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"Revisited"

Eine der Stärken der documenta 12 liegt in ihrem nachdrücklichen Hinweis auf die ziemlich grotesken Verdrängungsmechanismen, die dem zeitgenössischen Kunstbetrieb innewohnen. Roger M. Buergel und Ruth Noack haben als Antwort darauf eine wahre Phalanx zu Unrecht vergessener Künstlerinnen und Künstler wieder an die Öffentlichkeit gebracht, die seit Jahren sang- und klanglos durch das Raster der Kunstkommerzialisierung gefallen sind.

Von Carsten Probst |
    Zu ihnen zählt Charlotte Posenenske. 1930 in Wiesbaden geboren, trat sie vor allem durch minimalistische, politisch motivierte Skulpturen und Objekte hervor. Auf der documenta sind einige Streifenbilder sowie röhrenartige Objekte von ihr zu sehen, die an Lüftungsschächte erinnern. In den siebziger Jahren hatte Posenenskes Werk großen Einfluss auf die Kunstszene. Allerdings, und das scheint ihr der Kunstbetrieb lange übel genommen zu haben, zog sie sich 1968 aus, wie sie sagte, politischen Gründen von der Kunst zurück. Der Markt war ihr zu kommerziell geworden, Kunst zum reinen Accessoire degradiert. Später wurde sie als politische Träumerin gemeinsam mit der mittlerweile ohnehin nur noch belächelten 68er-Bewegung entsorgt, der sie freilich nie angehörte. Nach ihrem Tod 1985 geriet sie dann zeitweilig völlig in Vergessenheit. Eine erste Wiederentdeckung im Museum für Gegenwartskunst in Siegen vor zwei Jahren wurde noch eher von Experten rezipiert. Ihre documenta-Beteiligung hat sie nun wieder als eine der wichtigsten deutschen Künstlerinnen der sechziger Jahre ins Gespräch zurückgebracht.

    Fast schon spektakulär ist der Fall von Lotty Rosenfeld. Die deutschstämmige, 1943 in Chile geborene und lebende Künstlerin wurde 1979 durch eine illegale Aktion bekannt, als sie mit weißem Klebeband in Santiago de Chile Hunderte von Fahrbahnmarkierungen zu Kreuzen machte, um auf die Opfer er Pinochet-Diktatur hinzuweisen. Solche Aktionen wiederholte sie später auch in zahlreichen anderen Städten. Auf diese Weise ist ihr Werk immer wieder vom Verschwinden bedroht, was Rosenfeld dann ausgerechnet auch in Kassel erfahren musste. Sie hatte zur documenta-Eröffnung an einer Straße beim Fridericianum wiederum Straßenstreifen zu Kreuzen umfunktioniert, die daraufhin kurzerhand von der Straßenreinigung wieder entfernt wurden. Weil die documenta-Leitung zu diesem Fall schwieg, blieb die Aktion den meisten Besuchern völlig unbekannt. Die Künstlerin äußerte sich darüber verletzt und verstört, wie sie sagte. Antwort der Pressestelle: Die Straßenverkehrsordnung gilt auch in der documenta-Stadt Kassel.

    Die aus Pakistan stammende Nasreen Mohamedi wird dagegen mit einem eigenen Saal in der Neuen Galerie gewürdigt. Eine großartige Reminiszenz der 1990 in Indien gestorbenen Künstlerin, die zu den großen Ausnahmeerscheinungen im eher traditionalistischen Kunstumfeld des Subkontinents zählte und zählt. Mohamedi führte eine Art graphisches Tagebuch ihrer täglichen psychischen Zustände und verschmolz in ihren abstrakt gezeichneten Linienfeldern regionale Tradition mit der minimalistischen Malerei des Westens. Auf der documenta wird sie überaus sinnfällig dem Werk der großen Minimalistin Agnes Martin gegenübergestellt, die weiße Leinwände mit feinsten parallelen Strichen überzog.

    Der 1953 geborene Tscheche Jirí Kovanda hingegen ist zwar kein ganz Unbekannter mehr, aber ähnlich wie bei den Aktionen von Lotty Rosenfeld ist sein Werk durch seine fast unsichtbare Natur dazu verdammt, im spektakelgesättigten Kunstbetrieb schnell übersehen zu werden. Wie Rosenfeld startete Kovanda mit politischen Aktionen im Alltag einer Diktatur. Rund dreißig öffentliche Aktionen startete er im Prag der siebziger Jahre, jener bleiernen Zeit nach der Niederschlagung des Prager Frühlings: Minimale theatralische Interventionen wie das Fixieren des Blickes auf Rolltreppen, das flüchtige Berühren von Passanten im Vorübergehen oder ein kurzes Haltmachen auf dem Wenzelsplatz mit ausgebreiteten Armen - stille Anklagen der Kommunikationsverbote jener Jahre, die Kovanda auf Film und Fotographien dokumentieren ließ. Ende der siebziger Jahre gab er diese Praxis auf und widmete sich fast unsichtbaren Alltagsobjekten im öffentlichen Raum. Ein Häufchen Salz zum Beispiel, nach genauem skulpturalem Plan ausgestreut auf der Brüstung der Karlsbrücke, die täglich von Touristenscharen überlaufen wird. Und Kovandas stille und zarte Kunstintervention dabei sicher übersehen hat.