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Rheingold als B-Movie

Die Rheintöchter sind aufgetakelte Huren und grillen phallische Würstchen. Alberich greift nicht nach dem Gold im Fluss, sondern nach Öl in Amerika. In Kirill Petrenkos und Frank Castorfs "Rheingold" ist vieles anders. Letztlich bleibt die Inszenierung aber eine triviale Ganovengeschichte.

Von Christoph Schmitz | 27.07.2013
    Nun ist er da, der neue "Ring", das "Rheingold" von Kirill Petrenko und Frank Castorf. Mit Spannung erwartet wie nur wenige Kulturereignisse in diesem Sommer, nach der enttäuschenden Deutung von Tankred Dorst, nach mancherlei Hoffnungen und Absagen zuletzt von Wim Wenders und vielerlei Skepsis gegenüber dem "Stückezertrümmerer" von der Volksbühne und nach Vorschusslorbeeren für den detailversessenen Dirigenten aus Russland, der gestern Abend mit seinem Bayreuth-Debüt wirklich nicht enttäuschte. Anfangs tastend, erkundeten die Hörner den Anbeginn der Welt. Zart wuchsen die ersten Keime und Pflänzchen. Plastisch entwickelte sich das große Leben der Natur.
    Mit ungeheurer erzählerischer Kraft gab Petrenko Kunde vom Wirken der mythologischen Gestalten, von den Rheintöchtern, dem Zwerg Alberich, der das Gold raubt, von den Göttern um Wotan, die Wallhall errichten lassen, vom Zwist mit den Riesen und deren Bezahlung mit Alberichs Schätzen. Es war schon erstaunlich, wie souverän der Hügel-Neuling am Pult die extrem schwierige Klaviatur der Festspielhaus-Akustik auf Anhieb beherrschte. Farbenreich, prägnant, zupackend und zugleich lyrisch lotete Petrenko die Partitur aus. Auf die nächsten Abende kann man sich freuen.

    Auch das Bühnenbild von Aleksandar Denic ist eine Wucht. Auf der Drehbühne steht das verschachtelte "Golden Motel" an der Route 66 in den USA, ein mickeriger Swimmingpool schimmert blau, die Rheintöchter sind aufgetakelte Huren. Sie grillen phallische Würstchen. Mit dem Provinzproleten Alberich treiben sie ihre Späße. In einem Hotelzimmer mit großen Fenstern im ersten Stock des "Golden Motel" treibt Wotan es mit seinen beiden Geliebten, den Schwestern Fricka und Freia. Ein Halbweltstyp, der sich eine dicke Villa hat bauen lassen. Jetzt fehlt ihm die Kohle, um die Riesenkerle von der Baustelle zu bezahlten.

    Wenn sich die Bühne dreht, kommt eine ziemlich ruinierte Tankstelle zum Vorschein. Und wie bei Castorf üblich, schleichen Kameraleute herum, filmen die Figuren und Räume von nahem, was auf einer Leuchttafel auf dem Dach des Motels vergrößert wird. Manchmal hat man den Eindruck, den Dreharbeiten zu einem Gangsterfilm beizuwohnen, einem Billigfilm, einem trashigen B-Movie. Wie aus der amerikanischen Kinoindustrie kopiert, wirken die Figuren. Die Sänger spielen die schräge Story mit, als sei sie ihnen auf den Leib geschrieben. Es ist ein Vergnügen den Rheintöchtern bei der Arbeit zuzuschauen und zuzuhören und auch den Riesen. Aber was macht Castorf aus diesem Vorabend des Bühnenfestspiels, aus der Geschichte vom Erwachen des Kosmos, vom beginnenden Verderben durch Gier und Machtwahn? Letztlich eine triviale Ganovengeschichte. Sogar Erda, die Weisheit aus unvordenklicher Zeit, ist nur eine pelzbehangene alte Edelnutte, die wirres Zeug labert, wenn auch machtvoll-düster gesungen von Nadine Weissmann.
    Petrenkos Klangepos macht den Kontrast und Widerspruch zur szenischen Flachware immer wieder deutlich. Wenn Fafner Fasolt mit einem Goldbarren ermordet, besorgt Wotan es der Erda hinter einer Glastür, zu jedem Orchesterschlag ein Lendenstoß. Über die Nibelheim-Geschichte inszeniert Castorf, wie über vieles andere mehr, einfach hinweg, vollkommenes Wirrwarr. Ein Regisseur darf eine Menge. Seine Deutung darf aber nicht hinter der Komplexität des Materials zurückstehen. Oder er muss einen bislang unterbelichteten Aspekt sinnvoll hervorheben. Castorf macht im "Rheingold" weder das eine, noch das andere. Er macht Wagner mickerig. Die Musik ist bislang viel zu groß für ihn.