Solche Momente gibt es zuweilen: Der Vorhang öffnet sich und man hat augenblicklich ein Dèja-Vu-Erlebnis.
In Riga glaubt man sich zu Beginn des "Rheingolds" in Peter Konwitschnys Hamburger "Lohengrin"-Inszenierung versetzt, denn wir sind im Klassenzimmer mit drei hübsch frisierten, aber dafür umso ausgelassener herumtollenden Schulmädchen. Vorne steht Lehrer Alberich, der irgendwie aussieht wie Richard Wagner, zumindest trägt er das aus vielen Illustrationen einschlägige Wagner-Käppchen. Und er hat einen Backenbart. Egal wer er nun ist, der Mann hat alle Hände voll zu tun, um die unzüchtig-lasziven Mädels im Zaum zu halten, rasch verliert er aber sämtliche Zurückhaltung und wird zum Grabscher.
Als er von Garstig-Glitschrigem singt, da befindet sich seine Hand im Unterrock eines Rheinmädels, das sich kurz räkelt, dann aber schnell abhaut. Wenig später wird der Lehrer zum Schüler, die Mädchen tummeln sich vor einer bekritzelten Tafel und necken ihn mit pseudo-schmeichelhaften Bewegungen.
Damit ist bald Schluss, denn er entdeckt das Rheingold, dieses verbirgt sich hinter der Schultafel: Es ist ein mannshohes Modell des Bayreuther Festspielhauses und Alberich klettert begierig hinein, um dann herauszuschauen und den Hitlergruß zu präsentieren, während er kraftvoll-sonor die Liebe verflucht.
Nach der von adretten Bewegungen der Schulrheintöchter begleiteten Verwandlungsmusik befinden wir uns in einem großbürgerlichen Salon, das Interieur verweist aufs 19. Jahrhundert. Hier tagt eine äußerst veritable Gesellschaft: Friedrich Nietzsche liegt auf einem Kanapee und wird von Siegmund Freud therapiert, scharf beobachtet von Franz Liszt und Humperdinck. Als Wotan – mit Backenbart und einschlägiger Mütze auf dem Kopf – erwacht und schlaftrunken vor sich hin murmelt, da hat er die volle Aufmerksamkeit des Wiener Psychoanalytikers, der sich, mit einem Notizblock bewaffnet, alles notiert. Das geht so lange, bis König Ludwigs Schwan den letzten der jugendbringenden Äpfel zu verspeisen sucht, da schreitet Freud ein und leitet nun eine Doppelsitzung: Ludwig muss samt dem Schwan auf die Couch.
Stefan Herheim arbeitet genau mit Text und Partitur und lässt den oft wenig beachteten, komischen Stellen großen Raum, dafür wird das Pathetisch-Ernste und auch das musikalisch Breite in sehr radikale, erschütternde Bilder gegossen. Herheim entwirft ein geniales, überaus komplexes Spiel, das das kulturelle Umfeld Wagners, die Rezeption seiner Werke und die Festspielidee Bayreuth integriert und auch noch das Verhältnis des Komponisten zu seinem Werk thematisiert.
Alberichs Arbeitsheer wird zur Stahlhelmarmee, die schwachen Götter Donner und Froh sind zwei braune Gesellen, einer erinnert stark an Goebbels, mit Mantel und Mikrophon bewaffnet, sucht er den Riesen zu begegnen. Die tragen Rauschebart-Masken, es sind Marx und Engels, sie schleudern Hammer und Sichel gegen das Modell-Bayreuth im Bühnenhintergrund.
Und Bayreuth wächst, wie ein Geschwür bringt es in seinem Inneren eine sich drehende Swastika hervor. Aber es ist auch Hoffnung für die Sehnsuchtsblicke seines Schöpfers. Der ist den ganzen Abend über anwesend, er spiegelt sich in Wotan, Loge, Mime. Man könnte sagen: der Komponist wandert durch seine Oper, er geht durch die Figuren hindurch, bleibt augenblicksweise an ihnen haften. Oder man sagt: in allen Figuren steckt – mehr oder wenig – Wagner.
Gelegentlich schnappt sich einer dieser Wotan- oder Loge-Wagners die Partitur und dirigiert mit, bis er plötzlich stutzt, sich ans Klavier setzt und wohl gern noch etwas ändern würde, sozusagen live, in letzter Minute. Der Gang ans Klavier ist aber oft auch die Flucht vor großer Gesellschaft und vor der eigenen Gattin.
Auch Hitler taucht immer wieder auf, etwa wenn Wotan die Kontrolle über sich verliert, dann zittern seine Hände à la Bruno Ganz in "Der Untergang". Jede Geste, jede Verwandlung oder Anverwandlung erschliesst neue Bezugspunkte, ohne je der Musik oder dem Libretto entgegen zu laufen.
Natürlich denkt man bei diesem "Rheingold" immer wieder an die Montagetechnik Syberbergs, doch kommt Herheims Assoziationsmaschine ohne Pathos und den Zeigefinger eines enzyklopädisch belesenen Besserwissers aus.
In Dirigent Andris Nelsons hat Herheim einen kongenialen Partner gefunden, der das Orchester sicher durch die Partitur führt. Die leiseren Stellen geraten sehr transparent, aber an geeignetem Platze darf vor allem das tiefe Blech auch mal so richtig aufdrehen.
Das weitgehend aus lettischen Sängern bestehende Ensemble überzeugt durch beste Intonation und Textverständlichkeit, herausragend Marcus Jupiter als polternder Alberich, ausgezeichnet Petris Eglitis als Wotan. Arnold Bezuyen hingegen, der Loge des neuen Bayreuther Rings, übt noch ein wenig. Trotz schöner Stimme und passend hinterlistigen Betonungen fehlt ihm (noch) das Durchhaltevermögen für diese anstrengende Partie.
Am Schluss nimmt das Bayreuther Festspielhaus die gesamte Opernbühne ein und aus Wotan, Fafner, Freia und den Nibelungen wird ein Publikum in Smoking und Abendkleid. Es geht langsam ins Haus hinein, ganz vorn singt Loge seinen sarkastischen Abgesang: "ihrem Ende schreiten sie zu" – und dann führt die Regenbogenbrücke in den Gral der Wagner-Rezeption.
In Riga glaubt man sich zu Beginn des "Rheingolds" in Peter Konwitschnys Hamburger "Lohengrin"-Inszenierung versetzt, denn wir sind im Klassenzimmer mit drei hübsch frisierten, aber dafür umso ausgelassener herumtollenden Schulmädchen. Vorne steht Lehrer Alberich, der irgendwie aussieht wie Richard Wagner, zumindest trägt er das aus vielen Illustrationen einschlägige Wagner-Käppchen. Und er hat einen Backenbart. Egal wer er nun ist, der Mann hat alle Hände voll zu tun, um die unzüchtig-lasziven Mädels im Zaum zu halten, rasch verliert er aber sämtliche Zurückhaltung und wird zum Grabscher.
Als er von Garstig-Glitschrigem singt, da befindet sich seine Hand im Unterrock eines Rheinmädels, das sich kurz räkelt, dann aber schnell abhaut. Wenig später wird der Lehrer zum Schüler, die Mädchen tummeln sich vor einer bekritzelten Tafel und necken ihn mit pseudo-schmeichelhaften Bewegungen.
Damit ist bald Schluss, denn er entdeckt das Rheingold, dieses verbirgt sich hinter der Schultafel: Es ist ein mannshohes Modell des Bayreuther Festspielhauses und Alberich klettert begierig hinein, um dann herauszuschauen und den Hitlergruß zu präsentieren, während er kraftvoll-sonor die Liebe verflucht.
Nach der von adretten Bewegungen der Schulrheintöchter begleiteten Verwandlungsmusik befinden wir uns in einem großbürgerlichen Salon, das Interieur verweist aufs 19. Jahrhundert. Hier tagt eine äußerst veritable Gesellschaft: Friedrich Nietzsche liegt auf einem Kanapee und wird von Siegmund Freud therapiert, scharf beobachtet von Franz Liszt und Humperdinck. Als Wotan – mit Backenbart und einschlägiger Mütze auf dem Kopf – erwacht und schlaftrunken vor sich hin murmelt, da hat er die volle Aufmerksamkeit des Wiener Psychoanalytikers, der sich, mit einem Notizblock bewaffnet, alles notiert. Das geht so lange, bis König Ludwigs Schwan den letzten der jugendbringenden Äpfel zu verspeisen sucht, da schreitet Freud ein und leitet nun eine Doppelsitzung: Ludwig muss samt dem Schwan auf die Couch.
Stefan Herheim arbeitet genau mit Text und Partitur und lässt den oft wenig beachteten, komischen Stellen großen Raum, dafür wird das Pathetisch-Ernste und auch das musikalisch Breite in sehr radikale, erschütternde Bilder gegossen. Herheim entwirft ein geniales, überaus komplexes Spiel, das das kulturelle Umfeld Wagners, die Rezeption seiner Werke und die Festspielidee Bayreuth integriert und auch noch das Verhältnis des Komponisten zu seinem Werk thematisiert.
Alberichs Arbeitsheer wird zur Stahlhelmarmee, die schwachen Götter Donner und Froh sind zwei braune Gesellen, einer erinnert stark an Goebbels, mit Mantel und Mikrophon bewaffnet, sucht er den Riesen zu begegnen. Die tragen Rauschebart-Masken, es sind Marx und Engels, sie schleudern Hammer und Sichel gegen das Modell-Bayreuth im Bühnenhintergrund.
Und Bayreuth wächst, wie ein Geschwür bringt es in seinem Inneren eine sich drehende Swastika hervor. Aber es ist auch Hoffnung für die Sehnsuchtsblicke seines Schöpfers. Der ist den ganzen Abend über anwesend, er spiegelt sich in Wotan, Loge, Mime. Man könnte sagen: der Komponist wandert durch seine Oper, er geht durch die Figuren hindurch, bleibt augenblicksweise an ihnen haften. Oder man sagt: in allen Figuren steckt – mehr oder wenig – Wagner.
Gelegentlich schnappt sich einer dieser Wotan- oder Loge-Wagners die Partitur und dirigiert mit, bis er plötzlich stutzt, sich ans Klavier setzt und wohl gern noch etwas ändern würde, sozusagen live, in letzter Minute. Der Gang ans Klavier ist aber oft auch die Flucht vor großer Gesellschaft und vor der eigenen Gattin.
Auch Hitler taucht immer wieder auf, etwa wenn Wotan die Kontrolle über sich verliert, dann zittern seine Hände à la Bruno Ganz in "Der Untergang". Jede Geste, jede Verwandlung oder Anverwandlung erschliesst neue Bezugspunkte, ohne je der Musik oder dem Libretto entgegen zu laufen.
Natürlich denkt man bei diesem "Rheingold" immer wieder an die Montagetechnik Syberbergs, doch kommt Herheims Assoziationsmaschine ohne Pathos und den Zeigefinger eines enzyklopädisch belesenen Besserwissers aus.
In Dirigent Andris Nelsons hat Herheim einen kongenialen Partner gefunden, der das Orchester sicher durch die Partitur führt. Die leiseren Stellen geraten sehr transparent, aber an geeignetem Platze darf vor allem das tiefe Blech auch mal so richtig aufdrehen.
Das weitgehend aus lettischen Sängern bestehende Ensemble überzeugt durch beste Intonation und Textverständlichkeit, herausragend Marcus Jupiter als polternder Alberich, ausgezeichnet Petris Eglitis als Wotan. Arnold Bezuyen hingegen, der Loge des neuen Bayreuther Rings, übt noch ein wenig. Trotz schöner Stimme und passend hinterlistigen Betonungen fehlt ihm (noch) das Durchhaltevermögen für diese anstrengende Partie.
Am Schluss nimmt das Bayreuther Festspielhaus die gesamte Opernbühne ein und aus Wotan, Fafner, Freia und den Nibelungen wird ein Publikum in Smoking und Abendkleid. Es geht langsam ins Haus hinein, ganz vorn singt Loge seinen sarkastischen Abgesang: "ihrem Ende schreiten sie zu" – und dann führt die Regenbogenbrücke in den Gral der Wagner-Rezeption.