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Richard Flanagan
Humor als Verteidigung der Seele

Der Australier Richard Flanagan hat den wichtigsten englischen Literaturpreis, den Man Booker Prize, erhalten. Seine Romane sind wundervolle Hymnen auf die Menschlichkeit selbst unter Bedingungen schlimmster Erniedrigung.

Von Johannes Kaiser | 15.10.2014
    Der australische Autor Richard Flanagan posiert mit seinem Buch "The Narrow Road to the Deep North", für das er mit dem Booker Prize 2014 ausgezeichnet wurde.
    Der australische Autor Richard Flanagan posiert mit seinem Buch "The Narrow Road to the Deep North", für das er mit dem Booker Prize 2014 ausgezeichnet wurde. (AFP / Ben Stansall)
    Wie so viele Schriftsteller begann auch Richard Flanagan in seiner Jugend, sich kleine Geschichten auszudenken und aufzuschreiben.
    "Ich hatte das Gefühl, nichts anderes war so wichtig wie das Schreiben. Nur wurde in Tasmanien, wo ich aufwuchs, niemand Schriftsteller. Es gab keine und niemand wusste, wie man Schriftsteller wird. Es schien zudem keine besonders sinnvolle Beschäftigung zu sein. Meine Mutter wollte, dass ich Klempner werde und mir schien Zimmermann das Beste, was ich mir erhoffen konnte. In dieser Welt verspürte niemand auch nur die leiseste Ambition, Künstler zu werden. Das wurde als Fall von Unzurechnungsfähigkeit angesehen."
    Also ging Richard Flanagan mit 16 von der Schule ab und wurde Zimmermann. Das füllte ihn dann doch nicht aus, er machte das Abitur nach, bekam ein Rhodes Stipendium für ein Geschichtsstudium in Oxford, das er 1991 mit einer Arbeit über die Geschichte der Arbeitslosigkeit in Großbritannien beendete. Zurückgekehrt heiratete er früh, wurde Vater dreier Kinder, musste jeden Job annehmen, der sich bot. Doch das Schreiben ließ ihn nicht los. Er stahl sich morgens und abends ein paar Minuten, um zu schreiben. So entstand in mühsamer Kleinarbeit sein erster Roman "Tod auf dem Fluss". Das 1994 erschienene Buch wurde anfangs von der australischen Literaturkritik komplett ignoriert. Erst als eine stetig wachsende Lesernachfrage den Verlag zwang, immer neue Auflagen nachzuschieben, begann man den Roman und seinen Autor wahrzunehmen. Plötzlich wurde er hoch gelobt und bekam mehrere Preise verliehen.
    "Ich habe damals begriffen, dass ich immer versuchen sollte, den Leser zu gewinnen und mir um nichts sonst den Kopf zu zerbrechen. Das bedeutet nun keineswegs, dass man Bücher für den kleinsten gemeinsamen Nenner schreibt. Ganz im Gegenteil: Man erkennt, was für eine außergewöhnliche Sache das Lesen ist. Man muss bei der Geschichte und ihren Figuren nur ehrlich bleiben und die Arbeit so gut gestalten, wie es einem möglich ist. Dann wird das Buch zu einem Universum."
    Richard Flanagan hat inzwischen mehrere, sehr unterschiedliche Universen erkundet, die allerdings alle eng mit der australischen Geschichte verknüpft sind. Im 1997 erschienenen zweiten Roman "Am Anfang der Erinnerung" hat er sich mit dem Schicksal von europäischen Immigranten nach dem Zweiten Weltkrieg auseinandergesetzt - in Australien ein Bestseller, von ihm selbst verfilmt. Sein dritter Roman "Goulds Buch des Fische", die wahnwitzige, höchst poetische Geschichte eines Malers, der als Sträfling nach Tasmanien gebracht wird, brachte ihm den renommierten Commonwealth Writers Prize ein. Sein vierter "The Unknown Terrorist" wurde nie übersetzt. Dazu kommt es jetzt hoffentlich. Erst "Mathinna" erschien wieder auf Deutsch, die Geschichte eines Aborigines-Waisenkindes, das im Haus des Gouverneurs von Tasmanien, des Polarforschers John Franklin, von dessen Frau "zivilisiert" werden soll.
    Jetzt hat der Schriftsteller in seinem Man Booker preisgekrönten Roman "The Narrow Road To The Deep North" eine für Australien äußerst schmerzhafte Episode aus dem Zweiten Weltkrieg aufgegriffen: die japanische Gefangenschaft tausender australischer Soldaten und ihr Leiden in einem Gefangenlager in Myanmar, aus der Sicht eines jungen Arztes geschrieben, der versucht, die halbverhungerten, kranken und wie Sklaven geschundenen Soldaten am Leben zu halten. Zudem die Geschichte einer unmöglichen Liebe. Flanagans Vater war einer dieser Kriegsgefangenen.
    Alle Romane zeichnen eine geradezu überschäumende Fantasie und farbenprächtige, bildstarke Sprache aus. Immer wieder geht es in ihnen um die Grausamkeiten, die Menschen einander antun. Gemildert werden diese Szenen durch die Fähigkeit der Protagonisten zu lachen, selbst wenn ihnen zum Heulen zumute ist. Was er anlässlich der Veröffentlichung des Romans "Goulds Buch der Fische" sagte, gilt für alle seine Bücher:
    "Man kann einem Menschen alles nehmen, nur nicht den Humor. Der Humor ist wirklich eine großartige Verteidigung der Seele. Mir lag sehr viel daran, dass dieses Buch eine Tragikomödie wurde, sodass die Leute lachen würden, wenn sie es lesen, denn zwischen Humor und Schrecken steht stets eine enge Beziehung."
    Flanagans Romane sind wundervolle Hymnen auf die Menschlichkeit selbst unter Bedingungen schlimmster Erniedrigung.