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"Rheingold" an der Seine

Es gibt schöne Momente in dieser Inszenierung. Vor allem am Anfang, wenn die Rheintöchter als erotische Naturwesen mit leichtem Varieteeeinschlag über einen Unterwassergarten aus rotzüngelnden Händen hinwegschaukeln. Ihre Röcke öffnen sich dabei wie die Lippen von Venusmuscheln und zeigen ihr fleischrotes Gekräusel. Und das Rheingold ist eine Riesenperle, mannshoch, perlmuttschimmernd. Sie rollte herein als Inbild zweckloser Schönheit und Lust. Natürlich kann Alberich mit ihr nur etwas anfangen, wenn er sie besitzt. Er entsagt der Liebe und läßt die Perle später in Nibelheim von einer Riesenraspel zu Staub zerreiben. Als gewaltiges Pendel schwingt die Maschine durch den Bühnenraum und schabt sich in den goldglänzenden Stoff, aus dem Goldbarren, Tarnhelm und Ring fabriziert werden. Leitmotivisch spielt Regisseur Günter Krämer das Kugelmotiv geschickt weiter: Mit Freias Äpfeln ewiger Götterjugend wird fleißig jongliert, und die Weltherrscher liegen auf dem Erdball mit blauen Meeren und grünen Kontinenten. Ihre Oberkörpermuskulatur hat Schwarzeneggerformat. Wotan und seine Leute haben die Erde vermessen, die Längengerade sind ein gelbes Stahlkorsett, das den Globus einzwängt. Ebenso wie von denen da unten in Nibelheim ist die Welt von denen da oben in Walhall zweckrationalisiert. Günter Krämers märchenhaft anmutende Bildfantasien, gebaut von Jürgen Bäckmann, atmen Wagners Kapitalismuskritik genauso wie seine Fabulierfreude. Das ist in einigen Augenblicken poetisches und politisches Regietheater zugleich, wie es nur selten gelingt.

Von Christoph Schmitz |
    Erda: "Weiche, Wotan! Weiche! Flieh des Ringes Fluch! Rettungslos dunklem Verderben weiht dich sein Gewinn." Wotan: "Wer bist du, mahnendes Weib?"

    Qiu Lin Zhang singt eine mythisch dunkle Erda. Wie ein schwerer Schatten legt sich die Aura dieser Sängerin über das Publikum der Bastille. Falk Struckmann als Wotan kann mit seinem Bass nicht denselben schwarzen Zauber entfalten. Peter Sidhom spielt und singt einen schrecklich leidenden und furchtbar bösen Alberich mit kompaktem und biegsamem Tenor.

    Alberich: "Bin ich nun frei? Wirklich frei? So grüß Euch denn meiner Freiheit erster Gruß!"

    Leider verfällt dieser Alberich zunehmend in eine karikierende Deklamation, die statt Töne Geräusche produziert, was der Figur ihren Ernst nimmt. Philippe Jordan, musikalischer Direktor der Pariser Nationaloper, überträgt die weiche Wogenseligkeit des Anfangs auf die gesamte Partitur und formt einen geschmeidigen Wagner-Ton. Mitunter aber vergisst man das Orchester, so zurückhaltend ist es mit seinem Ausdruckswillen.

    Zuviel Ausdruckswillen aber überkommt mehr und mehr den Regisseur. Zu Beginn der Götterszene wird seine Intention schon angedeutet. Auf den Fahnen erkennt man einen Schriftzug in altdeutscher Fraktur: Germania. Am Ende setzten die Götter germanische Kriegshelme mit Adlerflügeln auf, und das Wort Germania wird Buchstabe für Buchstabe Walhall hinaufgetragen. Damit wirft sich Günter Krämer an den Hals seines französischen Publikums, das entsprechend jubilierte, zerstört die Deutungsvielfalt seiner Kunst, indem er die Frage nach Macht, Übermacht, Ausbeutung und Hybris als deutsches Problem kleinredet.

    Das ist zwar das größte Problem dieser Inszenierung, aber nicht das Einzige. Zu oft greift Krämer auf allzu bekannte Bildmittel zurück. So kippt immer wieder ein die hintere Bühnenwand ausfüllender Spiegel herunter, in dem der Zuschauerraum gespiegelt wird mit der allzu bekannten Botschaft, dass wir alle gemeint sind. Das unzufriedene Volk, die Soldaten und Arbeiter der Riesen, stürmt in sozialistisch-realistischer Manier mit roten Fahnen die Bühne und Zuschauerreihen.

    Überhaupt wird die Inszenierung mehr und mehr zu einem Sammelsurium von Bildern. Sie erinnern an Fritz Langs "Metropolis" und dessen Arbeiterheere, an die Bühnenikonografien von Regisseuren wie Robert Wilson und Robert Carsen. Und schließlich wird die Personenführung zunehmend statisch, was von einem quirligen Loge aufgelockert wird. Kim Begley macht aus ihm den wendigen Intellektuellen in Clownsmaske. Ob dieser Ring-Start ausreichend Glut in sich birgt, um die drei folgenden Teile zu befeuern, ist zweifelhaft.

    Loge: "So weit Leben und Weben, in Wasser, Erd und Luft, viel frug ich, forschte bei allen, wo Kraft nur sich rührt und Keime sich regen: was wohl dem Manne mächt'ger dünk', als Weibes Wonne und Wert?"