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Richard Serra als Zeichner

Richard Serra, in Deutschland seit der documenta von 1972 ein Begriff, sorgte mit Großplastiken in vielen Städten Europas für Aufsehen wegen Klotzigkeit. Nun werden seine Zeichnungen im Metropolitan Museum of Arts in New York gezeigt. Ein ganz andere von Serra.

Von Sacha Verna | 20.04.2011
    Zweierlei sollte außen vor lassen, wer die vierzig Jahre umfassende Retrospektive von Richard Serras zeichnerischem Werk besucht. Erstens, die Vorstellung von der Zeichnung als Studie, als bloße Vorstufe zu einer anderen Arbeit. Zweitens, die Vorstellung von der Zeichnung als ephemeres Kleinformat, als Hauch von Bleistift auf Papier.
    Richard Serra, dessen monumentalen Stahlskulpturen das Museum of Modern Art 2007 eine nicht minder monumentale Ausstellung widmete, begann sich Ende der 1960er-Jahre mit der Zeichnung als Kunstform zu befassen. Und von Anfang an betrachtete der heute 71-jährige amerikanische Künstler diese als autonomen Teil seines Werkes.

    "Seinen Stahlarbeiten gehen nie Skizzen voraus, was bemerkenswert ist für einen zeitgenössischen Bildhauer. Hingegen zeichnet er seine Skulpturen oft, nachdem sie fertig gestellt worden sind. Diese Zeichnungen können Sie in den vielen Notizbüchern sehen, die wir in dieser Ausstellung zeigen."

    Sagt die Kuratorin Michelle White. Die schiere Größe und die Beschaffenheit der übrigen sechzig Werke in der Ausstellungen widerspiegeln Richard Serras wiederholte Neudefinition der Zeichnung an sich.

    "Er versucht die Zeichnung zu einem Punkt zu bringen, wo sie nicht mehr darstellt. Das Zeichen auf dem Papier steht nicht mehr für etwas anderes, sondern nur noch für sich selber. Es hat eine physische, materielle Präsenz in dem Raum, in dem Sie sich als Betrachter befinden."

    Richard Serra selber bezeichnet diese physische, materielle Präsenz als "Gewicht” seiner Zeichnungen. Sie ist schwarz und weiß und reicht in vielen Fällen vom Boden bis zur Decke. Oft bestehen frühere Arbeiten aus mehreren Quadratmetern belgischem Leinen, Stoff, der direkt auf die weißen Wände geheftet und ganzflächig mit schwarzer Ölkreide bedeckt ist. Anderswo ist es dickes japanisches Hiromi-Papier, auf das Serra geschmolzene Ölkreide in unterschiedliche Umrisse verteilt hat, so dass reliefartige Landschaften entstehen. In den meisten jüngeren Werken verwendet Serra handgeschöpftes Papier und hält mit Rahmen Abstand zur Wand, doch immer sind da die Ölkreide und die Fläche, die nichts Flaches an sich haben. Immer ist da die Beziehung zum Raum darum herum, die den Bildhauer verrät.

    Richard Serras Zeichnungen hätten nichts mit den Skulpturen zu tun und die Skulpturen seien nicht von den Zeichnungen abhängig, sagt die Michelle White.

    "Aber wenn Sie vor einer Zeichnung mit dieser physischen Präsenz stehen, ist das nicht sehr anders, als stünden Sie vor einer von Richard Serras Skulpturen. Ihr Verständnis des Werkes als Betrachter ist ähnlich und kann ziemlich erhellend und verwandelnd sein."

    Wie viele Besucher diese Retrospektive erhellt und verwandelt verlassen, bleibt abzuwarten. Doch verhindert zumindest die Vielfalt dieser Zeichnungen die buchstäblich erschlagende Langweile, die sich oft angesichts der Wucht um der Wucht Willen breit macht, die Richard Serras Skulpturen innewohnt.

    Richard Serra Drawing: A Retrospecitve. Bis 28. August, Metropolitan Museum, New York. Zur Ausstellung ist unter demselben Titel ein 176-seitiger Katalog erschienen. Er kostet gebunden 50 Dollar, broschiert 40 Dollar.