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Revoluzzer, Träumer, Königskinder

Die Vorbereitungen auf Hochtouren. Am 19. Juni wird Kronprinzessin Victoria Daniel Westling das Ja-Wort geben, und Stockholm ist vorbereitet. Die einen erhoffen sich das Geschäft ihres Lebens, andere freuen sich einfach mit dem Brautpaar, - und wieder andere stellen die Monarchie infrage.

Von Alexander Budde |
    Karin Lenmor wühlt sich durch die Fotoausbeute der letzten Tage.
    Opulente Bilderbögen vom Stelldichein der Königsfamilie auf Gala-Diners, Vernissagen und Ballnächten gehören seit jeher zum Kerngeschäft des Boulevardblatts "Svensk Damtidning". Die Hochzeit der Kronprinzessin Victoria mit ihrem Fitnesstrainer Daniel Westling wird die Auflage in ungeahnte Höhen treiben.

    Appell der beinahe gänzlich weiblichen Belegschaft zwischen schmucken Büromöbeln im 70er-Jahre-Retro-Look. "Svens Damtidning" ist die altehrwürdige Dame im schwedischen Blätterwald. Und Karin Lenmor, Mitte 50, mit Kurzhaarschnitt und randloser Brille, die gestrenge Befehlshaberin über dieses Sturmgeschütz der Monarchie.

    "Alles ist von Interesse: der Triumphzug, die Torte, das Wappen von Daniel Westling. Diese Hochzeit ist ein enormes Ereignis: In hundert Jahren werden wir es nicht mehr erleben, dass sich eine Kronprinzessin vermählt."+"

    Feldeinsatz für Camilla Spjuth Palve. Die Hofreporterin der Damenzeitung, Jahrgang 1972, folgt Victoria wie ein Schatten überall hin. Doch der Zutritt zu Master Training bleibt auch ihr verwehrt. In Daniels Fitnessclub im Herzen Stockholms trainieren nur Promis, Prinzen, Potentaten.

    ""Der Club ist exklusiv. Hier schwitzen die Vermögenden. Man kommt nur auf Empfehlung eines Mitglieds rein. Daniel stand Victoria als persönlicher Trainer zur Seite. Zwischen Hanteln und Laufrädern wuchs ihre Liebe heran."

    Verse werden gereimt, Musicals komponiert. Victoria und Daniel lächeln von Briefmarken, Bierkrügen, Kaffeebechern. Die Hoteliers und Händler der Stadt wittern das Geschäft ihres Lebens.

    In einer der vielen Touristenfallen der Altstadt stößt Camilla auf überaus romantische Souvenirs.

    "An dieser Postkarte haben die beiden mitgewirkt. Daniel sieht aus wie James Bond und Victoria trägt ihr Haar wie eine Diva. Sie lustwandeln im Park und schauen ganz verliebt. Bei diesem Becher mit dem gemalten Herzen senkt sich der Daumen. Und der Elch ist auch nicht zugelassen."

    Über den Prachtboulevard Strandvägen am Ufer von Nybroviken wird das Hochzeitspaar in einer mit Samt bezogenen Kutsche rollen. Im goldverzierten Ruderboot geht es anschließend hinüber zum Schloss, das wuchtig im Herzen der Altstadt thront.

    Stockholm schwimmt auf 14 Felseninseln. Der Lachs kommt fangfrisch aus dem Strömmen, der sich aus dem Mälaren, dem großen See zwischen Stockholm und Uppsala, schwarz und gewaltig in die Ostsee wälzt.

    Der Strom umarmt die Altstadt Gamla Stan mit ihrem Kopfsteinpflaster und den windschiefen Giebeln. Nur ein paar Schritte vom Marktplatz entfernt ragt die Domkirche Storkyrkan auf.

    Die Trauung am 19. Juni beschert dem betagten Dom eine Generalüberholung durch Meisterhand. Chefkonservator Urban Ullenius schrubbt und wienert Kanzeln, Skulpturen und die Wappen der Edlen:

    "Ich beginne mit dem Pinsel und rücke dem Staub dann mit dem Sauger zu Leibe. Mit Wasser und Lösungsmitteln wird nachgespült."

    Wie so viele Bernadottes vor ihnen schritten König Carl XVI. Gustaf und seine Silvia 1976 in Storkyrkan zum Traualtar: er in seiner schmucken Admiralsuniform mit Ordenskette und Säbel, sie in einem elfenbeinfarbenen Kleid von Dior.

    "Es war ein genialer Einfall des Königs, sich in das Fräulein Sommerlath zu verlieben. Er war ein junger Mann, fuhr Sportwagen, warf wie ein Playboy mit dem Geld um sich. Doch dann kam Silvia. Und ganz Schweden schmolz dahin. Sie war eine Schönheit, sie war ein Organisationstalent. Die Kinder wurden geboren, und 30 Jahre sind vergangen. Die Monarchie hat überlebt – Silvia sei Dank","

    sagt einer, der in den Schlössern der Bernadottes beinahe schon zum Inventar gehört. Herman Lindqvist, Jahrgang 1943, war vor einigen Jahren Victorias Hauslehrer, sie büffelte Geschichte bei ihm. Bis heute sind sie eng verbunden, die Königliche Hoheit und ihr väterlicher Freund.

    ""Ich gab ihr den Rat, dem Ruf ihres Herzens zu folgen. Denn wenn sie das nicht täte, wäre sie auf ewig unglücklich. Auch die Schweden würden sie nicht so lieben, hätte sie sich mit einem deutschen Prinzen von und zu Nochwas vermählt."

    Im Königreich gibt es Republikaner, die sich mit umstürzlerischen Gedanken tragen. Sie halten es schlicht für unwürdig, dass man im schwedischen Musterland den Posten des Staatsoberhaupts vererbt. Die Republikanische Vereinigung hat die Zahl ihrer Mitglieder seit der Verlobung vor mehr als einem Jahr glatt verdoppelt.

    Die Schweden streiten um ihr Königshaus, so hitzig wie selten zuvor. Zum Beispiel in der Szenekneipe "Strand" im ehemaligen Arbeiterviertel Södermalm, nunmehr das Heimatquartier der Zugereisten und Kreativen.

    Vor dem feixenden Publikum im "Strand" hält der Dichter Thomas Tidholm seine flammende Philippika.

    Der bekannte Linksintellektuelle empfindet die romantische Orgie als Affront. Ungebildet und unbedarft seien die Bernadottes. Ruhm und Achtung würden ihnen ganz unverdient weil ohne Leistung zu Teil.

    "Der Ekel, den ich vor dieser Veranstaltung empfinde, lässt sich nicht in Worte fassen. Jetzt sollen wir alle festlicher Laune sein. Die Medien sagen dem Volk, was es denken soll. Wie Victoria gestern im Fernsehen sagte: Es handelt sich hier um eine Staatsaffäre."

    Doch die allermeisten Untertanen werden bei der feierlichen Zeremonie womöglich gar nicht zugegen sein. An Mittsommer zieht es die Schweden hinaus in die Stille der Natur. An Strömkajen vor dem Königsschloss dümpeln alte Holzdampfer. Nur ein Katzensprung ist es bis hinein in den Archipel der Schären: Zehntausende Inseln, Felsen und Holme, die meisten davon unbewohnt.

    Schwer bepackte Sommerfrischler drängen sich auf dem Oberdeck und im Salon des 100 Jahre alten Dampfers "Storskär". Auch Camilla, die Hofreporterin, hält einen Plüschsessel mit rotem Samt besetzt. Ein Kaffeebecher dampft vor ihrer Nase.

    "Ich bin am Meer aufgewachsen. Hier draußen kann ich wunderbar entspannen. Du sitzt am Steg, die Hummeln summen, das Wasser gluckert. An Mittsommer trinken wir Schnaps, wir essen Hering und tanzen unseren Ringeltanz."

    Auf die Daheimgebliebenen und ihre Gäste warten prachtvolle Schlösser, lauschige Cafés und eine Vielzahl von Museen mit einzigartigen Kunstschätzen.

    Einen "Sommer der Liebe" hat die Metropole ausgerufen und allerhand Stars und Sternchen für ein Kulturfestival rund um die Hochzeit verpflichtet. So will man an Mittsommer Abertausende Besucher in den Norden locken.