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Revolutionäre Skulpturen

Amedeo Modigliani ist für seine Frauenbildnisse und Stillleben bekannt. Da liegt es nah, die Figuration auch außerhalb des zweidimensionalen Bilderrahmens zu suchen. Das Museum MART im italienischen Rovereto zeigt Amedeo Modigliani als Bildhauer.

Von Thomas Migge | 19.12.2010
    Die Gesichtszüge des sogenannten Apollo Milani, einer weißen Marmorstatur aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert, entliehen aus dem archäologischen Nationalmuseum in Florenz, sind klassisch und in eine vertikale Länge gezogen. Durch die ungewöhnlich gerade Nase wird diese Gesichtslänge noch hervorgehoben. Ähnlich wie die Gesichtszüge einer rituellen Maske des Guro-Volkes aus der Elfenbeinküste. Ein sakrales Objekt des 19. Jahrhunderts. Schlitzartige Augen, ein nur angedeuteter horizontaler Mund und eine kerzengerade Nase, die wie ein Strich die Maske von der Stirn bis zum Mund in zwei Hälften zu teilen scheint. Amadeo Modigliani ließ sich von solchen antiken und ethnologischen Kunstwerken beeinflussen, um zu einer persönlichen Synthese in seiner Bildhauerei zu gelangen. Die Ausstellung "Modigliano als Bildhauer" im Museum für moderne Kunst MART im norditalienischen Rovereto zeigt aber auch Büsten aus der italienischen Renaissance, Buddhas aus dem Musée Guimet in Paris und Werke von Costantin Brancusi: Vorbilder für Modigliani. Für jene 25 Skulpturen, die der Künstler schuf: zwischen 1911 und 1913. Nur eine kurze Zeit seines Lebens, im letzten Lebensjahrzehnt, widmete sich der 1884 im italienischen Livorno geborene Künstler diesem Genre.

    Ausstellungskuratorin Gabriella Belli:

    "Zu Modiglianis Schaffen gab es verschiedene Ausstellungen. Aber nie zu seiner Bildhauerkunst. Man wusste bisher nur wenig von dieser Vorliebe, die ihm ganz besonders am Herzen lag, obwohl er vor allem als Maler berühmt wurde. Wir zeigen in der Ausstellung sämtliche Dokumente, die sein Faible für die Bildhauerei dokumentieren. Von den 25 als authentisch eingestuften Skulpturen ist nur der Aufenthaltsort von 15 bekannt, die wir hier jetzt ausstellen."

    25 plus 3: Bei den sechsjährigen Vorbereitungs- und Forschungsarbeiten zu der Ausstellung gelangen dem am Projekt beteiligten Expertenteam drei weitere Zuschreibungen. Doch bei Modigliani ist immer große Vorsicht geboten: Vor Jahren blufften Jugendliche mit Black&Decker-Bohrmaschinen die internationale Kunstszene, als sie der Weltöffentlichkeit weiszumachen versuchten, dass sie in einem Wassergraben in Livorno gleich mehrere Modigliani-Skulpturen gefunden hätten. Einige Experten erklärten ihre Werke tatsächlich zu Originalen.

    Modigliani, das macht die Ausstellung in Rovereto deutlich, revolutionierte nicht nur die Malerei mit seiner von anderen Künstlern klar zu unterscheidenden Malweise, sondern auch die Bildhauerei. Damals war es in der Regel üblich erst Bronze- oder Tonmodelle anzufertigen, bevor die Künstler sich an den Stein machten. Der Italiener und Wahlpariser ging anders vor: Er skizzierte sein Projekt, um es dann direkt in Stein umzusetzen. Eine damals ungemein innovative Vorgehensweise.

    Gabriella Belli:

    "In den zwei Jahren als Bildhauer widmete er sich ausschließlich dieser Kunstform. Seine Malerei ruhte vollständig. Sein Ziel war es, wie wir jetzt nach dem Studium der noch nie ausgewerteten Originaldokumente wissen, seine malerischen Prinzipien zur Darstellungen von Personen in die Bildhauerei umzusetzen. Auch wenn er nur eine kurze Zeit seines kurzen Lebens, er starb mit nur 36 Jahren, dieser Kunstform widmete, bezeichnete er sich zeit seines Lebens mehr als Bildhauer denn als Maler."

    Modigliani war seit frühester Jugend von Skulpturen der italienischen Antike fasziniert. Doch erst durch seine Freundschaft mit dem rumänischen Künstler Constantin Brancusi begann er eine erste intensive Auseinandersetzung mit der Bildhauerei. In diesem Bereich interessierte ihn zunehmend das Motiv der Karyatiden. 1911 stellte er die ersten archaisch wirkenden und damit für großes Aufsehen sorgenden Steinskulpturen im Ateliers eines befreundeten Künstler aus. Zunächst arbeitete er in Sandstein, weshalb diese Skulpturen besonders porös und schwer zu transportieren sind, später in Marmor.

    1913 ließ Modigliani sich in Livorno nieder, um dort als Bildhauer zu arbeiten. Seine Werke schickte er nach Paris. Aus der Beschäftigung mit seinem Nachlass wird deutlich, dass er die Bildhauerei wahrscheinlich aus zweierlei Gründen aufgab. Zum einen, weil der Staub im Atelier seine ohnehin schon angegriffene Gesundheit schädigte und zum anderen, weil sich die Skulpturen nicht gut verkaufen ließen. Und das, obwohl sie wie seine Porträts die gleichen ikonografischen Merkmale aufweisen: lange Hälse, in die Vertikale gezogene Gesichter und archaisch anmutende Gesichtszüge. Die letzten Jahre seines Lebens malte Modigliani. Sein Versuch, als Bildhauer in die Kunstgeschichte einzugehen, scheiterte.

    Informationen

    Museum MART in Rovereto, Italien