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Richard Faber: Lateinischer Faschismus. Über Carl Schmitt den Römer und Katholiken

Gegenwärtig ist es recht beliebt, sich über die Demokratiefähigkeit des Islam Gedanken zu machen oder sollte es besser heißen zu schwadronieren. Koranzitate erfreuen sich halbgebildeter Aufmerksamkeit, und da wird nicht selten bar jeder Kenntnis der Zusammenhänge munter heruminterpretiert, was Zeitungsseiten und Sendestunden so hergeben. Ziel der meisten dieser Operationen ist es zu belegen, dass der Islam, der nicht einmal eine Periode der Aufklärung für sich verbuchen könne, per se zur Toleranz gar nicht fähig sei. In unseren Hinterhöfen habe sich die islamische Gefahr eingenistet, hinter der biederen Maske der Frömmigkeit lauerten selbsternannte Kalifen als Vorhut des Bösen. Man tut ganz so, als hätten die christlichen Kirchen der Trennung von Kirche und Staat ganz freiwillig Applaus gespendet, als gäbe es etwa nicht heute noch die mächtigen Orden, ob von Laien oder Kirchenmännern, die sich nicht gerade für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in die Bresche schlagen. Wie alt ist das Unfehlbarkeitsdogma, wie lange ist es her, dass der Vatikan anerkannt hat, dass die Erde keine Scheibe ist, und wie mühselig sind all die ökumenischen Prozesse im eigenen christlichen Haus? Wie eng waren und sind die politischen Verbindungen zwischen christlichen Kirchenleuten und nicht eben demokratischen Politikern, nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Spanien, Italien und Deutschland?

Bernd Leineweber |
    Gegenwärtig ist es recht beliebt, sich über die Demokratiefähigkeit des Islam Gedanken zu machen oder sollte es besser heißen zu schwadronieren. Koranzitate erfreuen sich halbgebildeter Aufmerksamkeit, und da wird nicht selten bar jeder Kenntnis der Zusammenhänge munter heruminterpretiert, was Zeitungsseiten und Sendestunden so hergeben. Ziel der meisten dieser Operationen ist es zu belegen, dass der Islam, der nicht einmal eine Periode der Aufklärung für sich verbuchen könne, per se zur Toleranz gar nicht fähig sei. In unseren Hinterhöfen habe sich die islamische Gefahr eingenistet, hinter der biederen Maske der Frömmigkeit lauerten selbsternannte Kalifen als Vorhut des Bösen. Man tut ganz so, als hätten die christlichen Kirchen der Trennung von Kirche und Staat ganz freiwillig Applaus gespendet, als gäbe es etwa nicht heute noch die mächtigen Orden, ob von Laien oder Kirchenmännern, die sich nicht gerade für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in die Bresche schlagen. Wie alt ist das Unfehlbarkeitsdogma, wie lange ist es her, dass der Vatikan anerkannt hat, dass die Erde keine Scheibe ist, und wie mühselig sind all die ökumenischen Prozesse im eigenen christlichen Haus? Wie eng waren und sind die politischen Verbindungen zwischen christlichen Kirchenleuten und nicht eben demokratischen Politikern, nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Spanien, Italien und Deutschland?

    Es ist rund 80 Jahre her, dass der Staatsrechtler Carl Schmitt aus dem römischen Katholizismus die juristische, politische und ideologische Form ableitete, die alle höheren Kategorien der europäischen Zivilisation garantiere. Die römisch-katholische Kirche erschien in Schmitts Arbeiten Mitte der zwanziger Jahre als Formierungs- und Disziplinierungsmacht. Diese kirchliche Konzeption hat Carl Schmitt auch ins Politische übertragen und damit ein Recht der Diktatur begründet. Der Philosoph Ernst Bloch titulierte ihn als Hure und Kronjuristen der Nazis, Schmitt-Sympathisanten z.B. in der FAZ bescheinigten dem schon im Mai 1933 in die NSDAP eingetretenen Juristen dagegen, er habe den Versuch unternommen, "Elemente der Rechtsstaatlichkeit in den Nationalsozialismus" einzubauen, ein Unterfangen, dem bedauerlicherweise jeder Erfolg versagt blieb. Dass Schmitt den nationalsozialistischen Staat legitimierte und ihm einige Jahre diente, ist bekannt. Weniger bekannt außerhalb wissenschaftlicher Fachkreise sind allerdings die Wurzeln diese Schmittschen Denkens. "Ich bin ein Katholik nicht nur dem Bekenntnis, sondern auch der geschichtlichen Herkunft, wenn ich so sagen darf, der Rasse nach," schrieb der Jurist noch 1948 in einem Brief. Der Katholizismus und das römische Caesarentum haben Schmitt sein Leben lang beschäftigt. "Lateinischer Faschismus. Über Carl Schmitt den Römer und Katholiken" heißt deshalb ein neues Buch von Richard Faber, dass im Philo Verlag erschienen ist.

    Das vorliegende Buch ist dem Werk eines bedeutenden konservativen Staatsrechtlers gewidmet, der bis in die Ära Adenauer und Strauß und, über seinen Schüler Ernst Nolte, bis in den Historikerstreit der achtziger Jahre die Debatten um die politische Neuordnung Europas im 20. Jahrhundert nachhaltig beeinflusst hat. Das Werk von Carl Schmitt, der in der Weimarer Republik zu Ansehen gelangte und als "Kronjurist" des Dritten Reichs in die Geschichte der philosophischen Irrwege einging, ist ein hervorragendes Beispiel für eine Philosophie des Rollback auf ordnungspolitische Positionen der Vormoderne. Was fundamentalistisches Denken ist, das uns gegenwärtig beschäftigt und das keineswegs nur ein Phänomen der islamischen Welt ist, sondern auch bei uns, vor allem aber in den USA offenbar immer noch eine mindestens stimmungsmäßige Basis hat, lässt sich an diesem Werk auf hohem Niveau studieren. Es zeigt wie kein anderes die verhängnisvollen Konsequenzen, in die selbst ein scharfblickender Geist gerät, wenn politisches Denken in erster Linie von der Angst vor dem Verlust der Ordnung, der Angst vor dem Chaos bestimmt ist.

    Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war Schmitt zufolge durch die Auseinandersetzungen zwischen den Klassen, Parteien und Konfessionen die Gefahr eines Bürgerkriegs gegeben, die sich nach dem Ersten Weltkrieg zuspitzte und sich durch die bolschewistische Revolution zur Gefahr eines Weltbürgerkriegs steigerte. Die Freund-Feind-Situation, um die sich Schmitt zufolge alles politische Handeln dreht, war zum Ausnahmezustand eskaliert, welcher autoritäre und gegebenenfalls diktatorische Maßnahmen zur Rettung der staatlichen Ordnung verlangte.

    "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet",

    lautet der Hauptsatz seiner politischen Rechtslehre. Eine Staatsführung muss diese Souveränität haben und die verfassungsmäßige Ordnung außer Kraft setzen, wenn das politische System zu zerbrechen droht, was in Weimar nicht nur nach Carl Schmitts Einschätzung zu erwarten war.

    Richard Faber, ein profilierter Kenner und Kritiker des politischen Katholizismus, untersucht die für Schmitt maßgeblichen ideengeschichtlichen Hintergründe im rechtskonservativen Denken des 19. und frühen 20. Jahrhundert. Carl Schmitt, Katholik und Jurist, verstand seine Rechtslehre als "politische Theologie". Er begründete sie geschichtsphilosophisch mit der Herkunft des politischen Souveränitätsbegriffs aus dem theologischen Konzept des allmächtigen Schöpfergottes sowie aus dem cäsaristischen Prinzip im institutionellen Aufbau der aus dem römischen Imperium hervorgegangenen katholischen Kirche. Entsprechende Staatslehren gelangten namentlich in den romanischen Ländern zu Einfluss und wirkten bis in den italienischen, spanischen und portugiesischen Faschismus und die katholisch-nationalistische Action Française hinein. Darüberhinaus dokumentiert Richard Faber Schmitts wiederholte Anläufe zu einer Synthese aus der katholisch inspirierten, römisch-imperialen und einer am deutschen Reichsgedanken orientierten autoritärstaatlichen Lösung zur Rettung vor Revolution und Bürgerkrieg. Die, wie es anfangs schien, erfolgreiche Bewältigung der Krise des Weimarer Systems durch den totalitären Führerstaat machte Schmitt, ähnlich wie den Philosophen Heidegger, zum Gefolgsmann der Nazis. Er bot seine "politische Theologie" an als Legitimationstheorie eines auch für das von den Nationalsozialisten gehätschelte "deutsche" Rechtsdenken annehmbaren, auf die hochmittelalterliche Reichsidee zurück gehenden politischen Raumdenkens. Dieses Denken war nach Schmitt von hoher Aktualität, weil die fällige Neuordnung Europas davon abhing, ob es gelang, unter der Führung Deutschlands einen befriedeten Großraum zwischen den westlichen Demokratien und dem sowjetischen Kommunismus herzustellen und eine gesellschaftlich-politische Ordnung auf einem dritten Weg zwischen Liberalismus und Sozialismus zu schaffen. Dazu merkt Faber an:

    "Schmitts 'nichtimperialistische? Reichsfiktion lenkte bloß von der weit vorausgeplanten Welteroberungsstrategie Hitlers ab, indem sie - in Übereinstimmung mit der offiziellen Propaganda - vorgab, Deutschland habe nur europäische Interessen, und die seien ... in Übereinstimmung mit denen der anderen europäischen Völker, ihre Rechte nicht nur achtend, sondern auch gegen gemeinsame äußere Feinde schützend."

    Hier schlägt Fabers äußerst kenntnisreiche ideengeschichtliche Analyse um in Ideologiekritik, sicher nicht zu Unrecht. Aber es ist Vorsicht geboten: Auch fundamentalistische Revisionsversuche kultureller und politischer Entwicklungen, ob sie von Seiten eines politischen Katholizismus oder von islamischen und amerikanisch-protestantischen Extremisten kommen, sind nicht nur als ideologische Verkleidungen eines reaktionären Machtwillens zu betrachten. Gerade das Werk eines so scharfsinnigen Denkers wie Carl Schmitt lädt dazu ein, das Wesen und das Ausmaß der Krise, auf die es - wenn auch mit falschen Mitteln - reagiert, genauer zu erfassen. So jedenfalls haben es Gegner von Schmitt - wie z.B. Walter Benjamin oder Jacob Taubes - gehalten, die in seiner gegenrevolutionären Philosophie ein ihrem Selbstverständnis förderliches Gegenstück zu ihren eigenen revolutionären Anschauungen sahen.

    Bernd Leineweber besprach Richard Faber: "Lateinischer Faschismus. Über Carl Schmitt den Römer und Katholiken", erschienen im Philo Verlag. Das Buch hat 115 Seiten und kostet 18 Euro.