtige Spiritualität haben. Dieser Präsident verletzt das Gleichheitsprinzip aller Bürger der Republik - aller Gläubigen, Atheisten und Agnostiker. Ein Staatspräsident hat nicht zu sagen, dass glauben gut ist, nicht glauben aber nicht."

    Zurückhaltung in Religionsfragen ist ein Gebot der Republik, das für den Staatspräsidenten in besonderem Maße gilt. Denn die lange umkämpfte strikte Trennung von Kirche und Staat - festgeschrieben in einem Gesetz aus dem Jahr 1905 - ist so etwas wie die "Heilige Kuh" der französischen Republik. Der Soziologe Jean-Paul Willaime - Leiter des Europäischen Instituts für Religionswisenschaften in Paris:

    "Diese französische Leidenschaft hat damit zu tun, dass in Frankreich das Verhältnis des Staates zur dominierenden Religion, dem Katholizisismus viel stärker als in anderen Ländern von heftigen Konflikten geprägt war. Seit der Französischen Revolution, und während des ganzen 19. und 20. Jahrhunderts gab es Territorialkriege zwischen staatlicher und religiöser Macht."

    Besonders um die Rolle der Religion an französischen Schulen und besonders die Frage staatlicher Subventionen für konfessionelle Schulen wurde erbittert gerungen. Sarkozy hat diese alten Territorialkriege jetzt wieder in Erinnerung gerufen, als er erklärte, ein Lehrer könne niemals den Pfarrer oder Pastor ersetzen.

    Dass ausgerechnet der große liberale Reformer Frankreichs, dass ausgerechnet Sarkozy, dessen persönlicher Lebenswandel ja bekanntlich nicht ganz der kirchlichen Lehre entspricht, die alten französischen Kulturkämpfe wieder aufleben lässt - das, so der Philosoph Henri Pena-Ruiz, erscheine nur auf den ersten Blick paradox. Denn die politische Absicht sei klar:

    "Da wird ein Religionsbegriff aus dem 19.Jahrhundert wieder eingeführt - Religion als, wie Marx sagte, 'Krankenhaus der Seele, welche die Welt verwundet hat'. Bei Sarkozy heißt das: wirtschaftlicher Ultraliberalismus verbunden mit der Anregung, in der Religion Hoffnung zu suchen für all das, was im Hier und Jetzt nicht zufriedenstellend läuft."

    Also Religion als Opium fürs französische Volk, das sich auf einschneidende Reformen und Einsparungen im Sozialbereich einstellen muss? In Kreisen der katholischen Kirche hält man sich übrigens mit Kommentaren zu den Glaubensbekentnissen des Präsidenten auffallend zurück - dort fürchtet man nichts mehr als ein Wiederaufleben des Anti-Klerikalismus in Frankreich - das laizistische Lager macht unterdessen mobil: Gegen, so schreibt Henri Pena-Ruiz in Liberation, die "Regression der Republik".