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Rheinischer Bilderbogen

Die Meistersinger gelten als Wagners "braunste" Oper, weil die Nazis in ihr das Wiedererwachen des deutschen Volkes ahnten. Der Kölner Opernintendant Uwe Eric Laufenberg befreit das Werk aus seiner nazistischen Umklammerung und setzt auf locker erzählte deutsche Geschichte.

Von Christoph Schmitz |
    Dass der Tod ein Meister aus Deutschland ist, haftet auch den "Meistersingern" seit 1945 an. Seitdem tragen deutsche Interpreten und wir als Publikum schwer an dieser Oper. Und die bange Frage vor jeder Neuinszenierung lautet heute noch, wie gehen Dirigent und Regisseur mit dem Deutschgetrommel um, mit der antisemitischen Karikatur des jüdischstämmigen Musikkritikers Eduard Hanslik in der Figur des Stadtschreibers Beckmesser und vor allem mit der chauvinistisch aufgeladenen Schlussansprache des Hans Sachs gegen den französischen Erbfeind und für die "heil'ge deutsche Kunst"?

    Uwe Eric Laufenberg macht etwas Kühnes. Er lässt sich auf solche Fragen zuerst einmal gar nicht ein! Mit jungenhaftem Übermut will er nichts Geringeres, als die Meistersinger aus ihrer nazistischen Umklammerung befreien. Das Werk mit seiner sogenannten Prügelfuge am Ende des zweiten Aktes, wenn die Bürger in der Johannisnacht aufeinander einschlagen, ist für Laufenberg keine Todesfuge. Er präsentiert einen Bilderbogen aus zahlreichen Episoden der deutschen Kultur und Geschichte, von der Renaissance im ersten Akt, über das 19. Jahrhundert im zweiten bis Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart im dritten Akt. Ein historischer Bilderbogen mit Ansichten der Stadt Köln.

    Wobei Laufenberg die verspielte Grundhaltung seines Theaterspektakels gleich am Anfang signalisiert. Noch bevor ein Ton erklingt, sieht man auf die leere schwarze Bühne samt Beleuchtungstechnik. Das Publikum wartet auf den Dirigenten, ein Zuschauer kommt zu spät, drängelt sich in die erste Reihe, sein Mobiltelefon klingelt, er redet laut, das Publikum lacht, "Handy aus!" sagt der Mann, der später den Junker Walther von Stolzing singen wird, der Vorhang schießt sich von mildem Blau erleuchtet, und wir können uns entspannen, gegrübelt wird heute Abend nicht.

    Auch Generalmusikdirektor Markus Stenz will keine zugespitzte Wagnerdeutung liefern. Ausgesprochen gemächlich, um nicht zu sagen schleppend geht er das Vorspiel anfangs an. Dem gepanzerten Blech nimmt er alle Aggression. Freundlich, in klassisch-romantischer Ausgewogenheit stellt sich der Meistersingerklang vor. Und so wird es den ganzen Abend über bleiben. Vor diesen Meistersingern muss sich niemand fürchten. In ihrem farbenreichen Wohlklang verweilt man gerne. Das Gürzenichorchester macht seinem Ruf, zu den führenden Klangkörpern in Deutschland zu gehören, alle Ehre, drohte aber gestern Abend den Gesang häufig zu übertönen.

    Unter gotischen Spitzbögen kommen die hohen Herren in prächtigem Ornat zusammen, um ihren vertrockneten Regularien zu frönen, was Kölner an manches stadtpolitische und karnevaleske Ritual fein ironisch erinnert. Fremdling Walther in schwarzem Anzug kann hier anfangs nur durchfallen, wenn er auch später mit seinem Preislied triumphiert.

    "Morgendlich leuchtend im rosigen Schein, von Blüt und Duft geschwellt die Luft, voll aller Wonnen, nie ersonnen, ein Garten lud mich ein."

    Marco Jentzsch debütiert als Wagnersänger mit einem jugendlich-leichten Tenor, dem es aber noch deutlich an Frequenzreichtum fehlt. Mühelos schwingt sich seine Stimme empor, aber Glanz und Schmelz müssen noch hinzukommen. Auch die Eva der Astrid Weber muss noch reifen. Anders als Bassbariton-Weltmeister Robert Holl, der all die Stunden wie ein Fels in der Brandung den Schuster Hans Sachs singt, volltönend und groß, nur leider sehr schauspielfaul.

    "Wahn! Wahn! Überall Wahn! Wohin ich forschend blick in Stadt- und Weltchronik."

    Neben Robert Holl war es vor allem Johannes Martin Kränzle, der als Beckmesser stimmlich und mimisch einen faszinierenden Auftritt hinlegte in einer sängerisch also etwas unausgewogenen Aufführung. Nach der Niederschlagung der 1848er Revolution im zweiten Akt finden sich die Figuren schließlich im Spießertum der 1950er-Jahre wieder und heben versehentlich auch mal den Arm zum Hitlergruß mit Hakenkreuzfähnchen.


    Und dann schwillt die rheinische Bilderflut zu Videokaskaden an, aus KZ-, Ruinen- und Wirtschaftswunderreminiszenzen und aus Szenen einer friedlich-trägen Wohlstandsgesellschaft mit trivialer Eventkultur einerseits und demokratisch-tolerantem Gemeinwesen andererseits. Deutsche Geschichte locker erzählt inclusive Mahnung vor den Mächten des braunen Übels. Für seinen kulinarischen Reigen verzichtet Laufenberg auf Tiefe und Reflexion. Für die Befreiung einer Oper aus den Klauen des Todesmeisters ist das kein zu hoher Preis.