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Revolution auf der Bühne

Mit seinem ersten öffentlich aufgeführten Theaterstück gelang Bertolt Brecht der Durchbruch: "Trommeln in der Nacht" machte den 24-Jährigen als Dramatiker berühmt, der bereits in diesem Stück das Politische mit dem Epischen Theater verband. Für die Parodie eines Heimkehrerdramas erhielt Brecht den Kleist-Preis.

Von Sven Ricklefs | 29.09.2007
    Schlecht rasiert sei er gewesen, der da zu Besuch kam, ein schmächtiger junger Mann, verwahrlost in der Kleidung: so wird sich der erfolgreiche Schriftsteller und Dramatiker Lion Feuchtwanger Jahre später an einem Abend des Jahres 1919 in seiner Münchner Wohnung in der Schwabinger Georgenstraße erinnern, ein Abend, an dem ihm der junge, ihm unbekannte Bertolt Brecht sein soeben fertig gestelltes Stück unter dem Titel "Spartakus" überreicht. Es sind chaotische und revolutionäre Zeiten in Deutschland: In Berlin formieren Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht aus dem Spartakusbund die KPD, die Kommunistische Partei Deutschlands, in München wird der neue sozialistische Ministerpräsident Kurt Eisner erschossen, in Augsburg – Brechts Heimatstadt – ist wie vielerorts: Revolution. Brecht orientiert sich für sein Stück an dem Spartakusaufstand von 1919. Von dem – nach Baal – zweiten Theaterstück Brechts ist Lion Feuchtwanger begeistert und will sich dafür verwenden.

    Der politisch eher verfängliche Titel wird auf Vorschlag von Marta Feuchtwanger umgewandelt in "Trommeln in der Nacht".

    "Es geht los, die Massen erheben sich, Spartakus steht auf. Der Mord geht weiter."

    In "Trommeln in der Nacht" parodiert Brecht das Genre des Heimkehrerdramas: Vier Jahre hat Anna Balicke auf den verschollenen Andreas Kragler gewartet, jetzt soll sie nach dem Willen der Eltern einen anderen heiraten, von dem sie auch noch schwanger ist: Doch just als man die Verlobung feiern will, steht Kragler, der Kriegsheimkehrer, vor der Tür, zurück aus dem Alptraum der Gefangenenlager von Afrika.

    "Ich bin wie ein altes Tier zu dir gekommen. Ich habe eine Haut wie ein Hai, schwarz, und ich bin gewesen wie Milch und Blut."

    Während das Stück bereits in einflussreichen Kreisen Münchens herumgereicht wird, arbeitet Brecht noch als Kritiker für die Zeitung "Volkswillen", bastelt an seinem Dichterimage und: hat Geldprobleme. Doch das Jahr 1922 bringt die Wende, die Zeit scheint reif für den neuen dramaturgischen Zugriff des jungen Autors und für die Gewalt seines antibürgerlichen Gestus. Der Direktor der Münchner Kammerspiele Otto Falckenberg beginnt mit den Proben zu "Trommeln in der Nacht". Unter dem blutroten Mond im Bühnenbild von Otto Reigbert soll der renommierte Münchner Schauspieler Erwin Faber den Kriegsheimkehrer Kragler spielen.

    "Der Brecht hat mir einen solchen Eindruck gemacht. Seine Sprache war wie ein verwundetes, rohes Fleisch. Sie war so ausdrucksstark, so bildhaft stark. Die Ausdrucksform von ihm war ganz neu."

    Am 29. September 1922 wird mit "Trommeln in der Nacht" zum ersten Mal ein Stück von Brecht uraufgeführt. Im Zuschauerraum hängen die in den Szenenanweisungen geforderten Plakate, auf ihnen steht: "Glotzt nicht so romantisch!". Ein Kernsatz sicherlich nicht nur für dieses Stück, sondern für die gesamte Dramatik Brechts, für sein Episches Theater, das weg will von Illusion und Identifikation. Brecht hat den großen Kritiker Herbert Jhering aus Berlin nach München eingeladen, von dem er weiß, dass er bald über die Verleihung des Kleist-Preises entscheiden soll. Und Jhering kommt und ist begeistert:

    "Der 24-jährige Dichter Bert Brecht hat über Nacht das dichterische Antlitz Deutschlands verändert. Von den vielen deutschen Revolutionsstücken ist dies das einzige, das dichterisch bleibt."

    Doch das Stück ist durchaus auch antirevolutionär interpretierbar. Schließlich entscheidet sich doch sein Held Kragler, der Heimatlose, der sich zunächst den Aufständischen Berlins angeschlossen hat, am Ende für das – wie er sagt – "große weiße Ehebett" und gegen die Politik.

    "Mein Fleisch soll im Rinnstein verwesen, dass eure Idee in den Himmel kommt. Seid ihr besoffen?"

    Ein Satz, den Brecht zu dieser Zeit wohl so auch hätte sagen können, war er doch, während die Erregung in den Versammlungsräumen kulminierte und die Revolution über die Straßen von Augsburg und München tobte, als stiller und argwöhnisch beäugter Beobachter gesichtet worden. Daneben hatte er lieber an seiner Neufassung des "Baal" geschrieben und im Übrigen reiten gelernt.