Zunächst einmal geht es ganz sachlich um Begriffsbestimmungen und Abgrenzungen; es geht darum, wie Rhythmus entsteht, und wie man ihn wahrnimmt. Das Ticken der Uhr, diese mechanische gleichmäßige Wiederholung eines Tons, gliedert zwar die Zeit, wir halten das aber nicht für rhythmisch. Helbling findet eine Umschreibung, die das Bewegte, das Lebendige, also Widersprüchliche festhält: "rhythmisches Geschehen setzt erst ein, wo Ordnung unter Druck gerät, wo sich das Feste dem Beweglichen aussetzt und dieses an jenem einen Widerstand findet." Das heißt konkret Folgendes: Rhythmisches Geschehen kann man sehen, etwa wenn auf Bildern dunkle Farbflächen auf helle antworten, oder wenn ein bestimmtes Formelement auf einer Leinwand anwächst und wieder verschwindet. Man kann einen Rhythmus hören, im korrespondierenden Wechsel musikalischer Stimmen. Oder man kann ihn im Raum wahrnehmen, so in der Bewegung von Bergwipfeln, oder in der harmonisch mäandrierenden Bewegung eines Flußes. Das Faszinierende am Rhythmus ist die Tatsache, daß er beides ist: Er ist ein Regelmaß, und das Aufbrechen dieses Regelmaßes. Hanno Helbling plädiert deshalb unter der Hand dafür, bei der Lektüre von Dichtung und Literatur den Aspekt der Musikalität mehr zu achten: Lesen wäre, folgt man seinem Essay, immer auch eine Lektüre direkt durch die Ohren. Er selbst wählt kleine Passagen aus Werken von Schiller, Hölderlin, Kleist, Proust, Thomas Mann und anderen, und er achtet genau auf die jeweilige Bewegung der Texte.
Da sind beispielsweise die folgenden Verse aus "Wallensteins Tod": "Da kommt das Schicksal - Roh und kalt/ Faßt es des Freundes zärtliche Gestalt/ Und wirft ihn unter den Hufschlag seiner Pferde./ Das ist das Los des Schönen auf der Erde." Was geschieht da, was wirft einen aus der Bahn, was verstört? Im dritten Vers stolpem die gereimten Jamben plötzlich, der Daktylos "unter den durchbricht das Silbemnaß. Alles wäre unaufgeregt maßvoll, wenn es "untern Hufschlag" geheißen hätte: "Da kommt das Schicksal, - Roh und kalt/ Faßt es des Freundes zärtüche Gestalt/ Und wirft ihn untern Hufschlag seiner Pferde/ Das ist das Los des Schönen auf der Erde" - im Original dagegen ist der Rhythmus buchstäblich "aus der Fassung" geraten. Dies Beispiel zeigt, in welchem Ausmaß jeder Rhythmus die Eigenart der Rede bestimmt, und es vermittelt, wie sehr man sich am unmittelbaren, je sprunghaften, gradlinigem oder gewundenen Lauf der Sätze orientiert.
"Wir hören vieles, weil es uns gesagt (erzählt und erklärt, dialogisch vorgeführt und gepredigt wird, aber erst wenn wir das Sagen hören, seinen Tonfall, seinen Rhythmus, sind wir dabei." (Es ist eigentlich eine so naheliegende Erkenntnis, um die es hier geht: In den zitierten Versen aus "Wallensteins Tod" hört man nicht lediglich von einer Katastrophe, sondern man venimmt sie selbst, man ist dabei: der Inhalt verwirklicht sich in der Struktur der Artikulation. Hanno Helbling fragt sich, wie es der Literatur gelingen kann, zu erschüttem. Denn wenn ihr das gelingt, sind es doch nicht ausschließlich die bewegenden Schicksale, so wie es der anhaltende Ruf nach Geschichten gern nahelegt. Zu viele davon vergißt man alsbald. Helbling sagt dagegen: "Wer nur weiß oder wissen will, wovon die Dichtung >handelt<, hört nicht sie, er hört oder liest heraus, was er wiedererkennen will." Dieser Autor unterbricht mit seinem Essay eine Hierarchie, die im Diskurs über verdienstvolle Literatur fast vollständig etabliert ist. In diesem Diskurs lautet die dominante erste Frage scheinbar leserfreundlich, dabei aber von Tag zu Tag aggressiver und mechanischer, ob ein Buch spannend genug sei, um die Lektüre zu lohnen. Hanno Helbling fragt sich dagegen, wie man selbst sich der Literatur nähern könne - und das gelingt ihm, ohne daß er seinerseits anfängt zu eifern. Der Autor, Jahrgang 1930, war über viele Jahre lang Feuilletonchef der "Neuen Züricher Zeitung" , er lebt heute als Essayist und Übersetzer in Rom. Seine Arbeit über den Rhythmus ist wohltuend uneitel, sie ist einfach an der Sache interessiert. Dieser Essay geht einem auch insofern nahe, als er nicht "Ergebnisse vorlegt" . Sondern er übermittelt den Prozeß, das Um- und Einkreisen eines Themas, und dieser Prozeß ist seinerseits rhythmisch angelegt. Helblings Text selbst lebt von der Spannung zwischen Distanzierung und aus der Überwindung dieser Distanz. Das Ganze ist eine Reflexion über rhythmische Phänomene, die dem Leser die je eigene Wahrnehmung öffnet, und zwar nicht nur die von künstlerischen Arbeiten. Das Buch beginnt ohne pädagogische Einleitung, es tritt vielmehr schon in den ersten Worten mit einer Intensität auf, die die Schöpfungsgeschichte mitdenkt: "das Chaos ist arhythmisch..." Gegen Ende hebt sich der Text über die Erläuterungen zur Kunst hinaus; vielleicht kann man auch sagen, er bindet Kunst und Kultur wieder ein in ihren organischen, natürlichen Zusammenhang. Das ganze menschliche Dasein hat eine rhythmische Struktur: die Atemzüge, der Herzschlag, der Wechsel von Wachsein und Schlafen, und der von Tun und Lassen.- Ach ja. Und natürlich vermitteln Rhythmen als wandlungsfähige Beweglichkeit auch ein erotisches Moment, das schreibt der Autor so nebenbei. Aber wer Ohren hat zu lesen, der hat das irmner auch mitgelesen, oder er hat es dem Text in den eigenen Gedanken hinzugefügt.
Da sind beispielsweise die folgenden Verse aus "Wallensteins Tod": "Da kommt das Schicksal - Roh und kalt/ Faßt es des Freundes zärtliche Gestalt/ Und wirft ihn unter den Hufschlag seiner Pferde./ Das ist das Los des Schönen auf der Erde." Was geschieht da, was wirft einen aus der Bahn, was verstört? Im dritten Vers stolpem die gereimten Jamben plötzlich, der Daktylos "unter den durchbricht das Silbemnaß. Alles wäre unaufgeregt maßvoll, wenn es "untern Hufschlag" geheißen hätte: "Da kommt das Schicksal, - Roh und kalt/ Faßt es des Freundes zärtüche Gestalt/ Und wirft ihn untern Hufschlag seiner Pferde/ Das ist das Los des Schönen auf der Erde" - im Original dagegen ist der Rhythmus buchstäblich "aus der Fassung" geraten. Dies Beispiel zeigt, in welchem Ausmaß jeder Rhythmus die Eigenart der Rede bestimmt, und es vermittelt, wie sehr man sich am unmittelbaren, je sprunghaften, gradlinigem oder gewundenen Lauf der Sätze orientiert.
"Wir hören vieles, weil es uns gesagt (erzählt und erklärt, dialogisch vorgeführt und gepredigt wird, aber erst wenn wir das Sagen hören, seinen Tonfall, seinen Rhythmus, sind wir dabei." (Es ist eigentlich eine so naheliegende Erkenntnis, um die es hier geht: In den zitierten Versen aus "Wallensteins Tod" hört man nicht lediglich von einer Katastrophe, sondern man venimmt sie selbst, man ist dabei: der Inhalt verwirklicht sich in der Struktur der Artikulation. Hanno Helbling fragt sich, wie es der Literatur gelingen kann, zu erschüttem. Denn wenn ihr das gelingt, sind es doch nicht ausschließlich die bewegenden Schicksale, so wie es der anhaltende Ruf nach Geschichten gern nahelegt. Zu viele davon vergißt man alsbald. Helbling sagt dagegen: "Wer nur weiß oder wissen will, wovon die Dichtung >handelt<, hört nicht sie, er hört oder liest heraus, was er wiedererkennen will." Dieser Autor unterbricht mit seinem Essay eine Hierarchie, die im Diskurs über verdienstvolle Literatur fast vollständig etabliert ist. In diesem Diskurs lautet die dominante erste Frage scheinbar leserfreundlich, dabei aber von Tag zu Tag aggressiver und mechanischer, ob ein Buch spannend genug sei, um die Lektüre zu lohnen. Hanno Helbling fragt sich dagegen, wie man selbst sich der Literatur nähern könne - und das gelingt ihm, ohne daß er seinerseits anfängt zu eifern. Der Autor, Jahrgang 1930, war über viele Jahre lang Feuilletonchef der "Neuen Züricher Zeitung" , er lebt heute als Essayist und Übersetzer in Rom. Seine Arbeit über den Rhythmus ist wohltuend uneitel, sie ist einfach an der Sache interessiert. Dieser Essay geht einem auch insofern nahe, als er nicht "Ergebnisse vorlegt" . Sondern er übermittelt den Prozeß, das Um- und Einkreisen eines Themas, und dieser Prozeß ist seinerseits rhythmisch angelegt. Helblings Text selbst lebt von der Spannung zwischen Distanzierung und aus der Überwindung dieser Distanz. Das Ganze ist eine Reflexion über rhythmische Phänomene, die dem Leser die je eigene Wahrnehmung öffnet, und zwar nicht nur die von künstlerischen Arbeiten. Das Buch beginnt ohne pädagogische Einleitung, es tritt vielmehr schon in den ersten Worten mit einer Intensität auf, die die Schöpfungsgeschichte mitdenkt: "das Chaos ist arhythmisch..." Gegen Ende hebt sich der Text über die Erläuterungen zur Kunst hinaus; vielleicht kann man auch sagen, er bindet Kunst und Kultur wieder ein in ihren organischen, natürlichen Zusammenhang. Das ganze menschliche Dasein hat eine rhythmische Struktur: die Atemzüge, der Herzschlag, der Wechsel von Wachsein und Schlafen, und der von Tun und Lassen.- Ach ja. Und natürlich vermitteln Rhythmen als wandlungsfähige Beweglichkeit auch ein erotisches Moment, das schreibt der Autor so nebenbei. Aber wer Ohren hat zu lesen, der hat das irmner auch mitgelesen, oder er hat es dem Text in den eigenen Gedanken hinzugefügt.