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Revolution und Ringelpiez

Ein Ausstieg fast aller Topteams? Eine neue Rennserie als Konkurrenz? Die Schlagzeilen über die Formel 1 in den letzten Wochen lesen sich wenig schmeichelhaft. Vorläufiger Höhepunkt: Die Hitler-Äußerungen von Formel 1-Boss Bernie Ecclestone. Zeit für eine belustigende Betrachtung.

Von Jürgen Roth |
    Ist es nicht, mit aller Bescheidenheit gesagt, beinahe so gekommen, wie wir am 4. Januar dieses Jahres in dieser Sendung prophezeit hatten, in unserem Vorausblick auf das Sportjahr 2009? Hatten wir nicht geunkt: "Die Formel 1 kollabiert mutmaßlich in der Mitte der Saison"? Und flog dann nicht exakt in der Mitte der Saison, beim achten Lauf zur Formel-1-Weltmeisterschaft in Silverstone vor zwei Wochen, der ganze Laden wenigstens für ein paar Tage mit Kawumm und Karacho auseinander? Genau ein halbes Jahrhundert, nachdem ebenda der erste Grand Prix der Königsklasse ausgetragen worden war?

    Und war das alles nicht ein großer, großer Spaß, das drei Monate währende Gezeter und Gezanke zwischen einerseits der im September 2008 in Monza gegründeten Rennstallvereinigung FOTA, der Formula One Teams Association, andererseits dem Weltautomobildachverband FIA, der Fédération Internationale de l'Automobile?

    Deren Präsident, der in vielerlei Hinsicht dubiose und diktatorische Brite Max Mosley, verkündete Mitte März, in der Formel-1-Saison 2010 gelte eine Budgetgrenze, und Teams, die sich daran hielten, dürften mit technischen Vorteilen rechnen. Zudem hatte er die glänzende Idee, den Weltmeister künftig an Hand der Zahl der Siege und nicht mehr der Punkte zu küren - warum auch immer, aber in einem derart hochklassigen Kopf werden halt bisweilen fantastische Konzepte ausgebrütet.

    Nach massiven Protesten kippt man die quatschige neue Weltmeisterregel wieder, doch am Etatlimit von 45 Millionen Euro hält Mosley fest, da er aus dem Hightechsport offenbar eine Seifenkistenrennserie machen will. Der FOTA-Präsident, der Fiat- und Ferrari-Boß Luca di Montezemolo, reagiert darauf Ende April, wie das Handelsblatt schreibt, "mit einem Brandbrief". Nun ist richtig Feuer unterm Dach, nun rappelt's in der Formel-1-Kiste voller Narren.

    Am 12. Mai droht Ferrari mit dem Rückzug aus dem Hochgeschwindigkeitszirkus. Es schließen sich die Teams Renault, Red Bull und Toro Rosso an. In London wird ein Krisengipfel einberufen, da das Mode ist. Dass derartige Schnatterrunden allerdings zu keinen Ergebnissen führen, wissen bereits Zweitklässler. Ferrari reicht zusätzlich, weil man sonst nichts zu tun hat, eine Klage gegen die Regelreformen bei einem Pariser Gericht ein und wird selbstverständlich abgewiesen. Immerhin stand's in den Zeitungen.

    Was tun? Natürlich eine Woche später, in Monaco, den nächsten Krisengipfel anberaumen und hernach die Öffentlichkeit mit den stets gleichen eitel-beleidigten Statements belästigen. Ob der Kaffee und die Kekse gut waren, erfahren wir nicht.

    Die Wörter "Schisma" und "Spaltung" kursieren. Man wähnt sich in die strahlendsten Abschnitte der Kirchengeschichte zurückversetzt. Am 3. Juni liegt schließlich alles in Trümmern, weil die Forderung der Teams, bei der Vermarktung der Serie und der Verteilung der Kohle ein Wörtchen mitzureden, von Mosley und dessen Kumpan Bernie Ecclestone zurückgewiesen wird. Man würde gerne allen Beteiligten Plastiksandschäufelchen und -förmchen überreichen.

    Es werden weiter Briefe und Depeschen geschrieben, die Postkutschen zwischen Mosleys Behörde in Paris und den Boxengassen bilden lange Staus. Die Fachjournalisten und Fans stopfen sich unterdessen die Ohren zu. Kompromißbereitschaft auf einer der Seiten? Eher destillieren Sie aus Schnee Sand.

    "Wir werden nicht an der nächsten Weltmeisterschaft teilnehmen", erklärt Luca di Montezemolo. Herr Mosley kontert: "Es gibt eindeutig ein Element in der FOTA, das entschlossen ist, jegliche Einigung zu verhindern, ohne Rücksicht auf den Schaden, den dies auf den Sport haben könnte." Montezemolo wiederum tut kurz darauf in Silverstone nach dem x-ten Ultimatum der FIA kund, er habe endgültig die Faxen dicke, die Vorbereitungen für eine alternative Rennserie, die "New Formula" unter der Regie der Rennställe, seien weit fortgeschritten, man werde das durchziehen, basta.

    Jetzt langt es dem Formel-1-Experten Niki Lauda. Die Ankündigung einer Piratenserie sei "lachhaft", eine "Blödheit", eine "Lachnummer" und "absolut unrealistisch", ja "das Absurdeste überhaupt", tobt er. Das nicht endende Theater bezeichnet Lauda als "die größte Schande, die es je gegeben hat", um dann zu postulieren: "Wenn sie sich nicht einigen, dann gehören sie aus dem Sport ausradiert. Man muss diese beiden Wahnsinnigen stoppen. Das Ganze ist einfach abscheulich." Beziehungsweise, wie sich bald herausstellen soll, eine Riesenposse.

    Der Stuttgarter Zeitung steckt Lauda: "Mir geht das Ganze wahnsinnig auf die Nerven. Das Wichtigmachen in den Zeitungen ist für mich der einzige Grund dafür, dass sich diese egozentrischen Obermanager in der Formel 1 auf nichts einigen können." Lauda ist wahrscheinlich der letzte, der sich noch mit den grotesken Hampeleien der Grandseigneurs Mosley, Ecclestone und di Montezemolo befasst. Der Rest der Welt geht Minigolf spielen.

    Zwar röhrt der völlig durchgeknallte Bernie Ecclestone - bevor er dieser Tage gegenüber der britischen Tageszeitung The Times erläuterte: "Hitler hat Dinge ans Laufen gebracht, er wusste, wie man's macht" - noch mal ins Rund, er werde "jede Piratenserie bedingungslos bekämpfen" und sein "Lebenswerk" nicht zerstören lassen, und Mosley annonciert abermals irgendwelche "Millionenklagen", doch die Öffentlichkeit, die gewöhnlich jeden Tinnef geduldig erträgt, hat final die Segel gestrichen, so dass fünf Tage nach Silverstone, weil den Gockeln niemand mehr Gehör schenkt, plötzlich Einigkeit über die Reduzierung der Kosten herrscht und Max Mosley in den prospektiven Ruhestand verabschiedet wird. Von der Revolution ist geblieben: ein Ringelpiez mit Anfassen.

    Gut, dass wir darüber gesprochen haben. Und im nächsten Jahr: Jogi Löw und Matthias Sammer streiten über die Cholesterinwerte der A-Nationalspieler - Dramatische Chronologie einer Eskalation. Heißa! Hossassa!