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Rettungsanker für die Smartcard

Wie teuer die künftigen elektronischen Reisepässe werden sollen, war auch nach dem Dementi der Bundesregierung nicht zu erfahren. Zeitgleich zur Diskussion im Deutschen Bundestag begann der dreitägige "Omnicard"– Kongress in Berlin. Der Markt um die Chipkarten scheint in Bewegung geraten zu sein. Der Kongress, der sich hauptsächlich an Entwickler richtet, war in diesem Jahr mit knapp 450 internationalen Teilnehmern außerordentlich gut besucht.

Von Wolfgang Noelke |
    Es sind die verschärften internationalen Sicherheitsbestrebungen, die der Chipkartenindustrie neues Leben einhauchen. Nach dem Geldkarten- Flop und dem in Europa langsam gesättigten Handy-Boom ist die Industrie bemüht, sich auf neue Kartenfunktionen zu konzentrieren. Die neuen Bereiche heißen Sicherheit, Zugangskontrolle, Identifikation. Ob diese Anwendungen - so Omnicard-Mitveranstalter Dr. Lutz Martiny wörtlich: "genau so hoch fliegen" wie die SIM-Karten für Handys, hinge in erster Linie von internationalen Standards ab:

    Dort wo Standards existieren, fliegt die Anwendung. Das beste Beispiel: GSM Mobilfunk. Die Anwendung fliegt. Und Wireless-LAN: gucken Sie sich die Standards an. Wenn sie hinschauen, dass wir unterschiedliche Konzepte in der Welt haben bezüglich des elektronischen Bezahlens mit Chipkarte. Wir haben in Europa rund 20 verschiedene elektronischen Geldbörsen, die nicht miteinander kompatibel sind. Wundert es Sie, dass sich die Geldbörse nicht durchsetzt?! Wo keine Standards, da kein Durchbruch der Technologie, das ist die einfache Formel! Warum die Industrie dieses nicht begreift, ist mir persönlich völlig schleierhaft.

    Neben dem Kampf um die Marktführerschaft der Betriebssysteme sind es aber auch immer wieder neue Forderungen aus der Politik, die zunächst die Softwareentwickler zu Änderungen zwingen. Hardware-Hersteller sind sich jedenfalls einig, Technik zur Verfügung zu stellen, die kompatibel ist mit Java und dem von der Kreditwirtschaft bevorzugten SECCOS. Java hätte – obwohl es in Echtzeitanwendungen etwas schwerfälliger sei, jedoch bessere Möglichkeiten Applikationen zu laden, sagt Michael Hegenbarth, Leiter der Standardisierungsabteilung für kontaktlose Chipkarten bei Infineon. Künftige elektronische Reisepässe benötigten dafür aber keineswegs einen Chip, der 130 Euro teuer sei:

    Wenn Sie heute sich einen Personalausweis anschauen, dann ist der schon ein besonderes Werk, weil Sie sehr viele Sicherheitsfeatures darin haben müssen, damit die Fälschungssicherheit und Duplikationsverhinderung gewährleistet ist. Und wenn Sie sich vorstellen, Sie bauen einen hochkomplexen Chip dort hinein, der eine Antenne hat – das ist notwendig für die Kontaktlos-Übertragung - und zudem muss es noch so implantiert sein, dass wenn Sie es in der Tasche tragen, wo sich das ein wenig verbiegt, dass da kein Bruch entsteht in den Leitungen – dann können Sie sich überlegen, dass die Herstellung schon recht aufwendig ist. Dazu kommt, dass die Verwaltung ganz andere Erfordernisse hat: Wenn Sie demnächst in ein Einwohnermeldeamt gehen und einen Pass beantragen, dann müssen Sie auch fotografiert werden, damit dieses Bild digitalisiert werden kann und dann weitergegeben werden kann an die Passausgabestelle. Und alle diese zusätzlichen Aktionen, die notwendig sind, um die Identifikation des Bürgers sicherer zu machen, die kostet halt auch Geld, aber bitte vergessen Sie den Wert 130 Euro, das kann ich mir einfach nicht vorstellen.

    Dass in die künftige digitale Welt eigentlich überflüssige alte, analoge Strukturen hinübergerettet werden sollen wird besonders daran deutlich, dass neben dem Reisepass uns auch der alte Personalausweis erhalten bleiben soll. Man ist sich aber einig, ihn mit zusätzlichen Funktionen auszustatten – aber man weiß noch nicht, mit welchen. Die Gesundheitskarte erfordert einen ähnlich komplexen Chip, kleiner sind die Chips auf Einzelfahrscheinen des öffentlichen Nahverkehrs, deren anonymes Bewegungsprofil die Verkehrsunternehmen bewusst verfolgen wollen, um Schwachstellen in den Verbindungen aufzuspüren. Entwickler und Hersteller – so Michael Hegenbart sind auf alles vorbereitet:

    Für die Pässe etwa braucht man minimal zum 30 Kilobyte auf dem Kontaktlos-Chip. Diese Menge ist damit begründet, dass Sie die Gesichtsdaten, also wie ihr Gesicht aussieht, wie ihre Fingerprints aussehen, dass das als Bild im Schnitt gespeichert werden muss, damit man das an einer beliebigen Kontrollstelle international überprüfen kann. Das sind halt so die Größen des Chips. Das muss Prozessor tauglich sein, muss schnell sein, die Übertragung muss schnell sein, damit man das Bild auch schnell davon runterladen kann. Aber das sind schon Größenordnungen, in die nicht in jeder Anwendung notwendig sind. Für Tickets braucht man die Speichergrößen nicht. Da reichen schon die Chips aus, die man auch schon für Kontakt-Chipkarten verwendet, also ungefähr acht Kilobyte oder 16 Kilobyte höchstens.