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Rheinland-Pfalz
Basisdemokratie ohne Basis

Bürgermeisterin einer Gemeinde - ein ehrenvoller und verantwortungsvoller Job. Eine Funktion mit hoher Reputation, sollte man meinen. Für Parteien ist das Bürgermeisteramt auch eine Chance, Präsenz zu zeigen und Wähler an sich zu binden. Doch in Rheinland-Pfalz ist das seit Langem in vielen Orten offenbar kein Anreiz mehr, um das Amt des Ortsvorstehers zu kämpfen. Im Gegenteil: Aktuell sind in Rheinland-Pfalz 86 Bürgermeisterposten unbesetzt, davon 50 in der Region Trier und in der Eifel.

Von Ludger Fittkau | 28.10.2014
    Das Dorf Aach liegt idyllisch in den Ausläufern der Eifel, nur wenige Kilometer von Trier entfernt. Hier leben viele Pendler, die ihr Brot im nahen Luxemburg verdienen - dort werden gute Löhne gezahlt. In Aach sind deshalb viele Fassaden gut in Schuss. Das Dorf wirkt nicht arm, Neubaugebiete schmiegen sich an die Talhänge über dem alten Ortskern, die Pfarrkirche überragt mit einer Schieferpyramide die Gemeinde. Ralf Kierspel lebt gerne in Aach, auf der Homepage des Ortes firmiert er bis heute als Ortsbürgermeister. Längst will er das nicht mehr sein - doch seit Monaten findet er keinen Nachfolger, obwohl er intensiv gesucht hat:
    "Nein, es ist mir nicht gelungen! Nicht nur im Gemeinderat. Ich habe auch in meinem Bekanntenkreis alle gefragt, wo ich mir vorstellen konnte, dass sie für dieses Amt geeignet wären oder Spaß daran hätten, so ein Amt zu begleiten. Aber es will keiner!"
    "Es ist ja nicht nur Aach allein, es sind ja auch die Nachbardörfer, es ist in mehreren Ortschaften so", sagt eine Dorfbewohnerin, die den Weg am Gemeindehaus entlang eingeschlagen hat. In der Tat, die Liste der Orte in der Region, die keinen Bürgermeister mehr finden, ist lang. Sie reicht von Dierfeld im Kreis Bernkastel-Wittlich über Fischbach-Oberraden im Eifelkreis Bitburg-Prüm bis nach Schalkenmehren im Vulkaneifelkreis. Mehrere Dutzend Orte in der Eifel sind zurzeit ohne Bürgermeister. Je kleiner der Ort ist, desto schwieriger wird es, jemanden zu finden, der ehrenamtlich die Belange des Gemeinwesens managt.
    Leere Kassen
    Ein Grund, warum sich oft niemand mehr findet, ist der fehlende finanzielle Spielraum vieler Gemeinden. Die Kassen sind leer, politisch entschieden werden kann vor Ort häufig kaum etwas.
    "Das ist natürlich frustrierend, dass man keinen finanziellen Handlungsspielraum hat. Wir sind gebeutelt von Pflichtaufgaben. Das ist sicherlich ein Grund, dass die finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten nicht mehr so sind, wie das vielleicht noch vor zwanzig Jahren war."
    Dennoch hat Thomas Müller sich in diesem Jahr erstmals zum Ortsbürgermeister von Tawern wählen lassen. Damit stemmt er sich dem Frust entgegen, der in manchen Nachbargemeinden im Raum Trier herrscht. Wie eben in Aach. Dort hat man auch die Erfahrung gemacht, dass übergeordnete Behörden dem Gemeinderat das Leben in den vergangenen Jahren immer schwerer gemacht haben. 80 Prozent aller Entscheidungen könne man gar nicht mehr im Ort treffen, stellte Ralf Kierspel in seinem Amt als Ortsbürgermeister von Aach fest:
    "Und die anderen 20 Prozent, die wir noch machen - da ist dann immer irgendwo ein Haken drin, das wir irgendwelche Gesetze nicht beachtet haben, die dann wieder neu gemacht werden müssen. Und damit wird der Handlungsspielraum, den wir als Bürgermeister oder Gemeinderäte haben, immer kleiner. Heute brauchen sie für alles ein Kataster. Sie brauchen ein Brückenkataster, ein Baumkataster, ein Spielplatzkataster. Es wird so viel eingeschnürt. Dann macht es keinen Spaß mehr."
    Bürokratie als Blockade
    Zu viel Bürokratie - davon kann auch Christel Kreis ein Lied singen. Sie war 20 Jahre lang im Gemeinderat von Aach aktiv. Auch bei ihr ist die Enttäuschung darüber offensichtlich, was Bürokraten aus übergeordneten Behörden so alles verhindert haben.
    "Mein Eindruck ist auch, dass die Verwaltung zunehmend an Bedeutung gewinnt, und dass die ehrenamtlichen Bürgermeister mehr oder weniger zum Stimmvieh werden."
    Da war etwa die Sache mit dem zugewachsenen Dorfweiher. Nachdem rund 100 Dorfbewohner die Fläche mit Motorsägen an mehreren Wochenenden freigelegt hatten, um sie zu einem Gemeindeplatz umzugestalten, stoppte eine übergeordnete Behörde die Aktion. Monatelang lag die Gemeinschaftsbaustelle brach - erstickt in Bürokratie.
    Ausgefuchste Verwaltungsprofis, die ehrenamtlichen Gemeinderäten und Ortsbürgermeistern die Spielräume nehmen - das bereitet auch Thomas Müller Sorgen. Der neue ehrenamtliche Bürgermeister von Tawern verdient sein Geld in der Kreisverwaltung Trier-Saarburg:
    "Behörden neigen ja immer dazu, Aufgaben an sich zu ziehen. Ich arbeite ja selber in einer, ich weiß ja, wie es ist."
    Vielleicht auch deswegen hat Thomas Müller sich in seiner Heimatgemeinde nicht abschrecken lassen und ist nun Ortsbürgermeister. Er weiß aber genau, was passiert, wenn ein Ort keinen Bürgermeister mehr findet:
    "Findet sich allerdings keiner, der dieses Amt übernehmen möchte, dann wird durch die Kommunalaufsicht ein Verwalter bestellt. Das ist in der Regel der hauptamtliche Bürgermeister der übergeordneten Verbandsgemeinde, der dann die Verwaltung übernimmt, im Zusammenspiel mit dem Gemeinderat."
    So geht das im Augenblick in mehr als 80 Gemeinden in Rheinland-Pfalz. Basisdemokratie ohne Basis sozusagen. Demokratie lebt von unten - doch wenn unten keiner mitmachen will, bleibt das eine leere Formel.