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Rheinland-Pfalz
Anonyme Spurensicherung für Vergewaltigungsopfer

Weniger als 13 Prozent der Vergewaltiger werden bestraft. Ein Grund: Die Opfer wissen oft nicht sofort, ob sie wirklich Anzeige erstatten sollen. Dann verstreicht die Zeit, in der noch Spuren gesichert werden können. Das Krankenhaus in Wittlich bietet deswegen eine Spurensicherung ohne Polizei an.

Von Ludger Fittkau | 30.01.2014
    Sechs Stunden. Solange kann Sperma oder Speichel eines Vergewaltigers am Körper des Opfers gerichtsrelevant gesichert werden. Sechs Stunden können eine ziemlich kurze Frist sein, wenn sich ein Vergewaltigungsopfer nicht sicher ist, ob es den Täter wirklich anzeigen will. Andreas Staib von der Polizei in Wittlich beschreibt, wie lange es manchmal dauern kann, bis ein Opfer sich entscheidet, Anzeige zu erstatten:
    "Der erste Fall ist ganz aktuell: Gestern Abend ist eine junge Frau aus der Nähe von Wittlich bei uns erschienen, kurz nach ihrem 18. Geburtstag, der war jetzt erst im Januar. Sie hat eine Vergewaltigung aus dem September 2012 angezeigt. Damals war sie folglich 16 Jahre alt. Sie hat damals nach der Tat entschieden, dass sie den Vorfall anzeigen will und auch wird. Sie hat sich aber bewusst dazu entschieden, die Tat erst nach ihrem 18. Geburtstag anzuzeigen. Das hatte einen relativ banalen Grund: Sie wollte und will noch immer nicht, dass ihre Eltern davon erfahren. Und ihr war klar, solange sie Zuhause wohnt, werden ihre Eltern über die Post zwangsläufig auch davon informiert."
    Weil die damals 16-Jährige nach der Tat jedoch keine Spuren sichern ließ, ist die Ermittlungsarbeit für die Polizei besonders schwierig. Im aktuellen Fall ist der mutmaßliche Täter bereits durch andere Delikte einschlägig bekannt, sodass er möglicherweise doch noch überführt werden kann.
    Damit Vergewaltigungsopfer, die unsicher sind, ob und wann sie eine Anzeige erstatten später vor Gericht gute Chancen haben, bietet jetzt das Krankenhaus in Wittlich die vertrauliche Spurensicherung an. Sie ist vor allem im ländlichen Raum Deutschlands noch lange nicht selbstverständlich. Praktisch bedeutet das: Sperma oder der Speichel des Täters werden in den ersten sechs Stunden nach der Tat nach vorgeschriebenen gerichtsmedizinischen Methoden erfasst und gespeichert. Fünf Jahre lang wird das Material anschließend in der Gerichtsmedizin in Mainz gelagert, ohne das die Polizei eingeschaltet wird, wenn das Opfer dies nicht will. Peter Georg Locher, Gynäkologe am Wittlicher Krankenhaus:
    "Bei uns wird das so laufen, dass eine Mitarbeiterin der Frauenklinik, Frau Milaeva, eine ärztliche Mitarbeiterin, das Ganze koordinieren wird und unter ihrer Federführung wird das laufen. Weil wir glaubten, die Gruppe, die das Ganze organisiert hat, dass eine Frau, die sexuelle Gewalt erfahren hat, eine weibliche Ansprechpartnerin braucht."
    Ein Flugblatt des Wittlicher Krankenhauses informiert über diese neue Möglichkeit der vertraulichen Spurensicherung nach einer Sexualstraftat. Vor allem in ländlichen Räumen Deutschlands gibt es diese Dienstleistung bisher nicht flächendeckend. Vergewaltigungsopfer aus der Südeifel müssen beispielsweise bisher rund zwei Stunden in die Gerichtsmedizin der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz reisen, um die Spuren sichern zu lassen. Zwei Stunden Fahrt, womöglich mit den Spuren der Tat auf dem Körper: Für Gabriele Kretz, Gleichstellungsbeauftragte des Kreises Bernkastel-Wittlich ist das unakzeptabel. Ihr Vorbild für eine vertrauliche Spurensicherung ist das Nachbarland Nordrhein-Westfalen:
    "In Nordrhein-Westfalen gibt es einen Verbund von Krankenhäusern, die die anonyme Spurensicherung auch in der Fläche anbieten."
    Bei der Vorstellung des Projektes für den rheinland-pfälzischen Teil der Eifel in Wittlich machte Andreas Staib von der örtlichen Polizei jedoch eine wichtige Anmerkung: Das Angebot der vertraulichen Spurensicherung nach einer Sexualstraftat durch das Krankenhaus solle nicht grundsätzlich als Aufruf missverstanden werden, nach der Tat die Polizei außen vor zu halten:
    "Es gibt, wenn es eine Tat gibt, einen Tatort. Es gibt einen Täter. Auch dort gibt es Spuren. Das heißt, für uns sind nicht nur die Spuren am Opfer interessant. Das heißt, die Spuren am Tatort, am Täter verbessern unsere Ausgangssituation natürlich deutlich. Uns ist nach wie vor daran gelegen, dass die Frauen so früh wie möglich zur Polizei kommen und Anzeige erstatten und das sollte eigentlich auch propagiert werden. Ob die Frau es letztendlich macht, bleibt natürlich immer ihrer Entscheidung überlassen."
    Ob vertraulich oder nicht: Schwer genug bleibt es ohnehin, binnen sechs Stunden nach einer Vergewaltigung sich mit den Spuren der Tat am Körper Ärzten anzuvertrauen und sich untersuchen zu lassen. Dass ist allen Beteiligten des Projektes in Wittlich klar. Doch sie betonen: Eine Frau, die es tut und zunächst um Vertraulichkeit bittet, hat dann fünf Jahre Zeit, sich zu überlegen, ob sie einen Strafprozess will oder nicht. Das ist eine große Chance, für diese oft schwierige Entscheidung wirklich Sicherheit zu finden.