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Revolution auf der Bank

Borussia Dortmunds Meistertrainer Jürgen Klopp ist der Prototyp einer neuen Fußball-Lehrer-Generation. Doch in seinem Windschatten hat sich eine ganze Gruppe ähnlich arbeitender Trainer in der oberen Hälfte der Liga etabliert, wie Thomas Tuchel, Robin Dutt oder Mirko Slomka. Bezeichnet werden diese Leute als Konzepttrainer. Mit ihren Methoden haben sie den Geld-Schießt-Tore-Mythos zumindest für einen Moment außer Kraft gesetzt.

Von Daniel Theweleit |
    Eigentlich sind die Zutaten, mit denen Borussia Dortmund die deutsche Meisterschaft gewann, an jeder Ecke zu bekommen. Weil das Geld knapp war, setzte der Klub verstärkt auf junge Spieler aus dem eigenen Jugendinternat. Unterstützt wurden die Talente durch zwei, drei Spieler, die mittlere einstellige Millionenbeträge kosteten, und mit Jürgen Klopp wurde ein Trainer aus der zweiten Liga geholt. Genau dasselbe hätten auch der Hamburger SV, der VfB Stuttgart, ja sogar der 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach hinbekommen können. Zumindest finanziell. Das Dortmunder Geheimnis jedoch ist Klopp. Der Prototyp des Fußballtrainers im neuen Jahrtausend. Der alte Mechanismus, verdiente Spieler mit ihren wertvollen Erfahrungen, auf den Trainerposten zu befördern, hat spätestens seit dieser Saison ausgedient. Frank Wormuth, der Chef der Hennes-Weisweiler-Akademie, auf der alle Profitrainer ihre Lizenz erwerben müssen, ist begeistert von dieser Entwicklung.

    "Die sind einfach gut. Die haben sich damit beschäftigt. Die leben sich nicht aufgrund ihres Namens in einer Position, sondern aufgrund ihres Könnens. Die probieren aus, die sind innovativ, die testen, weil es ihre einzige Chance ist nach oben zu kommen. Die haben den Namen nicht, die Tür öffnet sich dadurch nicht. Und jetzt hat sich das ergeben, dass gewisse Erfolge entstanden sind und nun greift die Reaktion der Verantwortungsträger darauf zurück: Mensch da hat es geklappt, da hat es geklappt, da hat es geklappt, da hat es geklappt."

    Klopp, Thomas Tuchel bei Mainz 05, Dieter Hecking beim 1. FC Nürnberg, Robin Dutt, der vom SC Freiburg zu Bayer Leverkusen wechselt, aber auch Schalkes Ralf Rangnick oder Mirko Slomka von Hannover 96 haben viele Gemeinsamkeiten. Keiner der so genannten Konzepttrainer war Nationalspieler, sie sind glänzende Rhetoriker, erheben keinen Anspruch auf Herrschaftspositionen, und sie denken in großen Zeiträumen. Barrieren zu anderen Sportarten und der Wissenschaft sind endgültig verschwunden. Psychologie, Hirnforschung, Wahrscheinlichkeitsberechnungen, digitale Analyseverfahren, alles, was helfen könnte, ist willkommen. Außerdem lassen Konzepttrainer sich nicht von der Macht der Boulevardpresse vereinnahmen, vor allem aber verfügen sie über eine ausgeprägte Sozialkompetenz.

    "Dieses Wort Konzepttrainer ist ein Synonym für mehr auf die Leute eingehen, mehr schauen, dass man die Spieler mit integriert in Entscheidungsfindungen, natürlich in einem gewissen Maße. Weil die Generation hat sich auch verändert, sie sind freiheitlicher erzogen worden."

    Und wollen sich nicht mehr von einem autoritären Trainer stumpf herumkommandieren lassen. Vor allem in Westeuropa sozialisierte Spieler erwarten, ihre Ideen einbringen zu können, Verantwortung zu übernehmen. Der alte Leitwolf, der eine Gruppe folgsamer Mitläufer anführt, ist ein aussterbendes Wesen, weil dieses Konzept die Qualitäten vieler Spieler unterdrückt. Fußball spiegelt an dieser Stelle gesellschaftliche Veränderungen, meint Stefan Süß, Wirtschaftspsychologe an der Universität Düsseldorf.

    "Ich glaube, dass die Ursache dafür, den Führungsstil in der Wirtschaft zu ändern tatsächlich in einem veränderten Verständnis von Personalführung liegt und in einer veränderten Sichtweise des Gegenüber. Und da sind solche Aspekte wie Wertewandel ganz entscheidend. Was erwarten die Mitarbeiter von der Arbeit? Streben sie nach Selbstverwirklichung, streben sie nach Partizipation an Entscheidungsprozessen oder ist das gerade nicht der Fall. Und das ist sicherlich ein Generationeneffekt. Und die gute Führungskraft ist letztlich ja die, die zwar auch eigene Prinzipien hat und diese auch durchsetzt, aber das auch kompatibel macht, mit dem was die Mitarbeiter letztlich mitbringen und auch erwarten. Also in sofern ist der Trend, den Sie im Fußball ausmachen in der Wirtschaft nicht so deutlich zu sehen, aber in meinen Augen schon auch spürbar."

    Das Problem älterer Fußball-Lehrer und der früheren Nationalspieler, die Trainer werden wollen, ist: dass sie erfolgreich waren, als noch anders gearbeitet wurde. Leute, die wie Lothar Matthäus oder Andreas Brehme große Karrieren als Profi hinter sich haben, greifen als Trainer fast immer auf die Rezepte vergangener Erfolge zurück. Das bremst den Fortschritt. Felix Magath rühmt sich noch heute damit, die Methoden von Ernst Happel und Branko Zebec aus den 80er Jahren anzuwenden. Auf Schalke wollte die Mannschaft sich das nicht länger gefallen lassen. Auch weil Kapitän Manuel Neuer und weitere Nationalspieler in den Auswahlmannschaften gesehen haben, dass andere Arbeitsweisen zeitgemäßer und nachhaltiger sind. Ohne die Nationalmannschaft wären die Erfolge der Konzepttrainer kaum denkbar, meint Ausbildungsleiter Wormuth.

    "Im gleichen Atemzug, wie dem ich Klopp oder Tuchel gesagt habe, muss ich auch Löw sagen. Er hat absolut Spitzenarbeit abgeliefert, die Mannschaft hat einen neuen Stil des Fußballs kreiert. Da hat man natürlich auch gefragt, was macht der eigentlich. Löw ist ein klassisches Beispiel, ein Synonym für Konzepttrainer. Weil da ist ja ins kleinste Detail alles geplant, mit der nötigen Flexibilität, die natürlich vorhanden sein muss, und das strahlt natürlich aus. Und das sehen die Verantwortungsträger in den Vereinen und entsprechend wollen sie Löws haben."

    Da es diese Löws jedoch nur in begrenzter Anzahl gibt, könnte noch ein, zwei Jahre die Möglichkeit bestehen, den finanziellen Vorsprung des FC Bayern mit Konzepten zu kompensieren. Doch irgendwann – wie immer bei Entwicklungen, die von den Rändern kommen – werden die wesentlichen Merkmale der Konzepttrainer zum Standard gehören. Dann schießt Geld wieder Tore. Bis die nächsten Erfindungen das Spiel auf eine neue Entwicklungsstufe führen.