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Rheinsberg
Mit Tucholsky auf der Spur der Verliebten

"Rheinsberg - ein Bilderbuch für Verliebte" brachte seinem Autor Kurt Tucholsky einen ersten großen Erfolg. Bis heute erfreut sich die heitere Geschichte von Claire und Wölfchen großen Zuspruchs. Und bis heute lässt sich diese Liebesgeschichte im Ort der Handlung - dem kleinen Städtchen Rheinsberg im Norden Brandenburgs - erleben.

Von Wolfgang Heidelk | 18.10.2015
    Blick auf das Schloss Rheinsberg in Brandenburg: Das Schloss Rheinsberg ist Sitz des Kurt-Tucholsky-Literaturmuseums
    Blick auf das Schloss Rheinsberg in Brandenburg: Das Schloss Rheinsberg ist Sitz des Kurt-Tucholsky-Literaturmuseums (picture-alliance/ dpa)
    Letzte Aufforderung für Nachzügler. An der Rheinsberger Schiffsanlegestelle hält ein Mann im weißen Hemd schon das schwere Tau in der Hand. Etwa zwei Dutzend Touristen haben es sich auf dem Oberdeck vom MS Remus bequem gemacht für die zweistündige Seenrundfahrt.
    Ungefähr von hier aus müssen damals auch Claire und Wölfchen gestartet sein zu ihrer Kahnpartie. Da ist sich der Leiter des Rheinsberger Tucholsky-Literaturmuseums Peter Böthig ziemlich sicher. Jedenfalls, seit er vor zwei Jahren einen Berliner Journalisten traf, der 1957 für einen Artikel auf den Spuren Tucholskys in Rheinsberg recherchierte und einen betagten Rheinsberger kennenlernte:
    "Da hat dieser Mann ihm gesagt: Ja, daran kann ich mich erinnern. Als junger Kerl habe ich mir ein paar Groschen dazu verdient und habe immer die Gäste des Hotels Fürstenhof über den See gerudert. Und dieser Mann sagte, ich kann mich an das Pärchen erinnern, an den jungen Tucholsky, den hab ich damals rausgerudert."
    Das Hotel Fürstenhof existiert nicht mehr. Aber der leer stehende und ziemlich heruntergekommene Seitenflügel in Zuckerbäckerarchitektur, wie man sie von Ostseebädern kennt, lässt noch etwas erahnen vom einstigen Glanz. Und als Peter Böthig von jener Recherche aus dem Jahr 1957 erfuhr, musste er seine Version von Tucholskys Rheinsberg-Aufenthalt korrigieren:
    "Ich war davor immer davon ausgegangen, er hätte im Ratskeller gewohnt. Es gibt ja keine Gästebücher, wir haben keinen Nachweis. Aber man könnte aus dem Text "Rheinsberg - ein Bilderbuch für Verliebte" schließen, wo er nachts ans Fenster tritt und draußen die Linden rauschen, dass das der Ratskeller war.
    Gebaut und saniert wird viel in Rheinsberg. Im einstigen Fürstenhof sollen Eigentumswohnungen in exklusiver Lage mit Seeblick entstehen. Den Ratskeller, nur ein paar Schritte entfernt, gibt es immer noch. Aber tagsüber übertönt auf dem Platz davor der Verkehr das Rauschen der Linden. Unter einer wartet Dirk Erdmann mit seiner dunkelgrün gelackten Pferdekutsche auf Touristen. Manchmal ziemlich lange:
    - "Ist nicht mehr doll. War schon mal besser. Die Leute halten ihr Geld fest, geben kein Geld mehr aus."
    - "Was kostet es bei Ihnen?"
    - "30 Euro die halbe Stunde, 50 Euro die Stunde."
    Aber dann kommt doch noch Kundschaft: ein älteres Pärchen. Dirk Erdmann gibt seinen beiden Braunen Max und Moritz das Startsignal.
    "So, jetzt geht's los."
    Hufen knallen auf Straßenpflaster, jetzt klingt es fast wie 1911. Bevor die Kutsche auf die Straße biegt, kommt sie am Denkmal für Kronprinz Friedrich vorbei. Als Tucholsky und Else Weill das Schloss besuchten, war die Bronze noch recht frisch. 1903 wurde die Figur enthüllt. Im Rücken hat der junge Friedrich das schmiedeeiserne Tor zum Schloss. Rechterhand im Innenhof führt eine große graue Holztür ins Tucholsky-Museum. Dort erwartet uns Detlef Fuchs von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten:
    "Also, wir sind jetzt hier im Nordflügel. Unten wohnte der Kastellan. Es wurde unten geläutet – garantiert. Die Tür geöffnet. Und dann ging man die Treppe hoch. Und hier, bevor man das Heiligtum, also den Spiegelsaal betreten konnte, da müssen die Filzpantoffeln gelegen haben. Garantiert, bis 1945, bis die Russen kamen."
    Dann wurde aus dem Hohenzollern-Schloss ein Diabetikerheim. Auch als die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten das Haus nach der Wende wieder eröffnete, kamen Filzpantoffeln nicht mehr in Mode. Aber Schritt für Schritt kehrte in die historischen Gemächer ihre Schönheit zurück.
    Nach dem Spiegelsaal ist jetzt der Muschelsaal das letzte große Vorhaben.
    Restauratorin Sandra Bothe steht auf einem über vier Meter hohen Gerüst und wäscht mit einem großen Schwamm alte Farbe von der Decke. Eine mühselige Arbeit.
    "Über Kopf ist sowieso anstrengend. Aber man gewöhnt sich dran. Und man spart sich das Fitnessstudio natürlich."
    Türkisfarben soll die Decke des Muschelsaals wieder werden. An den Wänden beizt eine andere Restauratorin Stuckteile ab, Vorarbeiten fürs Vergolden. Schilfförmige Stuckteile verbinden Arrangements von Muscheln, die dem Saal ihren Namen gaben.
    "Es gibt viele originale Muscheln noch. Es gibt aber auch Abformungen aus Gips. Gerade die Muschel zum Beispiel hier ist aus Gips geformt. Und es gibt dann Biologen, die uns unterstützen werden, um zu gucken, wie alt sind die Muscheln, woher kommen sie und welche sind nachgeformt worden."
    Mit großer Sorgfalt wird hier gearbeitet. Es geht um wertvolles Kulturerbe. Der Entwurf für den Saal stammt vom preußischen Architekten Carl Gotthard Langhans, der später das Brandenburger Tor entwarf. Aber das Ende der aufwendigen Restaurierung ist absehbar.
    "Wir hoffen, nächstes Jahr haben wir das Jubiläum, 25 Jahre Wiedereröffnung von Rheinsberg. Wir haben ja am 6. Mai '91 sehr schnell eröffnet. Dann wird sich der Raum fast fertig präsentieren im nächsten Jahr im Sommer. "
    Bauherr für den Muschelsaal war im 18. Jahrhundert Prinz Heinrich, der übrigens 40 Jahre in Rheinsberg verbracht hat und nicht nur vier, wie Kronprinz Friedrich, der später "der Große" und der Alte Fritz werden sollte.
    Und es war nicht Friedrich, sondern sein Bruder Heinrich, der eine Idee hatte, die Rheinsberg bis heute prägt. 1762 ließ Heinrich in Rheinsberg eine Keramikmanufaktur bauen.
    "Das ist die kleinste Teekanne. Man muss sich vorstellen, die passt jetzt in eine Hand, wie so ein Vogelnest. Klappert auch der Deckel. Trotz allem, er fällt nicht runter."
    Im Keramikmuseum von Hendrik Schink gleich neben der Rheinsberger Kirche sind sie alle zu besichtigen. Die berühmten Rheinsberger Teekannen, wie sie über Jahrzehnte hier produziert wurden. Die klassische Form: runder Bauch, dunkelbraun und mit ockerfarbenem Streifen:
    "Wir haben dann eine ganz große – die klingt schon anders. Und die große dahinten, das sind drei Liter, die kriegt man mit einer Hand gar nicht mehr angehoben."
    Bis heute gibt es zwei Keramikmanufakturen in Rheinsberg. Und so mancher Besucher kommt extra wegen des Keramikmuseums in die kleine Stadt.
    "Weil Rheinsberg ist tatsächlich der Standort, der am längsten außerhalb Englands auf dem europäischen Kontinent durchgehalten hat, als Produktionsstandort, wenn man von Keramikmanufakturen spricht."
    Am Abend kehren wir noch einmal zurück zum Schloss. Im Sommer zieht das Festival Kammeroper Schloss Rheinsberg Tausende Besucher an. Ein internationales Festival junger Opernsänger, das mit barocken Singspielen im Heckentheater an die Traditionen Rheinsbergs als preußischer Musenhof anknüpft.
    Im Schlossinnenhof, von dem aus das Tucholsky-Museum zu erreichen ist, lauschen jetzt Hunderte Besucher einer Operngala. Doch das Festival setzt nicht nur auf die Evergreens der Opernliteratur, auch Uraufführungen gehören zum Programm, sagt Festival-Chef Frank Matthus:
    "Und es gibt auch für die Zukunft eine Idee, eine Tucholsky-Oper zu machen, die sich jetzt nicht unbedingt auf "Bilderbuch für Verliebte" bezieht, aber auf Tucholsky selbst, in seinen fünf Leben, fünf Pseudonymen."
    Aber mindestens ein Akt müsste auch von den bis heute berühmten Verliebten aus Tucholskys Rheinsberg-Geschichte handeln. Schließlich war Else Weill seine Jugendliebe, die er da literarisch verewigt hat.