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Revolutionsstück ganz anders

Eros, Tod und Hoffnungslosigkeit sind der richtige Stoff für den jungen Regisseur Laurent Chétouane. Jahrgang 1973, absolvierte er zunächst ein Ingenieursstudium, dann Theaterwissenschaft und schließlich Theaterregie in Frankfurt am Main. Nach Engagements an den großen Häusern in München, Hamburg und Oslo hat er sich in Köln nun "Dantons Tod" angenommen.

Von Christiane Enkeler | 18.01.2010
    Dantons Freundin Julie spricht in Laurent Chétouanes Inszenierung noch weniger Text als von Büchner vorgesehen. Mit Danton will sie in den Tod gehen, dazu sehen wir im Kölner Schauspielhaus ihren Text nur auf Leinwand: "Das Volk lief in den Gassen, jetzt ist alles still", können wir da lesen. Gleichzeitig vermisst eine Tänzerin als Julie den gesamten Bühnenraum. Sie streckt ihre Arme in alle Richtungen. Sie breitet die Hände aus wie zuvor Danton, als versuche sie – ratlos wie er – etwas vom Himmel Gefallenes zu begreifen.

    Laurent Chétouanes Figuren tasten oft nach Möglichkeiten im Raum. Die Darsteller beschreiben die Bühne wie ein Koordinatensystem mit vier Dimensionen, als entstehe eine eigene Sprache: Sie bewegen sich zeichenhaft, leicht schematisch.
    Theater sehen, ohne ständig Zeichen zu interpretieren, ist so gut wie unmöglich. Aber selten muss der Zuschauer so viel selbst erforschen.

    Chétouanes Inszenierung "Dantons Tod" behauptet einen Bedeutungsraum ohne Türen. Es gibt nur Verteilung im Raum: Tänzer und Schauspieler gleiten unter einem großen schwarzen Vorhang, der vor den drei Wänden des Bühnenhintergrundes hängt, hinein oder hinaus, spielen mit schlaffen Körpern Müdigkeit und Überdruss, während sie von einem straffen Staatskörper reden.

    "Die Staatsform muss ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muss sich darin abdrücken."

    Dieselben Schauspieler spielen nicht nur Revolutionäre, sondern auch Fuhrmänner. Auch Text von Danton ist verteilt, aber im Wesentlichen gehört die Rolle Devid Striesow. Er spielt sie im leichtfüßigen Rückwärtsgang oder widerwillig getrieben. Die Todesangst im Kerker, seine einzige Rampennummer, spielt er so schlotternd, dass sich der ganze Mensch schon vor dem Tode auflöst. Diesen Danton kann man nicht mehr halten, er ist im übertragenen Sinn nackter als nackt, und das berührt.

    Robespierres und St. Justs Reden spielen Maik Solbach und Renato Schuch mit Herz in der Hose: die Faust schwach erhoben, das Ende energielos. Die Marseillaise klingt, als dringe sie aus einem anderen Raum herüber.

    Helden gibt es hier nicht. Chétouane inszeniert Überdruss, Angst und Tod.
    Der Traum der Revolutionäre ist ein Alptraum, der Pöbel klatscht mechanisch, egal wofür. Wie dessen geheimer Geist wechselt Isabell Giebeler mit glasigem Blick ständig die Seiten und hat kaum Text, bis auf einen demonstrativ eingezischten Monolog, in dem es um die Verkörperung der Phrasen geht.

    "Dantons Tod" mit seinen naturhaften Vergleichen ist wie geschaffen für Chétouanes Inszenierungsstil, aber ästhetisch läuft es besser, wenn die Bewegung das Gesagte nicht abbildet, sondern konterkariert: Tatenlosigkeit gegen ein "Wir müssen handeln"; ein simulierter Zusammenbruch gegen ein "im Ernst erstochen werden"; Julies rasendes Einschwingen in Dantons ängstliche Erregung, obwohl sie ihn mit ihren Äußerungen beruhigt.

    Chétouanes Stil zeigt aber auch Schwächen: Sie liegen in platten Verweisen und Beliebigkeit. Letztere droht, wenn man den Text kaum versteht, was auch an ausgeprägten Sprachakzenten liegt. Oder wenn die Gesten leer wirken – und so wirken sie hier recht oft. Platt, weil zu direkt, wird es, wenn Danton einen koketten Blick auf die Guillotine wirft und sagt, er kokettiere mit dem Tod.

    Chétouanes "Dantons Tod" im Schauspiel Köln ist also ein wechselhafter Abend: Passagenweise möchte man gerne mehr Sinn in Erzählung und Struktur verstehen, ist aber auch berührt in Momenten tiefster Angst, die das Team sogar humorvoll zeigen kann: Der Abgang zum Schafott wird ganz opernhaft gesungen, voller Abstand und Ironie, aber der Mensch neigt nun mal zum Singen aus Furcht, wenn er allein ins Dunkle muss. Solche Momente sind toll.

    Ein geradezu ethnologisches Bemühen um das Verstehen der Inszenierungssprache bleibt auch nicht unbelohnt, sondern über zweieinviertel Stunden faszinierend und spannend. Nur ist die ästhetische "Gesamt-Ausbeute" diesmal nicht ganz so befriedigend.