Wagener: Sind das naive Wünsche, die ich gerade formuliert habe, an die Wirtschaftseliten?
Reuter: Naive Wünsche und Erwartungen sind das sicher nicht, aber sie gehen vielleicht ein bisschen zu weit und sind auch zu pauschal. Ich denke nicht, dass man eine Gruppe, die Sie als Wirtschaftsmanager bezeichnen, so ganz pauschal einfach in die Pflicht nehmen kann, Deutschland zu sanieren in dem Sinne, dass sie dafür sorgen, dass dieses schreckliche Thema der Arbeitslosigkeit sich abschwächt. Natürlich haben Unternehmer Verantwortung und ich denke, es gibt genügend Unternehmer, die diese Verantwortung auch kennen, wissen und wahrnehmen, aber das kann man wirklich nicht pauschal beurteilen.
Wagener: Wenn Opel oder Karstadt jetzt enger schnallen müssen, lässt sich das von außen betrachtet ja noch nachvollziehen: die Produkte laufen nicht sehr gut, sie schreiben beide rote Zahlen. Aber die Deutsche Bank - haben Sie das verstanden?
Reuter: Ich mache mir meine eigenen Gedanken darüber, ob das besonders geschickt war, diese beiden Dinge in einer Pressekonferenz aneinanderzukoppeln und einerseits zu verkünden, wie fabelhaft sich die Ertragslage der Deutschen Bank verbessert hat in Richtung auf die angeblich angestrebte Rendite von 25 Prozent und dazu gleich im selben Atemzug zu sagen, wir bauen jetzt weitere 6000 Mitarbeiter ab. Natürlich muss auch die Deutsche Bank wie jedes andere Unternehmen sich auf ihrem Gebiet, in dem sie tätig ist, im internationalen Wettbewerb bewähren und dazu gibt es einen Maßstab und dieser ist international eine gute, hohe Rendite. Wenn man die nicht hat, läuft man Gefahr, von irgendjemandem anders geschluckt zu werden. Ob das allerdings besonders klug ist auch auf dem Hintergrund der Unternehmensgeschichte der Deutschen Bank, die wir alle in den letzten Jahren erlebt haben, die Entdeckung, dass wir erst auf das breite Publikum zugehen müssen, Deutsche Bank 24 und einige Zeit später das neue Ziel, das Geschäft mit den kleinen Privatkunden zu vernachlässigen, mehr oder weniger einzustellen und ins internationale Investmentbankinggeschäft zu gehen und jetzt wieder anders zurück, ob dieses alles wirklich ein Zeichen für eine konsistente Unternehmenspolitik ist, kann ich als Nichtinterner natürlich nicht im einzelnen beurteilen, ich erinnere mich nur daran, wenn ich das jetzt miterlebe und höre, dass ich früher einmal einen großen Respekt vor zwei ganz bedeutenden Bankiers gehabt habe, die die Deutsche Bank geführt hat, das waren Hermann Josef Abs und Alfred Herrhausen, dass die sich vermutlich nicht in eine solche Situation reinbegeben hätten, diese beiden Dinge miteinander zu vermengen, die nichts miteinander zu tun haben.
Wagener: Es gibt eine ganz andere Stimme unter deutschen Unternehmern, ich nehme als Beispiel Porsche-Chef Wendlin Wiedeking, der ja seit langem sich positiv hervorhebt aus dem Chor der jammernden deutschen Wirtschaftskapitäne, er hält den deutschen Wirtschaftsstandort nicht für so schlecht, wie er geredet wird. Wer hat denn nun recht, die Schwarzseher oder er?
Reuter: Ich denke schon, man kann Wiedeking nur Beifall klatschen, dass er endlich mal gesagt hat: Leute, lasst die Kirche im Dorf, wir sind in Deutschland nicht am Abgrund, wie es so leicht heißt, Deutschland ist auch nicht der letzte Wagen am Waggon, an dem die rote Lampe hinten dran hängt. Deutschland hat nach wie vor ungeheure Stärken, dazu gehört nicht zuletzt sein hervorragend ausgebildetes Arbeitspotential, die Menschen, die in den Unternehmen arbeiten, die kreativ sind, die auch arbeitswillig sind, das muss man auch mal sagen. Man erreicht nichts, wenn man in dieser Welt immer nur sagt, wir sind die allerletzten und die einzige Möglichkeit, wie wir uns behaupten können ist Arbeitsplätze abzubauen. Das ist das Fatale, das natürlich auch dazu führt, dass der Markt, den wir in Deutschland brauchen, die Nachfrage am Binnenmarkt, dadurch natürlich stark gedämpft ist, dass wir selber ununterbrochen erzählen, dass wir morgen bankrott sind.
Wagener: Deutschland ist ja als Wirtschaftsstandort den Gesetzen des globalisierten Marktes ausgesetzt wie jeder andere Staat auch, aber heißt das denn für uns, dass das Geld und die Unternehmen mit ihren Investitionen immer dahin gehen, wo der Lohn am billigsten ist? Das ist ja eines unserer Probleme.
Reuter: Ich denke, das kann man so überhaupt nicht sagen. Geld geht dahin, wo man meint, dass man produzieren kann, anfassbare Güter oder Dienstleistungen, so dass sie für eine Nachfrage, einen Markt, gut geeignet sind und da gibt es in Deutschland selbstverständlich Produkte, die ihren Markt haben, der Markt von Herr Wiedeking ist nun mal Porsche oder Automobilmarken wie Mercedes oder BMW, natürlich gibt es den und selbstverständlich lohnt es sich, diese Produkte auch in Deutschland herzustellen, allerdings immer mit dem Anspruch: wir müssen für den hohen Preis, den wir erzielen müssen wegen unserer Lohnkosten, auch höchste Qualität und höchsten Anspruch erzeugen. Das ist aber die Aufgabe von Unternehmern immer schon gewesen, dafür zu sorgen.
Wagener: Stichwort Qualität. Ein Markenzeichen der deutschen Industrie war das jahrzehntelang und jetzt bekommen wir teilweise folgende Beispiele mit: In Südafrika drohen deutsche Autoproduzenten immer mal wieder mit der Produktionsverlagerung nach Deutschland mit dem Argument, ihr müsst in der Qualität besser werden, sonst ziehen wir ab. Umgekehrt heißt es hier dann, wenn ihr nicht billiger werdet, gehen wir nach Südafrika. Leidtragende sind immer die Arbeitnehmer vor Ort.
Reuter: Ich glaube, dass es in der Tat ein großer Fehler ist, wenn man das immer in der Öffentlichkeit darstellt; wenn ich 'man' sage, meine ich jetzt Spitzenmanager, die dazu neigen, das zu tun. In der Realität der Unternehmen ist das ja gar nicht der Fall, denn die wirklich qualifizierten Unternehmensleitungen sprechen natürlich im Kern mit ihren Betriebsräten, mit den Vertretern der Belegschaften genau über diese Probleme sehr seriös und haben es bisher auch immer wieder geschafft in Übereinstimmung mit den Belegschaften mit diesen Problemen fertigzuwerden oder dafür Lösungen zu finden. Es ist nicht schwarz oder weiß, wir haben uns das in Deutschlands vielleicht bei Aschermittwochsreden so angehört, dass wir immer meinen, es ist entweder ganz schlecht oder ganz gut. Die Wahrheit liegt in der Mitte und das Leben ist hart. In der Globalisierung ist es nicht härter, da muss jeden Tag neu darum gestritten werden.
Wagener: Gustav Adolf Horn von der Hans Böckler Stiftung in Düsseldorf hat dieser Tage gesagt, er wirft Teilen der deutschen Wirtschaft vor, durch ständige Rufe nach immer neuen Sozialreformen rechtsradikalen Parteien wie der NPD Auftrieb zu verschaffen. Würden Sie so weit gehen?
Reuter: Nein, mit Sicherheit nicht, aber ich denke, eine solche Warnung ist insofern angebracht, als wir uns alle zusammen auf allen Gebieten angewöhnen müssten, ein bisschen nachdenklicher in unseren Äußerungen zu sein und etwas differenzierter. Wir machen alle den Fehler jeden Tag neu, dass wir dazu beitragen, dass irgendwo in der breiten Bevölkerung den Wählern das Gefühl entsteht, die quatschen alle, die einen hü, die anderen hott und immer nur für ihre eigenen Interessen und ihre eigenen Taschen. Ein bisschen mehr Verantwortungsbewusstsein wäre für Unternehmer gut, für Gewerkschaftsführer, aber auch für Politiker.
